Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Herzog auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern. Das Princip zur Wil¬
dling der ersten Kammer beruht also auf Erblichkeit und lebensläng¬
licher Ertheilung der Landstandschaft.

Die zweite Kammer dagegen wird rein durch Wahlen gebildet.
Sie besteht aus 50 Deputaten, nämlich sechs des begüterten Adels,
zehn der Städte, 34 der einzelnen Wahlbezirke. Um wählbar zu sein,
muß man Staatsbürger, Inländer, 3V Jahre alt, nicht unentbehrlicher
Beamter, nicht Mitglied der ersten Kammer, nicht wegen Verbrechen
vor Gericht gezogen und mit hinlänglichem Einkommen versehen sein.
Die Adelsmitglieder müssen 300 Fi. directe Steuern zahlen oder 60,000
Fi. Vermögen nachweisen; die Abgeordneten der Städte und Wahlbe-
zirke müssen 100 Fi. directe Steuern entrichten oder 1000 Fi. jährli¬
chen Gehalt oder 20,000 Fi. Vermögen besitzen. Die Wahl geschieht:
des Adels, durch alle dazu stimmfähigen an eine großherzogl. Com¬
mission; die der Wahlbezirke, resp. Städte, folgendermaßen: die Ge¬
meinden des Landes wählen zuerst nach Seelenzahl je einen Bevoll¬
mächtigten oder mehrere. Diese haben für jeden Bezirk 25, Wcchlmän-
ner vorzuschlagen, und diese endlich wählen erst je einen Deputirten.
Diese dreifache Theilung des Wahlactes hat ihr Gutes, indem sie das
Geschäft möglichst erleichtert, und bedenkliche Reibungen, Wahlschlach¬
ten, verhütet. Allein von der andern Seite ist auch Vieles dagegen
einzuwenden. Denn bei der Wahl der Bevollmächtigten ist dem Orts¬
vorstand ein ziemliches Uebergewicht gestattet, und dieser wird wiederum
gewöhnlich von dem, die Wahl beaufsichtigenden Regierungscommissär,
Kreisrathe, bestimmt. Außerdem werden als Wahlmänner nur die K0
Höchstbesteuerten des Bezirks bezeichnet, und es kann nicht fehlen, daß
doch immer nur die Wahl auf diejenigen fällt, welche durch Arbeits¬
ertheilung, Kundschaft u. f. w. auf die übrigen Bürger einen Einfluß
gewonnen haben. Auch die Wahlmänner sind daran gewöhnt, freilich
mit ehrenwerthen Ausnahmen, den Abgeordneten zu creiren, welchen
der Herr Regierungscommissär vorschlägt, und dieser wird wahrhaftig
Keinen vorschlagen, welchen er als dem Bestehenden nicht geneigt kennt.
Nur Rheinhessen hat in dem Wahlact noch einigermaßen seine politi¬
sche und bürgerliche Selbständigkeit gewahrt.

Aber dies ist nicht das einzige Mittel, welches die Regierung in
Händen hat, um die Wahl zu reguliren und libitum zu lenken;
sie kann auch indirect einwirken. Die Geschichte der hessischen Land¬
tage seit dem ersten von 1820 zeigt uns deutlich, daß der Wahlact
denn doch nicht so frei und unabhängig ausgeübt werden kann, wie


Herzog auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern. Das Princip zur Wil¬
dling der ersten Kammer beruht also auf Erblichkeit und lebensläng¬
licher Ertheilung der Landstandschaft.

Die zweite Kammer dagegen wird rein durch Wahlen gebildet.
Sie besteht aus 50 Deputaten, nämlich sechs des begüterten Adels,
zehn der Städte, 34 der einzelnen Wahlbezirke. Um wählbar zu sein,
muß man Staatsbürger, Inländer, 3V Jahre alt, nicht unentbehrlicher
Beamter, nicht Mitglied der ersten Kammer, nicht wegen Verbrechen
vor Gericht gezogen und mit hinlänglichem Einkommen versehen sein.
Die Adelsmitglieder müssen 300 Fi. directe Steuern zahlen oder 60,000
Fi. Vermögen nachweisen; die Abgeordneten der Städte und Wahlbe-
zirke müssen 100 Fi. directe Steuern entrichten oder 1000 Fi. jährli¬
chen Gehalt oder 20,000 Fi. Vermögen besitzen. Die Wahl geschieht:
des Adels, durch alle dazu stimmfähigen an eine großherzogl. Com¬
mission; die der Wahlbezirke, resp. Städte, folgendermaßen: die Ge¬
meinden des Landes wählen zuerst nach Seelenzahl je einen Bevoll¬
mächtigten oder mehrere. Diese haben für jeden Bezirk 25, Wcchlmän-
ner vorzuschlagen, und diese endlich wählen erst je einen Deputirten.
Diese dreifache Theilung des Wahlactes hat ihr Gutes, indem sie das
Geschäft möglichst erleichtert, und bedenkliche Reibungen, Wahlschlach¬
ten, verhütet. Allein von der andern Seite ist auch Vieles dagegen
einzuwenden. Denn bei der Wahl der Bevollmächtigten ist dem Orts¬
vorstand ein ziemliches Uebergewicht gestattet, und dieser wird wiederum
gewöhnlich von dem, die Wahl beaufsichtigenden Regierungscommissär,
Kreisrathe, bestimmt. Außerdem werden als Wahlmänner nur die K0
Höchstbesteuerten des Bezirks bezeichnet, und es kann nicht fehlen, daß
doch immer nur die Wahl auf diejenigen fällt, welche durch Arbeits¬
ertheilung, Kundschaft u. f. w. auf die übrigen Bürger einen Einfluß
gewonnen haben. Auch die Wahlmänner sind daran gewöhnt, freilich
mit ehrenwerthen Ausnahmen, den Abgeordneten zu creiren, welchen
der Herr Regierungscommissär vorschlägt, und dieser wird wahrhaftig
Keinen vorschlagen, welchen er als dem Bestehenden nicht geneigt kennt.
Nur Rheinhessen hat in dem Wahlact noch einigermaßen seine politi¬
sche und bürgerliche Selbständigkeit gewahrt.

Aber dies ist nicht das einzige Mittel, welches die Regierung in
Händen hat, um die Wahl zu reguliren und libitum zu lenken;
sie kann auch indirect einwirken. Die Geschichte der hessischen Land¬
tage seit dem ersten von 1820 zeigt uns deutlich, daß der Wahlact
denn doch nicht so frei und unabhängig ausgeübt werden kann, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184080"/>
          <p xml:id="ID_1409" prev="#ID_1408"> Herzog auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern. Das Princip zur Wil¬<lb/>
dling der ersten Kammer beruht also auf Erblichkeit und lebensläng¬<lb/>
licher Ertheilung der Landstandschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1410"> Die zweite Kammer dagegen wird rein durch Wahlen gebildet.<lb/>
Sie besteht aus 50 Deputaten, nämlich sechs des begüterten Adels,<lb/>
zehn der Städte, 34 der einzelnen Wahlbezirke. Um wählbar zu sein,<lb/>
muß man Staatsbürger, Inländer, 3V Jahre alt, nicht unentbehrlicher<lb/>
Beamter, nicht Mitglied der ersten Kammer, nicht wegen Verbrechen<lb/>
vor Gericht gezogen und mit hinlänglichem Einkommen versehen sein.<lb/>
Die Adelsmitglieder müssen 300 Fi. directe Steuern zahlen oder 60,000<lb/>
Fi. Vermögen nachweisen; die Abgeordneten der Städte und Wahlbe-<lb/>
zirke müssen 100 Fi. directe Steuern entrichten oder 1000 Fi. jährli¬<lb/>
chen Gehalt oder 20,000 Fi. Vermögen besitzen. Die Wahl geschieht:<lb/>
des Adels, durch alle dazu stimmfähigen an eine großherzogl. Com¬<lb/>
mission; die der Wahlbezirke, resp. Städte, folgendermaßen: die Ge¬<lb/>
meinden des Landes wählen zuerst nach Seelenzahl je einen Bevoll¬<lb/>
mächtigten oder mehrere. Diese haben für jeden Bezirk 25, Wcchlmän-<lb/>
ner vorzuschlagen, und diese endlich wählen erst je einen Deputirten.<lb/>
Diese dreifache Theilung des Wahlactes hat ihr Gutes, indem sie das<lb/>
Geschäft möglichst erleichtert, und bedenkliche Reibungen, Wahlschlach¬<lb/>
ten, verhütet. Allein von der andern Seite ist auch Vieles dagegen<lb/>
einzuwenden. Denn bei der Wahl der Bevollmächtigten ist dem Orts¬<lb/>
vorstand ein ziemliches Uebergewicht gestattet, und dieser wird wiederum<lb/>
gewöhnlich von dem, die Wahl beaufsichtigenden Regierungscommissär,<lb/>
Kreisrathe, bestimmt. Außerdem werden als Wahlmänner nur die K0<lb/>
Höchstbesteuerten des Bezirks bezeichnet, und es kann nicht fehlen, daß<lb/>
doch immer nur die Wahl auf diejenigen fällt, welche durch Arbeits¬<lb/>
ertheilung, Kundschaft u. f. w. auf die übrigen Bürger einen Einfluß<lb/>
gewonnen haben. Auch die Wahlmänner sind daran gewöhnt, freilich<lb/>
mit ehrenwerthen Ausnahmen, den Abgeordneten zu creiren, welchen<lb/>
der Herr Regierungscommissär vorschlägt, und dieser wird wahrhaftig<lb/>
Keinen vorschlagen, welchen er als dem Bestehenden nicht geneigt kennt.<lb/>
Nur Rheinhessen hat in dem Wahlact noch einigermaßen seine politi¬<lb/>
sche und bürgerliche Selbständigkeit gewahrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1411" next="#ID_1412"> Aber dies ist nicht das einzige Mittel, welches die Regierung in<lb/>
Händen hat, um die Wahl zu reguliren und libitum zu lenken;<lb/>
sie kann auch indirect einwirken. Die Geschichte der hessischen Land¬<lb/>
tage seit dem ersten von 1820 zeigt uns deutlich, daß der Wahlact<lb/>
denn doch nicht so frei und unabhängig ausgeübt werden kann, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Herzog auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern. Das Princip zur Wil¬ dling der ersten Kammer beruht also auf Erblichkeit und lebensläng¬ licher Ertheilung der Landstandschaft. Die zweite Kammer dagegen wird rein durch Wahlen gebildet. Sie besteht aus 50 Deputaten, nämlich sechs des begüterten Adels, zehn der Städte, 34 der einzelnen Wahlbezirke. Um wählbar zu sein, muß man Staatsbürger, Inländer, 3V Jahre alt, nicht unentbehrlicher Beamter, nicht Mitglied der ersten Kammer, nicht wegen Verbrechen vor Gericht gezogen und mit hinlänglichem Einkommen versehen sein. Die Adelsmitglieder müssen 300 Fi. directe Steuern zahlen oder 60,000 Fi. Vermögen nachweisen; die Abgeordneten der Städte und Wahlbe- zirke müssen 100 Fi. directe Steuern entrichten oder 1000 Fi. jährli¬ chen Gehalt oder 20,000 Fi. Vermögen besitzen. Die Wahl geschieht: des Adels, durch alle dazu stimmfähigen an eine großherzogl. Com¬ mission; die der Wahlbezirke, resp. Städte, folgendermaßen: die Ge¬ meinden des Landes wählen zuerst nach Seelenzahl je einen Bevoll¬ mächtigten oder mehrere. Diese haben für jeden Bezirk 25, Wcchlmän- ner vorzuschlagen, und diese endlich wählen erst je einen Deputirten. Diese dreifache Theilung des Wahlactes hat ihr Gutes, indem sie das Geschäft möglichst erleichtert, und bedenkliche Reibungen, Wahlschlach¬ ten, verhütet. Allein von der andern Seite ist auch Vieles dagegen einzuwenden. Denn bei der Wahl der Bevollmächtigten ist dem Orts¬ vorstand ein ziemliches Uebergewicht gestattet, und dieser wird wiederum gewöhnlich von dem, die Wahl beaufsichtigenden Regierungscommissär, Kreisrathe, bestimmt. Außerdem werden als Wahlmänner nur die K0 Höchstbesteuerten des Bezirks bezeichnet, und es kann nicht fehlen, daß doch immer nur die Wahl auf diejenigen fällt, welche durch Arbeits¬ ertheilung, Kundschaft u. f. w. auf die übrigen Bürger einen Einfluß gewonnen haben. Auch die Wahlmänner sind daran gewöhnt, freilich mit ehrenwerthen Ausnahmen, den Abgeordneten zu creiren, welchen der Herr Regierungscommissär vorschlägt, und dieser wird wahrhaftig Keinen vorschlagen, welchen er als dem Bestehenden nicht geneigt kennt. Nur Rheinhessen hat in dem Wahlact noch einigermaßen seine politi¬ sche und bürgerliche Selbständigkeit gewahrt. Aber dies ist nicht das einzige Mittel, welches die Regierung in Händen hat, um die Wahl zu reguliren und libitum zu lenken; sie kann auch indirect einwirken. Die Geschichte der hessischen Land¬ tage seit dem ersten von 1820 zeigt uns deutlich, daß der Wahlact denn doch nicht so frei und unabhängig ausgeübt werden kann, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/498>, abgerufen am 26.08.2024.