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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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gerade in der Hand hielt, nach ihm geschossen. Es war ein Unglück
für Hector, daß es gerade ein Pistol war; wäre es eine Peitsche
gewesen, so wäre das eigensinnige Thier wahrscheinlich mir ein paar
tüchtigen Hieben davongekommen.

"Jesus Maria!" schrie Johann, "des gnädigen Herrn Lieblings-
Hund," und damit stürzte er zu dem Verwundeten hin, und kniete
neben denselben nieder, um ihn zu untersuchen.

"Warum gehorcht mir die Bestie nicht?" sagte Hugo erblassend.
Dann wandte er sich zu dem schuldlosen Urheber des ganzen Unglücks,
der noch immer ängstlich an die Mauer gelehnt da stand, und sagte
zu ihm in freundlichem Tone: "Guten Abend, lieber Fritz! So trete
doch näher. Ich habe dem verdammten Hector seine Unarten hoffent¬
lich für lange genug ausgetrieben."

"Gott sei Dank, daß er nicht crepiren wird," sagte Johann, der
jetzt mit seiner Untersuchung des vierbeinigen Patienten fertig geworden
war, "ich glaube, der gnädige Herr hätte uns sonst alle vor Wuth
zu Hadern zerrissen und Papier aus uns gemahlen. Eilten gehörigen
Spectakel wird es bei alle dem doch geben, denn so viel steht fest,
daß der arme Hector sein Leben lang hinken wird."

"Nein," sagte Hugo, "ich weiß, wohin ich zielte, ich habe ihn
blos ins linke Bein geschossen!"

"Aber wirklich, Hugo, Du treibst es gar zu arg," sagte der
Militärzögling, indem er näher trat. "Dein gütiger Oheim --"

Hugo unterbrach ihn: "Hätte ich Dich etwa sollen von dem
Hunde in Stücke zerreißen lassen, Du Undankbarer? Gütiger Oheim?
O, es geschieht ihm ganz recht, diesem gütigen Oheim, wenn ich
jetzt auf der Fabrik das Unterste zu oberst kehre. Ich habe jetzt, Gott
sei Dank, das Gymnasium hinter mir und immer die ersten Preise
bekommen. Da gebührt sich min nach göttlichen und menschlichen
Gesetzen eine Ferienreise in die Schweiz oder nach Italien, um mich
für die Anstrengungen und den Ernst des Studentenlebens, in welches
ich jetzt einzutreten im Begriffe stehe, gehörig zu stärken. Hugo, sagte
mein Onkel zu mir, als er vor seiner Abreise nach England, wo er
neue Maschinen bestellen will, zum letzten Male nach Wien kam,
Hugo, Du würdest während der Ferien in Wien gewiß viele dumme
Streiche machen. Da mich mein Onkel sehr genau kennt, so konnte
ich das nicht füglich in Abrede stellen.

Der Onkel musterte mich ironisch und sagte nach einer kleinen
nachdenklichen Pause. Du wirst Deine Ferien und die Zeit mei-


gerade in der Hand hielt, nach ihm geschossen. Es war ein Unglück
für Hector, daß es gerade ein Pistol war; wäre es eine Peitsche
gewesen, so wäre das eigensinnige Thier wahrscheinlich mir ein paar
tüchtigen Hieben davongekommen.

„Jesus Maria!" schrie Johann, „des gnädigen Herrn Lieblings-
Hund," und damit stürzte er zu dem Verwundeten hin, und kniete
neben denselben nieder, um ihn zu untersuchen.

„Warum gehorcht mir die Bestie nicht?" sagte Hugo erblassend.
Dann wandte er sich zu dem schuldlosen Urheber des ganzen Unglücks,
der noch immer ängstlich an die Mauer gelehnt da stand, und sagte
zu ihm in freundlichem Tone: „Guten Abend, lieber Fritz! So trete
doch näher. Ich habe dem verdammten Hector seine Unarten hoffent¬
lich für lange genug ausgetrieben."

„Gott sei Dank, daß er nicht crepiren wird," sagte Johann, der
jetzt mit seiner Untersuchung des vierbeinigen Patienten fertig geworden
war, „ich glaube, der gnädige Herr hätte uns sonst alle vor Wuth
zu Hadern zerrissen und Papier aus uns gemahlen. Eilten gehörigen
Spectakel wird es bei alle dem doch geben, denn so viel steht fest,
daß der arme Hector sein Leben lang hinken wird."

„Nein," sagte Hugo, „ich weiß, wohin ich zielte, ich habe ihn
blos ins linke Bein geschossen!"

„Aber wirklich, Hugo, Du treibst es gar zu arg," sagte der
Militärzögling, indem er näher trat. „Dein gütiger Oheim —"

Hugo unterbrach ihn: „Hätte ich Dich etwa sollen von dem
Hunde in Stücke zerreißen lassen, Du Undankbarer? Gütiger Oheim?
O, es geschieht ihm ganz recht, diesem gütigen Oheim, wenn ich
jetzt auf der Fabrik das Unterste zu oberst kehre. Ich habe jetzt, Gott
sei Dank, das Gymnasium hinter mir und immer die ersten Preise
bekommen. Da gebührt sich min nach göttlichen und menschlichen
Gesetzen eine Ferienreise in die Schweiz oder nach Italien, um mich
für die Anstrengungen und den Ernst des Studentenlebens, in welches
ich jetzt einzutreten im Begriffe stehe, gehörig zu stärken. Hugo, sagte
mein Onkel zu mir, als er vor seiner Abreise nach England, wo er
neue Maschinen bestellen will, zum letzten Male nach Wien kam,
Hugo, Du würdest während der Ferien in Wien gewiß viele dumme
Streiche machen. Da mich mein Onkel sehr genau kennt, so konnte
ich das nicht füglich in Abrede stellen.

Der Onkel musterte mich ironisch und sagte nach einer kleinen
nachdenklichen Pause. Du wirst Deine Ferien und die Zeit mei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/510>, abgerufen am 23.07.2024.