Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.Kummer, er nahm die natürliche, die zwei ersten Finger der rechten Kummer, er nahm die natürliche, die zwei ersten Finger der rechten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184016"/> <p xml:id="ID_1267" prev="#ID_1266" next="#ID_1268"> Kummer, er nahm die natürliche, die zwei ersten Finger der rechten<lb/> Hand und wischte sich etwaige Schnuppe oder Talg an sein graues<lb/> Haar, das in allen Fallen bei ihm die Stelle eines Handtuchs vertrat.<lb/> Nach geendetem Stücke löschte er zunächst die Lichter aus und packte<lb/> die Kerzenenden sorgfältig in seinen Kasten. Während dessen hatten<lb/> sich die Schauspieler ausgezogen und sein letztes Geschäft für den Tag<lb/> war dann, die Garderobe wieder einzupacken und nach Hause schaffen<lb/> zu lassen. In allen diesen Geschäften verlangte er nie Hülfe, es ward<lb/> ihm auch von keiner Seite welche geleistet. Diese ewig wiederkehrende<lb/> Thätigkeit hatte er schon Jahre lang geübt. Bedenkt man nun, daß<lb/> zu dieser noch die Reisen kamen, die er vorher machen mußte, um die<lb/> Erlaubniß der Behörden zu seinen Vorstellungen zu erwirken, in der<lb/> neuen Stadt die Verträge zu schließen mir den Vermiethern des Thea¬<lb/> ters oder Saales, mit den Zimmermeistern behufs Aufschlagens der<lb/> Bühne oder Bauens einer Bude, mit den Bürgern wegen Privatwoh¬<lb/> nungen, mit dem Buchdrucker wegen Zetteldrucks, mit einem Laufbur-<lb/> schen, der die Zettel trug, die Requisiten besorgte und den Theater-<lb/> diener machte — Alles unangenehme Geschäfte, — daß ihm daS Le¬<lb/> ben keine weitere Freude bot, als etwaige gute Geschäfte an einzelnen<lb/> Orten, denn er lebte in seiner kinderlosen Ehe zwar nicht unglücklich,<lb/> aber so still fort, wie zwei Leute, die einen Weg mit einander gehe»,<lb/> aber nie Augenblicke gegenseitiger Herzlichkeit haben, eben leben, und<lb/> hatt.' auch sonst weder Neigungen noch Leidenschaften, so war dieser<lb/> Mann allerdings eine eigenthümliche Erscheinung. Man konnte sagen,<lb/> er war in seinem Geschäfte aufgezogen. Außer diesem kümmerte ihn<lb/> weder Politik, noch Literatur, noch Kunst, noch sonst etwas — in dem<lb/> Geschäfte aber war er klug und erfahren. War der Besuch des Thea¬<lb/> ters zahlreich, so dachte er an baldige Abreise, um den Act nicht aus-<lb/> zuspielen, wie er sagte. Er hatte in einer großen Provinz das einzige<lb/> Privilegium und betrachtete diese wie ein Ackergut, dessen einzelne Fel¬<lb/> der man brach liegen läßt, um sie zu stärken. So ließ er oft mehrere<lb/> Jahre vergehen, ehe er in eine Stadt zurückkehrte, um die Theaterlust<lb/> der Bewohner durch Entbehrung zu schärfen. Er nannte das: einen<lb/> Ort ruhen lassen. Die Schauspieler behandelte er nach ihrer Brauch¬<lb/> barkeit. Gegen Leute, die ihre Pflicht thaten, war er freundlich und<lb/> mit ihnen spaßte er gern. Gegen Saumselige konnte er sehr grob<lb/> werden. Uebrigens hatte er ganz gesunde Ansichten. Haupterforder-<lb/> niß für ihn war, die Rolle zu wissen, und dann die Bühnengewanot-<lb/> heit, die man Routine nennt. Auf große Künstlerschaft machte er kei-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
Kummer, er nahm die natürliche, die zwei ersten Finger der rechten
Hand und wischte sich etwaige Schnuppe oder Talg an sein graues
Haar, das in allen Fallen bei ihm die Stelle eines Handtuchs vertrat.
Nach geendetem Stücke löschte er zunächst die Lichter aus und packte
die Kerzenenden sorgfältig in seinen Kasten. Während dessen hatten
sich die Schauspieler ausgezogen und sein letztes Geschäft für den Tag
war dann, die Garderobe wieder einzupacken und nach Hause schaffen
zu lassen. In allen diesen Geschäften verlangte er nie Hülfe, es ward
ihm auch von keiner Seite welche geleistet. Diese ewig wiederkehrende
Thätigkeit hatte er schon Jahre lang geübt. Bedenkt man nun, daß
zu dieser noch die Reisen kamen, die er vorher machen mußte, um die
Erlaubniß der Behörden zu seinen Vorstellungen zu erwirken, in der
neuen Stadt die Verträge zu schließen mir den Vermiethern des Thea¬
ters oder Saales, mit den Zimmermeistern behufs Aufschlagens der
Bühne oder Bauens einer Bude, mit den Bürgern wegen Privatwoh¬
nungen, mit dem Buchdrucker wegen Zetteldrucks, mit einem Laufbur-
schen, der die Zettel trug, die Requisiten besorgte und den Theater-
diener machte — Alles unangenehme Geschäfte, — daß ihm daS Le¬
ben keine weitere Freude bot, als etwaige gute Geschäfte an einzelnen
Orten, denn er lebte in seiner kinderlosen Ehe zwar nicht unglücklich,
aber so still fort, wie zwei Leute, die einen Weg mit einander gehe»,
aber nie Augenblicke gegenseitiger Herzlichkeit haben, eben leben, und
hatt.' auch sonst weder Neigungen noch Leidenschaften, so war dieser
Mann allerdings eine eigenthümliche Erscheinung. Man konnte sagen,
er war in seinem Geschäfte aufgezogen. Außer diesem kümmerte ihn
weder Politik, noch Literatur, noch Kunst, noch sonst etwas — in dem
Geschäfte aber war er klug und erfahren. War der Besuch des Thea¬
ters zahlreich, so dachte er an baldige Abreise, um den Act nicht aus-
zuspielen, wie er sagte. Er hatte in einer großen Provinz das einzige
Privilegium und betrachtete diese wie ein Ackergut, dessen einzelne Fel¬
der man brach liegen läßt, um sie zu stärken. So ließ er oft mehrere
Jahre vergehen, ehe er in eine Stadt zurückkehrte, um die Theaterlust
der Bewohner durch Entbehrung zu schärfen. Er nannte das: einen
Ort ruhen lassen. Die Schauspieler behandelte er nach ihrer Brauch¬
barkeit. Gegen Leute, die ihre Pflicht thaten, war er freundlich und
mit ihnen spaßte er gern. Gegen Saumselige konnte er sehr grob
werden. Uebrigens hatte er ganz gesunde Ansichten. Haupterforder-
niß für ihn war, die Rolle zu wissen, und dann die Bühnengewanot-
heit, die man Routine nennt. Auf große Künstlerschaft machte er kei-
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