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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Menschenherz, in die ewigen Fragen, in die Poesie sogar gethan, als er
es bisher vermocht. Die Kritik ist es also der Sache und dem Namen
des Dichters schuldig, dem Stücke eine mehr als gewöhnliche Aufmerk¬
samkeit zu schenken; nur so kann sie, wenn sie über Vieles hart abspre¬
chen muß, dem Vorwurf der Anmaßung entgehen. Zeigen wir zuvörderst
den Gang der Handlung, das Weitere wird sich leichter herausstellen.

Wir sind in Amsterdam in der Mitte des jüdischen Lebens, das
dort auf dem Boden einer jungen Republik sich in seinem Gegensatze
nur noch starrer entwickelt hat, und zwar im Hause des Arztes silva,
der sich mehr mit Talmud und Thora als mit den Aphorismen des Hippo-
krates zu beschäftigen scheint. Ben Jochai, ein reicher junger Kaufmann,
ist von langjährigen Reisen zurückgekehrt und entdeckt dem Alten, daß er
in seiner Verlobten Judith, der Tochter des alten Kaufherrn Vander-
straaten, nicht mehr das Mädchen fand, das er zurückgelassen. Uriel
Acosta, ein Portugiese, dessen Eltern sich in Portugal scheinbar zum
Christenthum bekannten, hier aber in Amsterdam zum Judenthum zurück¬
gekehrt sind, ein feuriger Forscher in Religionssachen, halb Poet, halb
Philosoph, der im Judenthume die Wurzeln eines freien Deismus sieht,
und diesen durch ein so eben geschriebenes Buch vertreten hat -- Uriel
Acosta ist Lehrer dieses Mädchens geworden, und wie er ihre Seele an
sich herangezogen, ist auch ihr Herz, noch unbewußt sein geworden. Haß
und Zorn wühlen in Jochai's Brust gegen Uriel, als dieser hereintretend
seinem früheren Lehrer, silva, erklärt, er wolle abreisen, um dem Kampfe
seines Herzens zu entfliehen. Aber sein Buch hat im Schooße der jüdi¬
schen Orthodoxie Greuel erregt, die Männer des starren Dogma's wollen
Sühnung, der Rabbi de Santos übergibt Uriels Buch dem gelehrten
silva, daß er es prüfe nach dem Talmud und der Thora.

Von dem Augenblicke an, wo sein Buch den Kampf im Juden¬
thume zu wecken scheint, fühlt Acosta, daß eine Flucht aus Amsterdam
ihm nur schimpflich werden könne. Er glaubt seine Sache an Ort und
Stelle vertrecen zu müssen, den Gegnern den Beweis des Muths nicht
entziehen zu können. Alles hängt von de silva's Entscheidung ab.
Dieser, ein Geist des milden und edleren Conservatismus, will Acosta'n,
in dem er den Denker ehren muß, ob er gleich seine Richtung verdammt,
will Acosta'n durch eine Hinterthür vor den Verfolgungen der herrschen¬
den Kirche retten und doch wahr sein. "Der Verfasser ist kein Jude",
schreibt er, als Eensorsentscheidung auf das Buch, und weist die Rabbiner
auf das Scheinchristenthum seiner Eltern zurück. Aber Uriel will kein
Ehrist heißen, will Jude sein, mit dem gedrückten Volke Leid und Noth
tragen. Vom Schooße des Judenthums aus will er reformiren. Da
spricht vor all den bei Vanderstraaten versammelten Gästen die Kirche
den Bann über ihn aus, das Widderhorn ertönt und der Fluch der
Flüche ergeht über den verlorenen Abtrünnigen. So wie Alles scheu zu¬
rückweicht, wird sich Judith, Vanderstraatens Tochter, ihrer ganzen Liebe
zu Uriel bewußt, sie wirft sich ihm an's Herz und will Fluch und Un¬
glück mit ihm theilen.


Menschenherz, in die ewigen Fragen, in die Poesie sogar gethan, als er
es bisher vermocht. Die Kritik ist es also der Sache und dem Namen
des Dichters schuldig, dem Stücke eine mehr als gewöhnliche Aufmerk¬
samkeit zu schenken; nur so kann sie, wenn sie über Vieles hart abspre¬
chen muß, dem Vorwurf der Anmaßung entgehen. Zeigen wir zuvörderst
den Gang der Handlung, das Weitere wird sich leichter herausstellen.

Wir sind in Amsterdam in der Mitte des jüdischen Lebens, das
dort auf dem Boden einer jungen Republik sich in seinem Gegensatze
nur noch starrer entwickelt hat, und zwar im Hause des Arztes silva,
der sich mehr mit Talmud und Thora als mit den Aphorismen des Hippo-
krates zu beschäftigen scheint. Ben Jochai, ein reicher junger Kaufmann,
ist von langjährigen Reisen zurückgekehrt und entdeckt dem Alten, daß er
in seiner Verlobten Judith, der Tochter des alten Kaufherrn Vander-
straaten, nicht mehr das Mädchen fand, das er zurückgelassen. Uriel
Acosta, ein Portugiese, dessen Eltern sich in Portugal scheinbar zum
Christenthum bekannten, hier aber in Amsterdam zum Judenthum zurück¬
gekehrt sind, ein feuriger Forscher in Religionssachen, halb Poet, halb
Philosoph, der im Judenthume die Wurzeln eines freien Deismus sieht,
und diesen durch ein so eben geschriebenes Buch vertreten hat — Uriel
Acosta ist Lehrer dieses Mädchens geworden, und wie er ihre Seele an
sich herangezogen, ist auch ihr Herz, noch unbewußt sein geworden. Haß
und Zorn wühlen in Jochai's Brust gegen Uriel, als dieser hereintretend
seinem früheren Lehrer, silva, erklärt, er wolle abreisen, um dem Kampfe
seines Herzens zu entfliehen. Aber sein Buch hat im Schooße der jüdi¬
schen Orthodoxie Greuel erregt, die Männer des starren Dogma's wollen
Sühnung, der Rabbi de Santos übergibt Uriels Buch dem gelehrten
silva, daß er es prüfe nach dem Talmud und der Thora.

Von dem Augenblicke an, wo sein Buch den Kampf im Juden¬
thume zu wecken scheint, fühlt Acosta, daß eine Flucht aus Amsterdam
ihm nur schimpflich werden könne. Er glaubt seine Sache an Ort und
Stelle vertrecen zu müssen, den Gegnern den Beweis des Muths nicht
entziehen zu können. Alles hängt von de silva's Entscheidung ab.
Dieser, ein Geist des milden und edleren Conservatismus, will Acosta'n,
in dem er den Denker ehren muß, ob er gleich seine Richtung verdammt,
will Acosta'n durch eine Hinterthür vor den Verfolgungen der herrschen¬
den Kirche retten und doch wahr sein. „Der Verfasser ist kein Jude",
schreibt er, als Eensorsentscheidung auf das Buch, und weist die Rabbiner
auf das Scheinchristenthum seiner Eltern zurück. Aber Uriel will kein
Ehrist heißen, will Jude sein, mit dem gedrückten Volke Leid und Noth
tragen. Vom Schooße des Judenthums aus will er reformiren. Da
spricht vor all den bei Vanderstraaten versammelten Gästen die Kirche
den Bann über ihn aus, das Widderhorn ertönt und der Fluch der
Flüche ergeht über den verlorenen Abtrünnigen. So wie Alles scheu zu¬
rückweicht, wird sich Judith, Vanderstraatens Tochter, ihrer ganzen Liebe
zu Uriel bewußt, sie wirft sich ihm an's Herz und will Fluch und Un¬
glück mit ihm theilen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/482>, abgerufen am 23.07.2024.