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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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dem Theater bringen, daß sie ohne weiteres zur Aufführung gelangen
kann und er gibt sich daran, sie vollständig auszuschreiben. Wieder
eine Riesenarbeit, die ihm Jahre kostet. Nun ist er fertig. Er schreibt
manchen Brief, in dem er sein Werk anbietet -- und erhält vielleicht
keine Antwort. Sein Wunsch, die Oper zu hören, wird immer glü¬
hender, all sein Sinnen und Denken drängt sich in dieser Oper zu¬
sammen. Sie ist der Schatz, den er sorgsam beachtet. Wenn ihm
einfällt, es könne Feuer in seinem Häuschen ausbrechen, schaudert er
zusammen, er überlegt, wie er dann seine Oper retten könne, und ist
auf den Fall vorbereitet und gerüstet. Und immer glühender wird der
Wunsch, seine Oper zu hören. Er hat keinen andern mehr, er ist be¬
reit, für dessen Erfüllung alle möglichen Opfer zu bringen, sein Seh¬
nen wird krankhaft, eine stille Trauer lagert sich über seinen Geist, je
mehr ihm die Hoffnung schwindet -- und er stirbt endlich, ohne seinen
Wunsch erfüllt zu sehen -- sein letzter Blick fällt auf seine Oper. Ar¬
mer Mann, du hattest nur eins im Leben geschaffen und das war
zwecklos, du hattest nur einen Wunsch, einen kleinen, dürftigen Wunsch,
und er ward nicht erfüllt!

Doch genug von diesem Bilde. Ich erhielt plötzlich einen Brief
meines alten Directors, den ich vor fünf Monaten verlassen hatte, um
meine Kunstreise anzutreten, worin er mir meine frühere Stellung wie¬
der anbot. Zur Einsicht gekommen, daß ich erst in einem bestimmten
Fache etwas leisten müsse, ehe ich Anspruch auf eine Anstellung an
einem größern Theater machen könnte, wenn ich daselbst eben nicht un¬
tergeordnet dastehen wollte, überlegend, daß diese Gesellschaft doch eine
der größern unter den reisenden sei und recht ansehnliche, angenehme
Städte besuche, nahm ich diesen Antrag an, kehrte also nach fünf¬
monatlicher, mühseliger Wanderung auf den Punkt zurück, von dem
ich ausgegangen war.




dem Theater bringen, daß sie ohne weiteres zur Aufführung gelangen
kann und er gibt sich daran, sie vollständig auszuschreiben. Wieder
eine Riesenarbeit, die ihm Jahre kostet. Nun ist er fertig. Er schreibt
manchen Brief, in dem er sein Werk anbietet — und erhält vielleicht
keine Antwort. Sein Wunsch, die Oper zu hören, wird immer glü¬
hender, all sein Sinnen und Denken drängt sich in dieser Oper zu¬
sammen. Sie ist der Schatz, den er sorgsam beachtet. Wenn ihm
einfällt, es könne Feuer in seinem Häuschen ausbrechen, schaudert er
zusammen, er überlegt, wie er dann seine Oper retten könne, und ist
auf den Fall vorbereitet und gerüstet. Und immer glühender wird der
Wunsch, seine Oper zu hören. Er hat keinen andern mehr, er ist be¬
reit, für dessen Erfüllung alle möglichen Opfer zu bringen, sein Seh¬
nen wird krankhaft, eine stille Trauer lagert sich über seinen Geist, je
mehr ihm die Hoffnung schwindet — und er stirbt endlich, ohne seinen
Wunsch erfüllt zu sehen — sein letzter Blick fällt auf seine Oper. Ar¬
mer Mann, du hattest nur eins im Leben geschaffen und das war
zwecklos, du hattest nur einen Wunsch, einen kleinen, dürftigen Wunsch,
und er ward nicht erfüllt!

Doch genug von diesem Bilde. Ich erhielt plötzlich einen Brief
meines alten Directors, den ich vor fünf Monaten verlassen hatte, um
meine Kunstreise anzutreten, worin er mir meine frühere Stellung wie¬
der anbot. Zur Einsicht gekommen, daß ich erst in einem bestimmten
Fache etwas leisten müsse, ehe ich Anspruch auf eine Anstellung an
einem größern Theater machen könnte, wenn ich daselbst eben nicht un¬
tergeordnet dastehen wollte, überlegend, daß diese Gesellschaft doch eine
der größern unter den reisenden sei und recht ansehnliche, angenehme
Städte besuche, nahm ich diesen Antrag an, kehrte also nach fünf¬
monatlicher, mühseliger Wanderung auf den Punkt zurück, von dem
ich ausgegangen war.




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[0478] dem Theater bringen, daß sie ohne weiteres zur Aufführung gelangen kann und er gibt sich daran, sie vollständig auszuschreiben. Wieder eine Riesenarbeit, die ihm Jahre kostet. Nun ist er fertig. Er schreibt manchen Brief, in dem er sein Werk anbietet — und erhält vielleicht keine Antwort. Sein Wunsch, die Oper zu hören, wird immer glü¬ hender, all sein Sinnen und Denken drängt sich in dieser Oper zu¬ sammen. Sie ist der Schatz, den er sorgsam beachtet. Wenn ihm einfällt, es könne Feuer in seinem Häuschen ausbrechen, schaudert er zusammen, er überlegt, wie er dann seine Oper retten könne, und ist auf den Fall vorbereitet und gerüstet. Und immer glühender wird der Wunsch, seine Oper zu hören. Er hat keinen andern mehr, er ist be¬ reit, für dessen Erfüllung alle möglichen Opfer zu bringen, sein Seh¬ nen wird krankhaft, eine stille Trauer lagert sich über seinen Geist, je mehr ihm die Hoffnung schwindet — und er stirbt endlich, ohne seinen Wunsch erfüllt zu sehen — sein letzter Blick fällt auf seine Oper. Ar¬ mer Mann, du hattest nur eins im Leben geschaffen und das war zwecklos, du hattest nur einen Wunsch, einen kleinen, dürftigen Wunsch, und er ward nicht erfüllt! Doch genug von diesem Bilde. Ich erhielt plötzlich einen Brief meines alten Directors, den ich vor fünf Monaten verlassen hatte, um meine Kunstreise anzutreten, worin er mir meine frühere Stellung wie¬ der anbot. Zur Einsicht gekommen, daß ich erst in einem bestimmten Fache etwas leisten müsse, ehe ich Anspruch auf eine Anstellung an einem größern Theater machen könnte, wenn ich daselbst eben nicht un¬ tergeordnet dastehen wollte, überlegend, daß diese Gesellschaft doch eine der größern unter den reisenden sei und recht ansehnliche, angenehme Städte besuche, nahm ich diesen Antrag an, kehrte also nach fünf¬ monatlicher, mühseliger Wanderung auf den Punkt zurück, von dem ich ausgegangen war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/478>, abgerufen am 26.08.2024.