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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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einverleibt wurde und die französische Ministerpresse sogar sich die Aermel
ausschürzte und mit den Zangen klapperte, als wollte es mit einem Riß
den angebohrten Krakauer Zahn aus den Kiefern der drei Machte herausziehen,
jetzt frugen die Polen und Polenfreunde gespannter als je: Nun, Zahn¬
arzt, was wirst du thun? -- Und nach einer Pause voll Erwartung
lispelt leise und verschämt das französische Cabinet: Ich werde mich ins
Meer der Vergessenheit stürzen!

-- Trotz der großen Völkerwanderung deutscher Literaten, die alljähr¬
lich ihren Zug nach Paris nimmt, trotz der zahllosen deutschen Sprach¬
meister, die dort ihren Sitz haben, fehlt es den französischen Blattern
immer noch an guten Uebersetzern deutscher Artikel. Ein Bock, der jetzt
durch alle französischen Blätter lauft, befindet sich in dem Oesterreichisch-
Krakaucr Manifest, das mit den Worten beginnt: Wir Ferdinand d^r
Erste u. s. w. In den meisten Pariser Blättern, die dieses Aktenstück
brachten, beginnt die Uebersetzung mit den Worten.- Rous I<>rei>niiiu1
it'Kstö etc.

-- Die Mährchenzcit ist wieder da; Weihnachten schlägt sein Zelt auf
und die Buchläden schmücken sich mit hundert neuen Fabeln- und Mähr¬
chenbüchern. Das ist die glücklichste Zeit deutscher Phantasie. Das Ge¬
müth des Deutschen hat einen wahren Glaubenshun^er; es muß zwei¬
mal des Tags etwas zu glauben haben, wie der Magen zweimal des
Tags etwas schlucken will- Es ist ein Straußengemüth, das deutsche,
und darum glaubt es Dinge, welche keine andere Nation verdaut. Es
glaubt an die deutsche Einheit, an die preußische Constitution und an
tausend andere schöne Geschichten mit und ohne Illustrationen. Und da¬
mit die deutsche Jugend recht zeitig den Weg politischer Rechtgläubigkeit
einschlägt, erscheinen mit jedem neuen Jahre tausend Mährchen wunderbar,
die Phantasie des Kindes an das Unerhörte zu gewöhnen, damit seine
politische Last in reifern Jahren ihm nicht zu schwer wird und er sich
gewöhne, die traurigsten und schändlichsten Dinge zu hören, ohne darüber
zu stutzen. Eins der schönsten Mährchenbücher dieses Jahres ist soeben
bei Otto Wigand erschienen: Volksmährchen aus der Bretagne von H.
Bode. In diesem Büchlein ist wenigstens Poesie und Leben und die
Kinderphantasie bekommt wenigstens keine solchen stubendumpfen, hekti¬
schen Wundererzahlungen, wie in den Dutzendersindungen unserer gewöhn¬
lichen Schulmeister, genannt Kinderschriftstellr. Da ist Luft und Freiheit.
Fast sämmtliche Sagen dieser bretannischen Großmütterchen spielen im
Freien, im Wald und Fluß, überall ist Naturwüchsigkeit und Unmittel-
keit und man merkt es ihnen an, diese Geschichten haben den Zweck, ei¬
nen freien Natursohn, aber nicht einen im beschränkten Unterthansverstand
erzogenen Menschen zu erziehen. Der freie Luftzug aus der Bretagne
wird Manche unserer deutschen Kindcrphamasie wohlthätiq erquicken.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kiivanda.
Druck von Fri edri es Andrä.

einverleibt wurde und die französische Ministerpresse sogar sich die Aermel
ausschürzte und mit den Zangen klapperte, als wollte es mit einem Riß
den angebohrten Krakauer Zahn aus den Kiefern der drei Machte herausziehen,
jetzt frugen die Polen und Polenfreunde gespannter als je: Nun, Zahn¬
arzt, was wirst du thun? — Und nach einer Pause voll Erwartung
lispelt leise und verschämt das französische Cabinet: Ich werde mich ins
Meer der Vergessenheit stürzen!

— Trotz der großen Völkerwanderung deutscher Literaten, die alljähr¬
lich ihren Zug nach Paris nimmt, trotz der zahllosen deutschen Sprach¬
meister, die dort ihren Sitz haben, fehlt es den französischen Blattern
immer noch an guten Uebersetzern deutscher Artikel. Ein Bock, der jetzt
durch alle französischen Blätter lauft, befindet sich in dem Oesterreichisch-
Krakaucr Manifest, das mit den Worten beginnt: Wir Ferdinand d^r
Erste u. s. w. In den meisten Pariser Blättern, die dieses Aktenstück
brachten, beginnt die Uebersetzung mit den Worten.- Rous I<>rei>niiiu1
it'Kstö etc.

— Die Mährchenzcit ist wieder da; Weihnachten schlägt sein Zelt auf
und die Buchläden schmücken sich mit hundert neuen Fabeln- und Mähr¬
chenbüchern. Das ist die glücklichste Zeit deutscher Phantasie. Das Ge¬
müth des Deutschen hat einen wahren Glaubenshun^er; es muß zwei¬
mal des Tags etwas zu glauben haben, wie der Magen zweimal des
Tags etwas schlucken will- Es ist ein Straußengemüth, das deutsche,
und darum glaubt es Dinge, welche keine andere Nation verdaut. Es
glaubt an die deutsche Einheit, an die preußische Constitution und an
tausend andere schöne Geschichten mit und ohne Illustrationen. Und da¬
mit die deutsche Jugend recht zeitig den Weg politischer Rechtgläubigkeit
einschlägt, erscheinen mit jedem neuen Jahre tausend Mährchen wunderbar,
die Phantasie des Kindes an das Unerhörte zu gewöhnen, damit seine
politische Last in reifern Jahren ihm nicht zu schwer wird und er sich
gewöhne, die traurigsten und schändlichsten Dinge zu hören, ohne darüber
zu stutzen. Eins der schönsten Mährchenbücher dieses Jahres ist soeben
bei Otto Wigand erschienen: Volksmährchen aus der Bretagne von H.
Bode. In diesem Büchlein ist wenigstens Poesie und Leben und die
Kinderphantasie bekommt wenigstens keine solchen stubendumpfen, hekti¬
schen Wundererzahlungen, wie in den Dutzendersindungen unserer gewöhn¬
lichen Schulmeister, genannt Kinderschriftstellr. Da ist Luft und Freiheit.
Fast sämmtliche Sagen dieser bretannischen Großmütterchen spielen im
Freien, im Wald und Fluß, überall ist Naturwüchsigkeit und Unmittel-
keit und man merkt es ihnen an, diese Geschichten haben den Zweck, ei¬
nen freien Natursohn, aber nicht einen im beschränkten Unterthansverstand
erzogenen Menschen zu erziehen. Der freie Luftzug aus der Bretagne
wird Manche unserer deutschen Kindcrphamasie wohlthätiq erquicken.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kiivanda.
Druck von Fri edri es Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/452>, abgerufen am 26.08.2024.