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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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sollte Mangel an Charakterfestigkeit die Zurechnungsfähigkeit überhaupt
aufheben? Auch Panther war ein Schauspielerkind -- auch bei ihm
fand vielleicht jenes Mißverhältniß der Ausbildung und Erziehung
statt, welches ich vorhin erwähnte. Auch Zebra, mit dem ich meine
Reise angetreten hatte, ging diesem Schicksal entgegen -- der Unter¬
schied zwischen ihm und Panther bestand nur darin, daß Letzterer ge¬
nialer war, daß Ersterer dagegen bet nüchternem Muthe sein Verderben
vor Augen sah und oft bittere, verzweiflungsvolle Thränen weinte,
weil er selbst die Kraft in sich nicht fühlte, den Lockungen des Trin¬
kens zu widerstehen, gleich wie ein armer Vogel nicht die Kraft hat,
dem glühenden Blick der Schlange auszuweichen und zuletzt rettungs¬
los in ihren Rachen fällt. Und auch Zebra war ein Schauspielerkind.
Möchten doch alle Schauspieler das bedenken und ihre Kinder vor
häufigem Besuch des Theaters fern halten, bis der reifer gewordene
Geist in späterem Alter im Stande ist, die blendenden Eindrücke auf
die Einbildungskraft zu verarbeiten und in'S Gleichgewicht zu bringen.
Neben diesen zwei Beispielen eines gänzlichen Versinkens in das Elend
sind mir noch mehrere aufgestoßen. Ich kannte eine Frau, die einst
als tüchtige Sängerin geglänzt hatte und so weit heruntergekommen
war, daß sie ihre eigne Tochter verkuppelte, um Brod -- und Brannt¬
wein zu haben.

Und noch voriges Jahr kam ein Mann nach Ulmhain, den ich
auch auf einer hohen Stufe der Künstlerlaufbahn gesehen hatte und
der als Bettler förmlich auftrat, eine Gabe zur Weiterreise heischend.
Er hatte keine vorherrschende Leidenschaft, allein eine bodenlose Anma¬
ßung, ein grenzenloser Dünkel hatten ihn überall unerträglich gemacht.
So lange er noch jung und kräftig war und seine Leistungen das
Publicum hinrissen, ertrug man diese Anmaßung -- sobald er aber
nicht mehr einen ersten Rang unter den Künstlern einnahm, wandte
man ihm den Rücken -- und er kam als Bettler in die Städte, deren
Publicum ihm sonst Kränze geworfen hatte. Sein Geschick erscheint
mir vor allen das verdienteste, denn einer Leidenschaft unterliegen ist
am Ende ein Besiegtwerden von einer dämonischen Gewalt, während
dünkelhafte Anmaßung nicht Charakterschwäche, sondern Charakter¬
fehler ist.

Bei der Espcnwalder Gesellschaft zu bleiben, konnte mir nicht
einfallen und als ich mich etwas erholt hatte, setzte ich meine Reise
fort. Ich wandte mich seitwärts, wo noch einige große Städte lagen.

In Eschendorf war ein Theater, man sagte mir, ein fürstliches.


sollte Mangel an Charakterfestigkeit die Zurechnungsfähigkeit überhaupt
aufheben? Auch Panther war ein Schauspielerkind — auch bei ihm
fand vielleicht jenes Mißverhältniß der Ausbildung und Erziehung
statt, welches ich vorhin erwähnte. Auch Zebra, mit dem ich meine
Reise angetreten hatte, ging diesem Schicksal entgegen — der Unter¬
schied zwischen ihm und Panther bestand nur darin, daß Letzterer ge¬
nialer war, daß Ersterer dagegen bet nüchternem Muthe sein Verderben
vor Augen sah und oft bittere, verzweiflungsvolle Thränen weinte,
weil er selbst die Kraft in sich nicht fühlte, den Lockungen des Trin¬
kens zu widerstehen, gleich wie ein armer Vogel nicht die Kraft hat,
dem glühenden Blick der Schlange auszuweichen und zuletzt rettungs¬
los in ihren Rachen fällt. Und auch Zebra war ein Schauspielerkind.
Möchten doch alle Schauspieler das bedenken und ihre Kinder vor
häufigem Besuch des Theaters fern halten, bis der reifer gewordene
Geist in späterem Alter im Stande ist, die blendenden Eindrücke auf
die Einbildungskraft zu verarbeiten und in'S Gleichgewicht zu bringen.
Neben diesen zwei Beispielen eines gänzlichen Versinkens in das Elend
sind mir noch mehrere aufgestoßen. Ich kannte eine Frau, die einst
als tüchtige Sängerin geglänzt hatte und so weit heruntergekommen
war, daß sie ihre eigne Tochter verkuppelte, um Brod — und Brannt¬
wein zu haben.

Und noch voriges Jahr kam ein Mann nach Ulmhain, den ich
auch auf einer hohen Stufe der Künstlerlaufbahn gesehen hatte und
der als Bettler förmlich auftrat, eine Gabe zur Weiterreise heischend.
Er hatte keine vorherrschende Leidenschaft, allein eine bodenlose Anma¬
ßung, ein grenzenloser Dünkel hatten ihn überall unerträglich gemacht.
So lange er noch jung und kräftig war und seine Leistungen das
Publicum hinrissen, ertrug man diese Anmaßung — sobald er aber
nicht mehr einen ersten Rang unter den Künstlern einnahm, wandte
man ihm den Rücken — und er kam als Bettler in die Städte, deren
Publicum ihm sonst Kränze geworfen hatte. Sein Geschick erscheint
mir vor allen das verdienteste, denn einer Leidenschaft unterliegen ist
am Ende ein Besiegtwerden von einer dämonischen Gewalt, während
dünkelhafte Anmaßung nicht Charakterschwäche, sondern Charakter¬
fehler ist.

Bei der Espcnwalder Gesellschaft zu bleiben, konnte mir nicht
einfallen und als ich mich etwas erholt hatte, setzte ich meine Reise
fort. Ich wandte mich seitwärts, wo noch einige große Städte lagen.

In Eschendorf war ein Theater, man sagte mir, ein fürstliches.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/475>, abgerufen am 23.07.2024.