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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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unsern mehrtägigen Aufenthalt zu bezahlen ; um eine Stadt zu erreichen,
in der sich etwas hoffen ließ, mußten wir wenigstens drei Tagereisen
machen; eS blieb uns also nichts übrig, als einen unserer Tornister
mit der Post nach Ulmhain -- denn das war jene Stadt -- voraus¬
zuschicken und darauf PostVorschuß zu nehmen. Wir trösteten uns je¬
doch, daß wir so desto leichter gingen und wanderten frohen Muthes
weiter. Es war eine fröhliche Wanderung. Die Sonne schien so
heiter, das erste Grün begann zu knospen und wir hatten frischen
Muth in der Brust. Doch als der Al'end herankam und wir unsere
Baarschaft überzählten, fanden wir noch fünf Silbergroschen. Das
reichte nicht hin, um ein Nachtlager zu bezahlen. Wir schauten uns
um; seitwärts vom Wege stand ein einladendes Wäldchen -- rasch
entschlossen wanderten wir da hinein, machten uns von Laub ein Lager
zurecht, deckten uns mit Laub zu und schliefen unter Gottes freiem
Himmel sehr gut. Mit dem frischen Morgen brachen wir auf und
zogen weiter, bis wir am Alund an ein Städtchen kamen. Daß un¬
sere fünf Groschen den Tag über drauf gegangen waren, können Sie
sich denken, jetzt waren wir müde und hungrig. Noch eine Nacht im
Freien? Wir hatten dazu keine Lust und gingen frisch in des Städtchens
einzigen, folglich besten Gasthof, ließen uns auftischen, aßen und tran¬
ken nach Herzenslust und überlegten nun, wovon bezahlen. Die Post
war unser letztes Rettungsmittel. Sie übernahm es, den letzten Tor¬
nister nach Ulmhain zu besorgen und leistete uns einen Vorschuß von
wenigen Thalern. Und es ward Morgen und wieder Abend und wir
waren wieder einen Tag lang gewandert durch Wälder und Felder,
durch Haide und Moor, aber Ulmhain erreichten wir wieder nicht. Wir trö¬
steten uns mit den Juden, die vierzig Jahre nach Palästina gewandert
waren und nicht gemurrt hatten; wir schliefen im Gasthofe und bezahlten
unsern letzten Pfennig für das Nachtlager. Noch hatten wir fünf Stun¬
den Wegs bis Ulmhain. Mit hungrigem Magen machten wir uns auf
die Socken. Doch gleich zu Anfange trafen wir auf eine Brücke, wo
wir Brückenzoll zahlen sollten. Brückenzoll? Wir besaßen keinen rothen
Heller und mußten den bärbeißigen Einnehmer so lange bitten, bis er
uns unverzollt durchließ. Der letzte Weg ward uns sauer. Die Sonne
brannte heiß auf der schattenlosen Heerstraße, durch einen dreitägigen
Marsch waren wir ermüdet und kein Frühstück hatte uns gestärkt.
Wir hielten bei jedem Brunnen an und suchten unsern knurrenden
Magen durch Wasser zu besänftigen; wenn aber auch Wasser neuer¬
dings gegen Gicht und Schnupfen, gegen Schwindsucht und alle mög-


unsern mehrtägigen Aufenthalt zu bezahlen ; um eine Stadt zu erreichen,
in der sich etwas hoffen ließ, mußten wir wenigstens drei Tagereisen
machen; eS blieb uns also nichts übrig, als einen unserer Tornister
mit der Post nach Ulmhain — denn das war jene Stadt — voraus¬
zuschicken und darauf PostVorschuß zu nehmen. Wir trösteten uns je¬
doch, daß wir so desto leichter gingen und wanderten frohen Muthes
weiter. Es war eine fröhliche Wanderung. Die Sonne schien so
heiter, das erste Grün begann zu knospen und wir hatten frischen
Muth in der Brust. Doch als der Al'end herankam und wir unsere
Baarschaft überzählten, fanden wir noch fünf Silbergroschen. Das
reichte nicht hin, um ein Nachtlager zu bezahlen. Wir schauten uns
um; seitwärts vom Wege stand ein einladendes Wäldchen — rasch
entschlossen wanderten wir da hinein, machten uns von Laub ein Lager
zurecht, deckten uns mit Laub zu und schliefen unter Gottes freiem
Himmel sehr gut. Mit dem frischen Morgen brachen wir auf und
zogen weiter, bis wir am Alund an ein Städtchen kamen. Daß un¬
sere fünf Groschen den Tag über drauf gegangen waren, können Sie
sich denken, jetzt waren wir müde und hungrig. Noch eine Nacht im
Freien? Wir hatten dazu keine Lust und gingen frisch in des Städtchens
einzigen, folglich besten Gasthof, ließen uns auftischen, aßen und tran¬
ken nach Herzenslust und überlegten nun, wovon bezahlen. Die Post
war unser letztes Rettungsmittel. Sie übernahm es, den letzten Tor¬
nister nach Ulmhain zu besorgen und leistete uns einen Vorschuß von
wenigen Thalern. Und es ward Morgen und wieder Abend und wir
waren wieder einen Tag lang gewandert durch Wälder und Felder,
durch Haide und Moor, aber Ulmhain erreichten wir wieder nicht. Wir trö¬
steten uns mit den Juden, die vierzig Jahre nach Palästina gewandert
waren und nicht gemurrt hatten; wir schliefen im Gasthofe und bezahlten
unsern letzten Pfennig für das Nachtlager. Noch hatten wir fünf Stun¬
den Wegs bis Ulmhain. Mit hungrigem Magen machten wir uns auf
die Socken. Doch gleich zu Anfange trafen wir auf eine Brücke, wo
wir Brückenzoll zahlen sollten. Brückenzoll? Wir besaßen keinen rothen
Heller und mußten den bärbeißigen Einnehmer so lange bitten, bis er
uns unverzollt durchließ. Der letzte Weg ward uns sauer. Die Sonne
brannte heiß auf der schattenlosen Heerstraße, durch einen dreitägigen
Marsch waren wir ermüdet und kein Frühstück hatte uns gestärkt.
Wir hielten bei jedem Brunnen an und suchten unsern knurrenden
Magen durch Wasser zu besänftigen; wenn aber auch Wasser neuer¬
dings gegen Gicht und Schnupfen, gegen Schwindsucht und alle mög-


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[0464] unsern mehrtägigen Aufenthalt zu bezahlen ; um eine Stadt zu erreichen, in der sich etwas hoffen ließ, mußten wir wenigstens drei Tagereisen machen; eS blieb uns also nichts übrig, als einen unserer Tornister mit der Post nach Ulmhain — denn das war jene Stadt — voraus¬ zuschicken und darauf PostVorschuß zu nehmen. Wir trösteten uns je¬ doch, daß wir so desto leichter gingen und wanderten frohen Muthes weiter. Es war eine fröhliche Wanderung. Die Sonne schien so heiter, das erste Grün begann zu knospen und wir hatten frischen Muth in der Brust. Doch als der Al'end herankam und wir unsere Baarschaft überzählten, fanden wir noch fünf Silbergroschen. Das reichte nicht hin, um ein Nachtlager zu bezahlen. Wir schauten uns um; seitwärts vom Wege stand ein einladendes Wäldchen — rasch entschlossen wanderten wir da hinein, machten uns von Laub ein Lager zurecht, deckten uns mit Laub zu und schliefen unter Gottes freiem Himmel sehr gut. Mit dem frischen Morgen brachen wir auf und zogen weiter, bis wir am Alund an ein Städtchen kamen. Daß un¬ sere fünf Groschen den Tag über drauf gegangen waren, können Sie sich denken, jetzt waren wir müde und hungrig. Noch eine Nacht im Freien? Wir hatten dazu keine Lust und gingen frisch in des Städtchens einzigen, folglich besten Gasthof, ließen uns auftischen, aßen und tran¬ ken nach Herzenslust und überlegten nun, wovon bezahlen. Die Post war unser letztes Rettungsmittel. Sie übernahm es, den letzten Tor¬ nister nach Ulmhain zu besorgen und leistete uns einen Vorschuß von wenigen Thalern. Und es ward Morgen und wieder Abend und wir waren wieder einen Tag lang gewandert durch Wälder und Felder, durch Haide und Moor, aber Ulmhain erreichten wir wieder nicht. Wir trö¬ steten uns mit den Juden, die vierzig Jahre nach Palästina gewandert waren und nicht gemurrt hatten; wir schliefen im Gasthofe und bezahlten unsern letzten Pfennig für das Nachtlager. Noch hatten wir fünf Stun¬ den Wegs bis Ulmhain. Mit hungrigem Magen machten wir uns auf die Socken. Doch gleich zu Anfange trafen wir auf eine Brücke, wo wir Brückenzoll zahlen sollten. Brückenzoll? Wir besaßen keinen rothen Heller und mußten den bärbeißigen Einnehmer so lange bitten, bis er uns unverzollt durchließ. Der letzte Weg ward uns sauer. Die Sonne brannte heiß auf der schattenlosen Heerstraße, durch einen dreitägigen Marsch waren wir ermüdet und kein Frühstück hatte uns gestärkt. Wir hielten bei jedem Brunnen an und suchten unsern knurrenden Magen durch Wasser zu besänftigen; wenn aber auch Wasser neuer¬ dings gegen Gicht und Schnupfen, gegen Schwindsucht und alle mög-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/464>, abgerufen am 23.07.2024.