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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Grund sein, warum es einem Menschen von gewöhnlichen Geistesgaben
so schwer, oft unmöglich wird, dieser Gewohnheit zu entsagen. Allein
man findet Trunksucht so häufig bei talentvollen Männern. Es mag
wohl sein, daß Talent nicht immer mit Willensstärfc vereinigt ist, allein
hier mag noch eine andere Ursache zum Grunde liegen. Der talent¬
volle Mann bevarf der Aufregungen, denn nur die Aufregung ist schö¬
pferisch. Jeder Aufregung folgt eine Abspannung, und diese ist pein¬
lich, wenigstens unangenehm. Sie zu heben, ist Trinken ein gutes
Mittel, und das mag wohl so Manchen zur Flasche führen, bis die
Gewohnheit übermächtig wird.

Genug, so war der Mann beschaffen, mit dem ich meine Kunst¬
reise antreten wollte. Er hatte nichts, ich hatte nichts. Um die Kosten
meines sechswöchentlichen Nichtsthuns aufzubringen, mußte ich meinen
Mantel versetzen -- ich habe ihn nicht wiedergesehen. Mit den nöthig¬
sten Kleidungsstücken versehen, die wir in Tornistern auf dem Rücken
trugen, mit wenigen Thalern in der Tasche wanderten wir vergnügt
in die schöne Welt hinaus -- frischen Muth, ein fröhliches Herz und
ein paar ganze Sohlen unter den Schuhen -- stand uns nicht die
ganze Welt offen? Wir wollten Concerte geben und dachten viel Geld
zu verdienen, um herrlich und in Freuden reisen zu können. Doch ist
es damit eine eigne Sache. Wenn die Concertgeber mit vier Pferden
Ertrapost kommen und zwei Thaler Eintrittsgeld nehmen, machen sie
gute Geschäfte; kommen sie aber zu Fuße, so werden sie. vom Publi¬
kum so über die Achseln angesehen, wie auf der Landstraße von den
Gastwirthen. Das ist einmal so und mag wohl natürlich sein. Die
Menschen sehen nur das Aeußere und schließen von dem auf das Innere.
Wenn jenes wenig verspricht, wer mag sich die Mühe geben, letzteres
kennen zu wollen?

Wir kamen nach zwei Tagereisen in Erlenwalde an, einem hüb¬
schen, ziemlich bedeutenden Städtchen, wo wir etwa sechs Monate
vorher mit der Gesellschaft gewesen und bekannt waren. Hier hofften
wir eine gute Abendunterhaltung zu veranstalten. Wir thaten das
Unsrige, kündigten allerhand hübsche Sachen an, abwechselnd Lieder
mit Vorträgen von Gedichten u. s. w., und sammelten Unterschriften.
Mit letztem wollte es nicht recht fort, ich glaube, mit Mühe und Noth
brachten wir dreizehn zusammen. Doch wir hofften das Beste. Der
Abend des Concertes kam heran-- wir warteten und warteten -- auch
nicht Eine Seele fand sich ein, unser erster Versuch war vollständig
mißglückt. Die wenigen Thaler, die wir hatten, reichten nicht hin.


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Grund sein, warum es einem Menschen von gewöhnlichen Geistesgaben
so schwer, oft unmöglich wird, dieser Gewohnheit zu entsagen. Allein
man findet Trunksucht so häufig bei talentvollen Männern. Es mag
wohl sein, daß Talent nicht immer mit Willensstärfc vereinigt ist, allein
hier mag noch eine andere Ursache zum Grunde liegen. Der talent¬
volle Mann bevarf der Aufregungen, denn nur die Aufregung ist schö¬
pferisch. Jeder Aufregung folgt eine Abspannung, und diese ist pein¬
lich, wenigstens unangenehm. Sie zu heben, ist Trinken ein gutes
Mittel, und das mag wohl so Manchen zur Flasche führen, bis die
Gewohnheit übermächtig wird.

Genug, so war der Mann beschaffen, mit dem ich meine Kunst¬
reise antreten wollte. Er hatte nichts, ich hatte nichts. Um die Kosten
meines sechswöchentlichen Nichtsthuns aufzubringen, mußte ich meinen
Mantel versetzen — ich habe ihn nicht wiedergesehen. Mit den nöthig¬
sten Kleidungsstücken versehen, die wir in Tornistern auf dem Rücken
trugen, mit wenigen Thalern in der Tasche wanderten wir vergnügt
in die schöne Welt hinaus — frischen Muth, ein fröhliches Herz und
ein paar ganze Sohlen unter den Schuhen — stand uns nicht die
ganze Welt offen? Wir wollten Concerte geben und dachten viel Geld
zu verdienen, um herrlich und in Freuden reisen zu können. Doch ist
es damit eine eigne Sache. Wenn die Concertgeber mit vier Pferden
Ertrapost kommen und zwei Thaler Eintrittsgeld nehmen, machen sie
gute Geschäfte; kommen sie aber zu Fuße, so werden sie. vom Publi¬
kum so über die Achseln angesehen, wie auf der Landstraße von den
Gastwirthen. Das ist einmal so und mag wohl natürlich sein. Die
Menschen sehen nur das Aeußere und schließen von dem auf das Innere.
Wenn jenes wenig verspricht, wer mag sich die Mühe geben, letzteres
kennen zu wollen?

Wir kamen nach zwei Tagereisen in Erlenwalde an, einem hüb¬
schen, ziemlich bedeutenden Städtchen, wo wir etwa sechs Monate
vorher mit der Gesellschaft gewesen und bekannt waren. Hier hofften
wir eine gute Abendunterhaltung zu veranstalten. Wir thaten das
Unsrige, kündigten allerhand hübsche Sachen an, abwechselnd Lieder
mit Vorträgen von Gedichten u. s. w., und sammelten Unterschriften.
Mit letztem wollte es nicht recht fort, ich glaube, mit Mühe und Noth
brachten wir dreizehn zusammen. Doch wir hofften das Beste. Der
Abend des Concertes kam heran— wir warteten und warteten — auch
nicht Eine Seele fand sich ein, unser erster Versuch war vollständig
mißglückt. Die wenigen Thaler, die wir hatten, reichten nicht hin.


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[0463] Grund sein, warum es einem Menschen von gewöhnlichen Geistesgaben so schwer, oft unmöglich wird, dieser Gewohnheit zu entsagen. Allein man findet Trunksucht so häufig bei talentvollen Männern. Es mag wohl sein, daß Talent nicht immer mit Willensstärfc vereinigt ist, allein hier mag noch eine andere Ursache zum Grunde liegen. Der talent¬ volle Mann bevarf der Aufregungen, denn nur die Aufregung ist schö¬ pferisch. Jeder Aufregung folgt eine Abspannung, und diese ist pein¬ lich, wenigstens unangenehm. Sie zu heben, ist Trinken ein gutes Mittel, und das mag wohl so Manchen zur Flasche führen, bis die Gewohnheit übermächtig wird. Genug, so war der Mann beschaffen, mit dem ich meine Kunst¬ reise antreten wollte. Er hatte nichts, ich hatte nichts. Um die Kosten meines sechswöchentlichen Nichtsthuns aufzubringen, mußte ich meinen Mantel versetzen — ich habe ihn nicht wiedergesehen. Mit den nöthig¬ sten Kleidungsstücken versehen, die wir in Tornistern auf dem Rücken trugen, mit wenigen Thalern in der Tasche wanderten wir vergnügt in die schöne Welt hinaus — frischen Muth, ein fröhliches Herz und ein paar ganze Sohlen unter den Schuhen — stand uns nicht die ganze Welt offen? Wir wollten Concerte geben und dachten viel Geld zu verdienen, um herrlich und in Freuden reisen zu können. Doch ist es damit eine eigne Sache. Wenn die Concertgeber mit vier Pferden Ertrapost kommen und zwei Thaler Eintrittsgeld nehmen, machen sie gute Geschäfte; kommen sie aber zu Fuße, so werden sie. vom Publi¬ kum so über die Achseln angesehen, wie auf der Landstraße von den Gastwirthen. Das ist einmal so und mag wohl natürlich sein. Die Menschen sehen nur das Aeußere und schließen von dem auf das Innere. Wenn jenes wenig verspricht, wer mag sich die Mühe geben, letzteres kennen zu wollen? Wir kamen nach zwei Tagereisen in Erlenwalde an, einem hüb¬ schen, ziemlich bedeutenden Städtchen, wo wir etwa sechs Monate vorher mit der Gesellschaft gewesen und bekannt waren. Hier hofften wir eine gute Abendunterhaltung zu veranstalten. Wir thaten das Unsrige, kündigten allerhand hübsche Sachen an, abwechselnd Lieder mit Vorträgen von Gedichten u. s. w., und sammelten Unterschriften. Mit letztem wollte es nicht recht fort, ich glaube, mit Mühe und Noth brachten wir dreizehn zusammen. Doch wir hofften das Beste. Der Abend des Concertes kam heran— wir warteten und warteten — auch nicht Eine Seele fand sich ein, unser erster Versuch war vollständig mißglückt. Die wenigen Thaler, die wir hatten, reichten nicht hin. 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/463>, abgerufen am 23.07.2024.