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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Thier stürzte herunter, dicht vor das Grab hin, sah sich einen Augen¬
blick erschrocken um und lief dann an einer Coulisse in die Höhe. Das
war zu viel! Hengst verlor die Geduld, riß seinen krummen Säbel
aus der Scheide und ging auf den Kater los, der überall Menschen
sehend an der Coulisse hängen blieb und ihn nach Katzenart anfletschte.
Erschrocken sprang der tapfere Emir zurück und hier ließen wir den
Vorhang unter schallendem Gelächter des Publicums fallen.

Lange hielt ich es in diesen engen Verhältnissen nicht aus und
entschloß mich bald zur Weiterreise. Zebra jedoch hatte alle Spann¬
kraft bereits verloren, er verbarg sich bei Hengst zum Decorations-
maler, nach Art aller schwachen Menschen, die eine Hülfe, eine Ver¬
besserung ihrer Lage immer von außen her erwarten und ihre eignen
Kräfte nicht anstrengen wollen, die, wenn sie einmal einen Aufschwung
zu eigner Thätigkeit genommen haben, gleich ermattet wieder zurück¬
sinken und nun zur Belohnung dieses Aufschwunges um so eher äußere
Einwirkungen begehren und über die Undankbarkeit der Menschen und
die Erbärmlichkeit der Welt bitter murren, wenn sie nach wie vor in
ihrer schlechten Lage bleiben, die sie doch sell>se verbessern könnten, wenn
sie Muth und Thätigkeit entfalten wollten.

Nachdem ich nun meinen Körper, meinen frischen Muth und meinen
Beutel etwas gestärkt hatte -- der letztere war freilich immer noch sehr
schwach -- wanderte ich weiter. In Birkenhain ward eben ein neues
Stadttheater auf Actien eingerichtet, allein ich fand daselbst kein Unter¬
kommen und wurde von einem berühmten Manne, der an der Spitze
stand, ziemlich kurz und barsch abgewiesen. Der Abend überraschte
mich bei einem kleinen Dorfe. Ich beschloß da zu übernachten und
traf bei meinem Eintritt in das Wirthshaus meinen Unglückskameraden
Gaul aus Schlchdorf, an einem Tische sitzend, auf welchem eine Masse
bunter Lappen umherlagen. Er freute sich sehr, mich zu sehen, und
erzählte mir, seine Frau habe ein Unterkommen bei einer kleinen Ge¬
sellschaft gefunden, wo sie sousfliren müsse. Er habe sie da gelassen
sammt den Kindern und sie müsse sehen, wie sie sich durchdringe. Er
sei nun auf der Reise, um ein Unterkommen zu suchen. Ich fragte
ihn, was er mit den Lappen mache. Er seufzte etwas und sagte:
"Am sechsten Abend meiner Wanderschaft kam ich hier an, ermüdet,
mit wunden Füßen, ohne einen Pfennig Geld, also gänzlich außer
Stande, meine Wanderung fortzusetzen und dringend einiger Tage Ruhe
bedürftig. Sie werden gesehen haben, daß das Dorf ziemlich groß
und wohlhabend ist, ich beschloß also, die Bauern etwas zu brant-


Thier stürzte herunter, dicht vor das Grab hin, sah sich einen Augen¬
blick erschrocken um und lief dann an einer Coulisse in die Höhe. Das
war zu viel! Hengst verlor die Geduld, riß seinen krummen Säbel
aus der Scheide und ging auf den Kater los, der überall Menschen
sehend an der Coulisse hängen blieb und ihn nach Katzenart anfletschte.
Erschrocken sprang der tapfere Emir zurück und hier ließen wir den
Vorhang unter schallendem Gelächter des Publicums fallen.

Lange hielt ich es in diesen engen Verhältnissen nicht aus und
entschloß mich bald zur Weiterreise. Zebra jedoch hatte alle Spann¬
kraft bereits verloren, er verbarg sich bei Hengst zum Decorations-
maler, nach Art aller schwachen Menschen, die eine Hülfe, eine Ver¬
besserung ihrer Lage immer von außen her erwarten und ihre eignen
Kräfte nicht anstrengen wollen, die, wenn sie einmal einen Aufschwung
zu eigner Thätigkeit genommen haben, gleich ermattet wieder zurück¬
sinken und nun zur Belohnung dieses Aufschwunges um so eher äußere
Einwirkungen begehren und über die Undankbarkeit der Menschen und
die Erbärmlichkeit der Welt bitter murren, wenn sie nach wie vor in
ihrer schlechten Lage bleiben, die sie doch sell>se verbessern könnten, wenn
sie Muth und Thätigkeit entfalten wollten.

Nachdem ich nun meinen Körper, meinen frischen Muth und meinen
Beutel etwas gestärkt hatte — der letztere war freilich immer noch sehr
schwach — wanderte ich weiter. In Birkenhain ward eben ein neues
Stadttheater auf Actien eingerichtet, allein ich fand daselbst kein Unter¬
kommen und wurde von einem berühmten Manne, der an der Spitze
stand, ziemlich kurz und barsch abgewiesen. Der Abend überraschte
mich bei einem kleinen Dorfe. Ich beschloß da zu übernachten und
traf bei meinem Eintritt in das Wirthshaus meinen Unglückskameraden
Gaul aus Schlchdorf, an einem Tische sitzend, auf welchem eine Masse
bunter Lappen umherlagen. Er freute sich sehr, mich zu sehen, und
erzählte mir, seine Frau habe ein Unterkommen bei einer kleinen Ge¬
sellschaft gefunden, wo sie sousfliren müsse. Er habe sie da gelassen
sammt den Kindern und sie müsse sehen, wie sie sich durchdringe. Er
sei nun auf der Reise, um ein Unterkommen zu suchen. Ich fragte
ihn, was er mit den Lappen mache. Er seufzte etwas und sagte:
„Am sechsten Abend meiner Wanderschaft kam ich hier an, ermüdet,
mit wunden Füßen, ohne einen Pfennig Geld, also gänzlich außer
Stande, meine Wanderung fortzusetzen und dringend einiger Tage Ruhe
bedürftig. Sie werden gesehen haben, daß das Dorf ziemlich groß
und wohlhabend ist, ich beschloß also, die Bauern etwas zu brant-


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[0467] Thier stürzte herunter, dicht vor das Grab hin, sah sich einen Augen¬ blick erschrocken um und lief dann an einer Coulisse in die Höhe. Das war zu viel! Hengst verlor die Geduld, riß seinen krummen Säbel aus der Scheide und ging auf den Kater los, der überall Menschen sehend an der Coulisse hängen blieb und ihn nach Katzenart anfletschte. Erschrocken sprang der tapfere Emir zurück und hier ließen wir den Vorhang unter schallendem Gelächter des Publicums fallen. Lange hielt ich es in diesen engen Verhältnissen nicht aus und entschloß mich bald zur Weiterreise. Zebra jedoch hatte alle Spann¬ kraft bereits verloren, er verbarg sich bei Hengst zum Decorations- maler, nach Art aller schwachen Menschen, die eine Hülfe, eine Ver¬ besserung ihrer Lage immer von außen her erwarten und ihre eignen Kräfte nicht anstrengen wollen, die, wenn sie einmal einen Aufschwung zu eigner Thätigkeit genommen haben, gleich ermattet wieder zurück¬ sinken und nun zur Belohnung dieses Aufschwunges um so eher äußere Einwirkungen begehren und über die Undankbarkeit der Menschen und die Erbärmlichkeit der Welt bitter murren, wenn sie nach wie vor in ihrer schlechten Lage bleiben, die sie doch sell>se verbessern könnten, wenn sie Muth und Thätigkeit entfalten wollten. Nachdem ich nun meinen Körper, meinen frischen Muth und meinen Beutel etwas gestärkt hatte — der letztere war freilich immer noch sehr schwach — wanderte ich weiter. In Birkenhain ward eben ein neues Stadttheater auf Actien eingerichtet, allein ich fand daselbst kein Unter¬ kommen und wurde von einem berühmten Manne, der an der Spitze stand, ziemlich kurz und barsch abgewiesen. Der Abend überraschte mich bei einem kleinen Dorfe. Ich beschloß da zu übernachten und traf bei meinem Eintritt in das Wirthshaus meinen Unglückskameraden Gaul aus Schlchdorf, an einem Tische sitzend, auf welchem eine Masse bunter Lappen umherlagen. Er freute sich sehr, mich zu sehen, und erzählte mir, seine Frau habe ein Unterkommen bei einer kleinen Ge¬ sellschaft gefunden, wo sie sousfliren müsse. Er habe sie da gelassen sammt den Kindern und sie müsse sehen, wie sie sich durchdringe. Er sei nun auf der Reise, um ein Unterkommen zu suchen. Ich fragte ihn, was er mit den Lappen mache. Er seufzte etwas und sagte: „Am sechsten Abend meiner Wanderschaft kam ich hier an, ermüdet, mit wunden Füßen, ohne einen Pfennig Geld, also gänzlich außer Stande, meine Wanderung fortzusetzen und dringend einiger Tage Ruhe bedürftig. Sie werden gesehen haben, daß das Dorf ziemlich groß und wohlhabend ist, ich beschloß also, die Bauern etwas zu brant-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/467>, abgerufen am 23.07.2024.