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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Am Mittag des bestimmten Tages wanderte ich also nach Schlehdorf,
um da zu gastiren. Es war das erste Mal, daß ich überhaupt ga-
stirte. Gaul hatte zwischen vier Linden Leinwand spannen lassen --
oben war es offen, die Baumzweige das einzige Dach. Einige Cou¬
lissen waren aufgehangen und ein Vorhang. Der Boden war der
Rasen. Im Zrischauerraum standen drei Holzbünke -- erster Platz
5 Sgr., hinter ihnen war zweiter Platz K 2^ Sgr. zum Stehen.
Ich besah mir die Einrichtung, sie war ganz niedlich. Wir probirten
unsere kleinen Stücke, und um die Stunde des Anfangs setzten wir
uns erwartungsvoll an den Eingang des Zeltes, um die Fünfgroschen¬
stücke für den ersten Platz einzunehmen, und auch die kleinere Münze
für die Stehplätze nicht zu verschmähen. Doch weiß der Henker, ob
damals eine Geldkrisis in Schlehdorf war, wir warteten und warten
ten -- und warteten -- Niemand kam -- Niemand wenigstens, der
Fünfgroschenstücke brachte. Aber andere Gäste ließen sich sehen -- die
Schlehdorfer Straßenjungen. Die Jungen haben immer mehr Herz-
haftigkeit, als die Alten und mochten sich weniger vor uns Teufels¬
braten scheuen, als ihre gottesfürchtigen, fünfgroschenstückarmen
Aeltern. Da nun bekanntlich die armen Städte immer sehr reich an
Kindern sind, da in Schlehdorf wenig Ständeunterschied herrschen mochte
und demnach seine sämmtliche Jugend zu den Straßenjungen zählte,
so sammelte sich ein ' ganz ansehnlicher Schwarm barfüßiger, pelzbe-
kappter, kurzhosiger, ungewaschener Jungen um unsere--Kunstanstalt.
Neugierig umstanden sie uns erst von fern, rückten dann in großen
Kreisen immer näher und begannen plötzlich die umliegenden Bäume
zu erklettern, von wo sie bequem in das Innere unsers Thalientem¬
pels schauen konnten. Die Zeit des Anfangs war längst vorbei, die
Sonne machte bedenkliche Anstalten zum Untergehen, da sie doch die
Stelle der mangelnden Gasbeleuchtung vertreten sollte -- und noch
war kein Gast erschienen, unser Schaugericht in Augenschein zu neh¬
men. Da endlich erschienen von der andern Seite drei muthvolle Män¬
ner, sicher waren sie nicht aus Schlehdorf, und nahten sich zweifeln¬
den Schrittes und fragten: "was das kosten thäte?" Wir nannten
den Preis -- sie zogen sich zurück und pflogen Berathung, endlich bo¬
ten sie zusammen vier Silbergroschen. Jetzt kam Humor in die Sache --
lachend strich ich die vier Groschen ein und ließ die Waghälse Platz
nehmen. Uns war das Warten schon zu lange vorgekommen, den
Jungen auf den Bäumen kam es aber noch länger vor, und sie be¬
gannen ihre Ungeduld durch einige Steinwürfe zu äußern, die sie ge-


Am Mittag des bestimmten Tages wanderte ich also nach Schlehdorf,
um da zu gastiren. Es war das erste Mal, daß ich überhaupt ga-
stirte. Gaul hatte zwischen vier Linden Leinwand spannen lassen —
oben war es offen, die Baumzweige das einzige Dach. Einige Cou¬
lissen waren aufgehangen und ein Vorhang. Der Boden war der
Rasen. Im Zrischauerraum standen drei Holzbünke — erster Platz
5 Sgr., hinter ihnen war zweiter Platz K 2^ Sgr. zum Stehen.
Ich besah mir die Einrichtung, sie war ganz niedlich. Wir probirten
unsere kleinen Stücke, und um die Stunde des Anfangs setzten wir
uns erwartungsvoll an den Eingang des Zeltes, um die Fünfgroschen¬
stücke für den ersten Platz einzunehmen, und auch die kleinere Münze
für die Stehplätze nicht zu verschmähen. Doch weiß der Henker, ob
damals eine Geldkrisis in Schlehdorf war, wir warteten und warten
ten — und warteten — Niemand kam — Niemand wenigstens, der
Fünfgroschenstücke brachte. Aber andere Gäste ließen sich sehen — die
Schlehdorfer Straßenjungen. Die Jungen haben immer mehr Herz-
haftigkeit, als die Alten und mochten sich weniger vor uns Teufels¬
braten scheuen, als ihre gottesfürchtigen, fünfgroschenstückarmen
Aeltern. Da nun bekanntlich die armen Städte immer sehr reich an
Kindern sind, da in Schlehdorf wenig Ständeunterschied herrschen mochte
und demnach seine sämmtliche Jugend zu den Straßenjungen zählte,
so sammelte sich ein ' ganz ansehnlicher Schwarm barfüßiger, pelzbe-
kappter, kurzhosiger, ungewaschener Jungen um unsere—Kunstanstalt.
Neugierig umstanden sie uns erst von fern, rückten dann in großen
Kreisen immer näher und begannen plötzlich die umliegenden Bäume
zu erklettern, von wo sie bequem in das Innere unsers Thalientem¬
pels schauen konnten. Die Zeit des Anfangs war längst vorbei, die
Sonne machte bedenkliche Anstalten zum Untergehen, da sie doch die
Stelle der mangelnden Gasbeleuchtung vertreten sollte — und noch
war kein Gast erschienen, unser Schaugericht in Augenschein zu neh¬
men. Da endlich erschienen von der andern Seite drei muthvolle Män¬
ner, sicher waren sie nicht aus Schlehdorf, und nahten sich zweifeln¬
den Schrittes und fragten: „was das kosten thäte?" Wir nannten
den Preis — sie zogen sich zurück und pflogen Berathung, endlich bo¬
ten sie zusammen vier Silbergroschen. Jetzt kam Humor in die Sache —
lachend strich ich die vier Groschen ein und ließ die Waghälse Platz
nehmen. Uns war das Warten schon zu lange vorgekommen, den
Jungen auf den Bäumen kam es aber noch länger vor, und sie be¬
gannen ihre Ungeduld durch einige Steinwürfe zu äußern, die sie ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/460>, abgerufen am 23.07.2024.