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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ihm sein Verstand doch sagen mußte , daß das Alles nichts mehr,
nichts mehr sein dürfe, als eine flüchtige Ferienliebschaft. Es mag
unnatürlich scheinen, aber nichts desto weniger bleibt es wahr, daß
sich sein jugendlich kecker Geist doch schon in dem Grade mit dem
Leben und seinen Convenienzen pertraut gemacht und ausgesöhnt hatte,
daß er auch nicht Einen Augenblick daran dachte, mehr daraus zu
machen, obgleich er das Mädchen wirklich so warm liebte, als es sein
etwas selbstsüchtiger und leichtsinniger Charakter nur immer zuließ.

Gleichsam als errathe sie, was in der Seele des Geliebten vor¬
ging, sagte jetzt Esther traurig:

Aber wie lange wird unser Glück dauern, Hugo? Wenn der
September zu Ende ist, mußt Du wieder zurück in das stolze prächtige
Wien, und da wirst Du in dem Gewühle Deine arme kleine Esther
bald vergessen haben.

Obgleich Hugo innerlich fühlte, daß sie vielleicht nur zu wahr
rede, tröstete er sie doch, vorzüglich durch das Versprechen, ihr jede
Woche einmal zu schreiben, so gut, als er es ohne selbst von der
Wahrheit seiner Betheuerungen in tiefster Seele überzeugt zu sein, im
Stande war.

Esther brach diesmal früher auf, als gewöhnlich, denn sie hatte
noch so Manches für die bevorstehende Abreise ihres Vaters zu ord¬
nen, und dann fürchtete sie auch die Aufpasserei und Klatschsucht ihrer
älteren Genossinnen, die sich schon zudringlich in das süße Geheimniß
ihres Herzens gedrängt hatten, und nur auf eine Gelegenheit warte¬
ten, um Esther, die sie um die nach ihren Begriffen glänzende Er¬
oberung des jungen Wiener Studenten beneideten, einen Streich zu
spielen.

Hugo, aber kehrte ernst und nachsinnend auf dem Wege, den er
gekommen war, wieder in die Schenke zurück, vor welcher ihn Johann
mit dem Gespann erwartete. In Hugo'S Brust mochte doch etwas
wie ein tiefer Vorwurf erwacht sein, und er schüttelte sein Haupt
heftig, gleichsam als wollte er einen quälenden Gedanken von sich
abschütteln. In der Schenke stürzte er noch ein Glas Wein hinunter,
um sich für die nächtliche Fahrt über die Halde zu erwärmen, dann
stieg er auf, sah nach seinen Pistolen, ergriff die Zügel und fort ging
es rasselnd über das holprige Steinpflaster des Städtchens.


ihm sein Verstand doch sagen mußte , daß das Alles nichts mehr,
nichts mehr sein dürfe, als eine flüchtige Ferienliebschaft. Es mag
unnatürlich scheinen, aber nichts desto weniger bleibt es wahr, daß
sich sein jugendlich kecker Geist doch schon in dem Grade mit dem
Leben und seinen Convenienzen pertraut gemacht und ausgesöhnt hatte,
daß er auch nicht Einen Augenblick daran dachte, mehr daraus zu
machen, obgleich er das Mädchen wirklich so warm liebte, als es sein
etwas selbstsüchtiger und leichtsinniger Charakter nur immer zuließ.

Gleichsam als errathe sie, was in der Seele des Geliebten vor¬
ging, sagte jetzt Esther traurig:

Aber wie lange wird unser Glück dauern, Hugo? Wenn der
September zu Ende ist, mußt Du wieder zurück in das stolze prächtige
Wien, und da wirst Du in dem Gewühle Deine arme kleine Esther
bald vergessen haben.

Obgleich Hugo innerlich fühlte, daß sie vielleicht nur zu wahr
rede, tröstete er sie doch, vorzüglich durch das Versprechen, ihr jede
Woche einmal zu schreiben, so gut, als er es ohne selbst von der
Wahrheit seiner Betheuerungen in tiefster Seele überzeugt zu sein, im
Stande war.

Esther brach diesmal früher auf, als gewöhnlich, denn sie hatte
noch so Manches für die bevorstehende Abreise ihres Vaters zu ord¬
nen, und dann fürchtete sie auch die Aufpasserei und Klatschsucht ihrer
älteren Genossinnen, die sich schon zudringlich in das süße Geheimniß
ihres Herzens gedrängt hatten, und nur auf eine Gelegenheit warte¬
ten, um Esther, die sie um die nach ihren Begriffen glänzende Er¬
oberung des jungen Wiener Studenten beneideten, einen Streich zu
spielen.

Hugo, aber kehrte ernst und nachsinnend auf dem Wege, den er
gekommen war, wieder in die Schenke zurück, vor welcher ihn Johann
mit dem Gespann erwartete. In Hugo'S Brust mochte doch etwas
wie ein tiefer Vorwurf erwacht sein, und er schüttelte sein Haupt
heftig, gleichsam als wollte er einen quälenden Gedanken von sich
abschütteln. In der Schenke stürzte er noch ein Glas Wein hinunter,
um sich für die nächtliche Fahrt über die Halde zu erwärmen, dann
stieg er auf, sah nach seinen Pistolen, ergriff die Zügel und fort ging
es rasselnd über das holprige Steinpflaster des Städtchens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/518>, abgerufen am 26.08.2024.