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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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stand vor mir. Wir sagten ihm Bescheid und eilten weiter. Ich hatte
Panther früher gekannt, er war einer der talentvollsten Schauspieler,
die ich je gesehen hatte. Sein Name tönte noch in meinen Jugend-
erinnerungen. Ich entsann mich seiner Gastspiele, die das Publicum
meiner Vaterstadt zu lauter Begeisterung hinrissen -- sein Name zählte
unter den berühmtesten der deutschen Schauspieler. Und in diesem
Aufzuge? Er war früher bei den ersten Bühnen Deutschlands mit
einem Gehalte angestellt, wie er nur den Ausgezeichnetsten bewilligt
wird, er war an vielen Orten der gefeierte Liebling des Publicums
gewesen, der Fürst von * * " hatte mehrmals seine bedeutenden Schul¬
den bezahlt, um ihn seiner Bühne zu erhalten -- und dieser Mann
in diesem Aufzuge? Ich entsann mich seiner immer mehr, mir sielen
die Erzählungen ein, die ich über ihn gehört. Von jeher hatte er eine
tolle Verschwendung geübt, und namentlich die Freuden der Tafel und
das Spiel hatten seine Vermögensumstände zerrüttet. Oft war ihm
von außen Hülfe angeboten und geleistet worden -- aber immer ver¬
geblich. Seine immer steigende Genußsucht hatte seine besten Freunde
gezwungen, ihn fallen zu lassen und den Mann, der früher in fürstli¬
chen Kreisen ein willkommener Gast gewesen war, trafen wir jetzt auf
der Landstraße, in der Gestalt eines Bettlers. Ein so bedeutendes Ta¬
lent, ein so reich begabter Mensch ohne allen sittlichen Halt, ohne al>
im Charakter! Welch ein Räthsel. Ein Mensch, der das Schöne und
Edle so trefflich darzustellen vermochte, mußte er nicht auch von ihm
ergriffen sein, mußte er eS nicht in seinem Innersten fühlen? Und doch
konnte er es nicht zur Ausführung bringen?

Als wir zurückkehrten, erhielten wir die Nachricht, Panther werde
morgen spielen und zwar den Traffaldino in Goldoni's altem Lust¬
spiele: "Der Diener zweier Herren." Wir waren sehr gespannt. Der
andere Morgen, mit ihm die Probe, kam heran. Panther erschien in
geliehenen Kleidern, aber sein ganzes Wesen, seine Art und Weife, sich
zu benehmen, machte einen großen Eindruck -- man sah in ihm den
Mann, der in den besten Kreisen gelebt hatte; er besaß noch jene Fein¬
heit, jene Würde, die einen vornehmen Mann bezeichnen. Er spielte
in der Probe meisterhaft -- ach, ich hatte lange eine solche Darstel¬
lung nicht gesehen. Diese Beweglichkeit, diese verschmitzte Dummheit,
diese Schelmerei, die er in die Rolle legte, die Gewandtheit, die plumpe
Grazie, das Mienensptel, mit dem er Alles darstellte, war unübertreff¬
lich. Ich gewann den Mann förmlich lieb. Die Probe war zu Ende,
er fing mit uns ein Gespräch an, wir traten auf sein Begehr in ein


stand vor mir. Wir sagten ihm Bescheid und eilten weiter. Ich hatte
Panther früher gekannt, er war einer der talentvollsten Schauspieler,
die ich je gesehen hatte. Sein Name tönte noch in meinen Jugend-
erinnerungen. Ich entsann mich seiner Gastspiele, die das Publicum
meiner Vaterstadt zu lauter Begeisterung hinrissen — sein Name zählte
unter den berühmtesten der deutschen Schauspieler. Und in diesem
Aufzuge? Er war früher bei den ersten Bühnen Deutschlands mit
einem Gehalte angestellt, wie er nur den Ausgezeichnetsten bewilligt
wird, er war an vielen Orten der gefeierte Liebling des Publicums
gewesen, der Fürst von * * " hatte mehrmals seine bedeutenden Schul¬
den bezahlt, um ihn seiner Bühne zu erhalten — und dieser Mann
in diesem Aufzuge? Ich entsann mich seiner immer mehr, mir sielen
die Erzählungen ein, die ich über ihn gehört. Von jeher hatte er eine
tolle Verschwendung geübt, und namentlich die Freuden der Tafel und
das Spiel hatten seine Vermögensumstände zerrüttet. Oft war ihm
von außen Hülfe angeboten und geleistet worden — aber immer ver¬
geblich. Seine immer steigende Genußsucht hatte seine besten Freunde
gezwungen, ihn fallen zu lassen und den Mann, der früher in fürstli¬
chen Kreisen ein willkommener Gast gewesen war, trafen wir jetzt auf
der Landstraße, in der Gestalt eines Bettlers. Ein so bedeutendes Ta¬
lent, ein so reich begabter Mensch ohne allen sittlichen Halt, ohne al>
im Charakter! Welch ein Räthsel. Ein Mensch, der das Schöne und
Edle so trefflich darzustellen vermochte, mußte er nicht auch von ihm
ergriffen sein, mußte er eS nicht in seinem Innersten fühlen? Und doch
konnte er es nicht zur Ausführung bringen?

Als wir zurückkehrten, erhielten wir die Nachricht, Panther werde
morgen spielen und zwar den Traffaldino in Goldoni's altem Lust¬
spiele: „Der Diener zweier Herren." Wir waren sehr gespannt. Der
andere Morgen, mit ihm die Probe, kam heran. Panther erschien in
geliehenen Kleidern, aber sein ganzes Wesen, seine Art und Weife, sich
zu benehmen, machte einen großen Eindruck — man sah in ihm den
Mann, der in den besten Kreisen gelebt hatte; er besaß noch jene Fein¬
heit, jene Würde, die einen vornehmen Mann bezeichnen. Er spielte
in der Probe meisterhaft — ach, ich hatte lange eine solche Darstel¬
lung nicht gesehen. Diese Beweglichkeit, diese verschmitzte Dummheit,
diese Schelmerei, die er in die Rolle legte, die Gewandtheit, die plumpe
Grazie, das Mienensptel, mit dem er Alles darstellte, war unübertreff¬
lich. Ich gewann den Mann förmlich lieb. Die Probe war zu Ende,
er fing mit uns ein Gespräch an, wir traten auf sein Begehr in ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/472>, abgerufen am 23.07.2024.