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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Verhältnisse, meine Verstimmung zu lösen schienen -- der Entschluß,
Schauspieler zu werden, ergab sich von selbst.

Nach einigem Widerstande erhielt ich die Zustimmung der Mei¬
nigen und eines schönen Morgens wanderte ich aus den Thoren
meiner Vaterstadt, um meine Künstlerlaufbahn zu beginnen, d. h, um
mir eine Anstellung zu suchen. Ich war im einundzwanzigsten Jahre
und obwohl in einer großem Stadt ausgewachsen, kannte ich so viel
wie nichts von der Welt. Mit Ausnahme des Jahres auf der Kloster¬
schule war ich nie aus dem älterlichen Hause gekommen und durch die
nur zu große Pflege einer liebenden Mutter verwöhnt, verstand ich es
gar nicht, für mich selbst zu sorgen, hatte ich keinen Begriff von den
gewöhnlichsten Lebensverhältnissen und vom Werthe des Geldes. Selbst
den gewöhnlichen Studentenkneipereien war ich fern geblieben, hatte
noch niemals ein Liebesverhältniß gehabt und war in vieler Beziehung
ein ächter Landjunker in der Residenz.

Ein herrlicher Maitag war es, als ich auszog. Der Weg führte
mich durch ebene, just nicht malerische Gegenden, und drei Tage mußte
ich wandern, ehe ich nach Lärchenstadt, dem Ziele, das ich mir gesetzt
hatte, gelangte. So einförmig aber auch die grade, mit langweiligen
Pappelreihen besetzte Heerstraße war, die mich meinem Ziele zuführte,
so bunt und lockend waren die Bilder meiner Einbildungskraft. Alle
Rollen, die ich schon durchdacht hatte und zu spielen hoffte, flogen im
Geiste an mir vorüber, ich sprach sie halblaut für mich hin und meine
Mienen und Geberden drückten unwillkürlich aus, was ich vor mich
hin murmelte. Mit Ehre und Ruhm gekrönt hoffte ich dereinst zurück¬
zukehren, ich ergötzte mich schon an dem Gedanken, daß mich dereinst
Die anstaunen würden, die den armen, stillen Jungen über die Achseln
angesehen hatten; ich schwelgte in dem Gedanken an die süße Genug¬
thuung, die ich erringen wollte, wenn einst Die vor meinem Ruhm
verstummen müßten, die meinen Entschluß mit Achselzucken betrachtet
und meine armen Aeltern bedauert hatten, daß sie einen Taugenichts,
einen Verlornen Sohn in mir erzogen. Wird doch über so Viele scho¬
nungslos der Stab gebrochen, die lange umhertappen, weil sie Das
nicht finden können, wozu sie Beruf haben, die in keinem Geschäfte an¬
stellig sind, weil man sie eben da nicht anstellt, wo sie hingehören.
Auch ich habe diese harten Urtheile erfahren müssen. Ich war mir
keines Unrechts bewußt i ich war selbst, weil ich nie aus dem älter¬
lichen Hause gekommen, von den gewöhnlichen Verirrungen der Jugend
frei geblieben -- und doch betrachtete man mich als Verlornen Sohn.


Verhältnisse, meine Verstimmung zu lösen schienen — der Entschluß,
Schauspieler zu werden, ergab sich von selbst.

Nach einigem Widerstande erhielt ich die Zustimmung der Mei¬
nigen und eines schönen Morgens wanderte ich aus den Thoren
meiner Vaterstadt, um meine Künstlerlaufbahn zu beginnen, d. h, um
mir eine Anstellung zu suchen. Ich war im einundzwanzigsten Jahre
und obwohl in einer großem Stadt ausgewachsen, kannte ich so viel
wie nichts von der Welt. Mit Ausnahme des Jahres auf der Kloster¬
schule war ich nie aus dem älterlichen Hause gekommen und durch die
nur zu große Pflege einer liebenden Mutter verwöhnt, verstand ich es
gar nicht, für mich selbst zu sorgen, hatte ich keinen Begriff von den
gewöhnlichsten Lebensverhältnissen und vom Werthe des Geldes. Selbst
den gewöhnlichen Studentenkneipereien war ich fern geblieben, hatte
noch niemals ein Liebesverhältniß gehabt und war in vieler Beziehung
ein ächter Landjunker in der Residenz.

Ein herrlicher Maitag war es, als ich auszog. Der Weg führte
mich durch ebene, just nicht malerische Gegenden, und drei Tage mußte
ich wandern, ehe ich nach Lärchenstadt, dem Ziele, das ich mir gesetzt
hatte, gelangte. So einförmig aber auch die grade, mit langweiligen
Pappelreihen besetzte Heerstraße war, die mich meinem Ziele zuführte,
so bunt und lockend waren die Bilder meiner Einbildungskraft. Alle
Rollen, die ich schon durchdacht hatte und zu spielen hoffte, flogen im
Geiste an mir vorüber, ich sprach sie halblaut für mich hin und meine
Mienen und Geberden drückten unwillkürlich aus, was ich vor mich
hin murmelte. Mit Ehre und Ruhm gekrönt hoffte ich dereinst zurück¬
zukehren, ich ergötzte mich schon an dem Gedanken, daß mich dereinst
Die anstaunen würden, die den armen, stillen Jungen über die Achseln
angesehen hatten; ich schwelgte in dem Gedanken an die süße Genug¬
thuung, die ich erringen wollte, wenn einst Die vor meinem Ruhm
verstummen müßten, die meinen Entschluß mit Achselzucken betrachtet
und meine armen Aeltern bedauert hatten, daß sie einen Taugenichts,
einen Verlornen Sohn in mir erzogen. Wird doch über so Viele scho¬
nungslos der Stab gebrochen, die lange umhertappen, weil sie Das
nicht finden können, wozu sie Beruf haben, die in keinem Geschäfte an¬
stellig sind, weil man sie eben da nicht anstellt, wo sie hingehören.
Auch ich habe diese harten Urtheile erfahren müssen. Ich war mir
keines Unrechts bewußt i ich war selbst, weil ich nie aus dem älter¬
lichen Hause gekommen, von den gewöhnlichen Verirrungen der Jugend
frei geblieben — und doch betrachtete man mich als Verlornen Sohn.


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[0428] Verhältnisse, meine Verstimmung zu lösen schienen — der Entschluß, Schauspieler zu werden, ergab sich von selbst. Nach einigem Widerstande erhielt ich die Zustimmung der Mei¬ nigen und eines schönen Morgens wanderte ich aus den Thoren meiner Vaterstadt, um meine Künstlerlaufbahn zu beginnen, d. h, um mir eine Anstellung zu suchen. Ich war im einundzwanzigsten Jahre und obwohl in einer großem Stadt ausgewachsen, kannte ich so viel wie nichts von der Welt. Mit Ausnahme des Jahres auf der Kloster¬ schule war ich nie aus dem älterlichen Hause gekommen und durch die nur zu große Pflege einer liebenden Mutter verwöhnt, verstand ich es gar nicht, für mich selbst zu sorgen, hatte ich keinen Begriff von den gewöhnlichsten Lebensverhältnissen und vom Werthe des Geldes. Selbst den gewöhnlichen Studentenkneipereien war ich fern geblieben, hatte noch niemals ein Liebesverhältniß gehabt und war in vieler Beziehung ein ächter Landjunker in der Residenz. Ein herrlicher Maitag war es, als ich auszog. Der Weg führte mich durch ebene, just nicht malerische Gegenden, und drei Tage mußte ich wandern, ehe ich nach Lärchenstadt, dem Ziele, das ich mir gesetzt hatte, gelangte. So einförmig aber auch die grade, mit langweiligen Pappelreihen besetzte Heerstraße war, die mich meinem Ziele zuführte, so bunt und lockend waren die Bilder meiner Einbildungskraft. Alle Rollen, die ich schon durchdacht hatte und zu spielen hoffte, flogen im Geiste an mir vorüber, ich sprach sie halblaut für mich hin und meine Mienen und Geberden drückten unwillkürlich aus, was ich vor mich hin murmelte. Mit Ehre und Ruhm gekrönt hoffte ich dereinst zurück¬ zukehren, ich ergötzte mich schon an dem Gedanken, daß mich dereinst Die anstaunen würden, die den armen, stillen Jungen über die Achseln angesehen hatten; ich schwelgte in dem Gedanken an die süße Genug¬ thuung, die ich erringen wollte, wenn einst Die vor meinem Ruhm verstummen müßten, die meinen Entschluß mit Achselzucken betrachtet und meine armen Aeltern bedauert hatten, daß sie einen Taugenichts, einen Verlornen Sohn in mir erzogen. Wird doch über so Viele scho¬ nungslos der Stab gebrochen, die lange umhertappen, weil sie Das nicht finden können, wozu sie Beruf haben, die in keinem Geschäfte an¬ stellig sind, weil man sie eben da nicht anstellt, wo sie hingehören. Auch ich habe diese harten Urtheile erfahren müssen. Ich war mir keines Unrechts bewußt i ich war selbst, weil ich nie aus dem älter¬ lichen Hause gekommen, von den gewöhnlichen Verirrungen der Jugend frei geblieben — und doch betrachtete man mich als Verlornen Sohn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/428>, abgerufen am 23.07.2024.