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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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erzwingen. Nicht leugnen kann ich, bei den Schülern fand ich sie
bald, ich hatte meinen Umgang mit den Primanern, lind litt wenig
unter den allgemeinen Unterdrückungen. Aber bei den Lehrern gelang
es mir nicht. Ich stand jeden Morgen um 4 Uhr auf und war un¬
bedingt der Fleißigste in der Schule, ich lieferte zur Prüfung die läng¬
sten und tüchtigsten Arbeiten, ich ließ mir nicht das Geringste zu
Schulden kommen -- doch als die halbjährige Versetzung kam, rückte
ich nicht vorwärts und bekam die zweite Censur. Ich darf mit gu¬
tem Gewissen versichern, dies war eine lächerliche Ungerechtigkeit, denn
sie empörte sogar die ganze Schule, welche mir einen Sprung in die
zweite Abtheilung vorhersagte. Was thun? Ich sah, man wollte
mir nicht wohl und gegen die plumpe Macht, wider die keine Beru¬
fung möglich, konnte ich nicht ankämpfen.

Hätte ich nun abgewartet, bis ich nach und nach in der Reihe
vorgerückt wäre, so würde ich erst im dreiundzwanzigsten Jahre zur
Universität haben abgehen können. Das erschien mir unmöglich und
mein ganzes Streben war, von dieser Schule wegzukommen. Ich
setzte es endlich durch und kehrte nach der Schule zurück, von welcher
ich zur Klosterschule abgegangen war. Diese lieferte mir einen neuen
Beweis der Eifersüchtigkeit, denn sie wies mir meinen Platz zehn El¬
len tiefer an, als ich ein Jahr vorher gesessen hatte.

Ich vollendete nun meine Vorbereitung für die Universität auf
dieser Schule und ward dann Student. Allein die ganze unglückse¬
lige Geschichte mit dem Schulwesen hatte mich im Innersten verstimmt,
hatte mir die Stellung im älterlichen Hause, wo man mir die Schuld
des Zurückgesetztseins beimaß, zur höchsten Peinlichkeit gebracht. "Fort,
fort, unabhängig sein, auf eigenen Füßen stehen," war mein einziger
Gedanke. In dieser Stimmung besuchte ich nach längerer Pause das
Theater wieder und meine ganze alte Lust erwachte von Neuem. Von
Kindheit an war mir das "Theaterspiel" das liebste gewesen, ich hatte
als zehnjähriger Junge schon ein verlassenes Gartenhaus, einen alten
Stall zu einer Bühne eingerichtet, ich hatte mit meinen Geschwistern
und Gespielen keinen andern Streit gehabt, als wenn sie meinen Dar¬
stellungen nicht beiwohnen wollten, meine ersten Versuche, etwas zu
schreiben, waren dramatisch gewesen, das Alles kam wieder, meine Ein¬
bildungskraft war voll der lockendsten Bilder. Auf der einen Seite
Mißverhältnisse in meiner Stellung, eine nachhaltige Verstimmung des
ganzen Wesens -- auf der andern die zauberhaften Lockungen der
Bühne, die mir eine goldene Zukunft versprachen, die mir meine Miß-


erzwingen. Nicht leugnen kann ich, bei den Schülern fand ich sie
bald, ich hatte meinen Umgang mit den Primanern, lind litt wenig
unter den allgemeinen Unterdrückungen. Aber bei den Lehrern gelang
es mir nicht. Ich stand jeden Morgen um 4 Uhr auf und war un¬
bedingt der Fleißigste in der Schule, ich lieferte zur Prüfung die läng¬
sten und tüchtigsten Arbeiten, ich ließ mir nicht das Geringste zu
Schulden kommen — doch als die halbjährige Versetzung kam, rückte
ich nicht vorwärts und bekam die zweite Censur. Ich darf mit gu¬
tem Gewissen versichern, dies war eine lächerliche Ungerechtigkeit, denn
sie empörte sogar die ganze Schule, welche mir einen Sprung in die
zweite Abtheilung vorhersagte. Was thun? Ich sah, man wollte
mir nicht wohl und gegen die plumpe Macht, wider die keine Beru¬
fung möglich, konnte ich nicht ankämpfen.

Hätte ich nun abgewartet, bis ich nach und nach in der Reihe
vorgerückt wäre, so würde ich erst im dreiundzwanzigsten Jahre zur
Universität haben abgehen können. Das erschien mir unmöglich und
mein ganzes Streben war, von dieser Schule wegzukommen. Ich
setzte es endlich durch und kehrte nach der Schule zurück, von welcher
ich zur Klosterschule abgegangen war. Diese lieferte mir einen neuen
Beweis der Eifersüchtigkeit, denn sie wies mir meinen Platz zehn El¬
len tiefer an, als ich ein Jahr vorher gesessen hatte.

Ich vollendete nun meine Vorbereitung für die Universität auf
dieser Schule und ward dann Student. Allein die ganze unglückse¬
lige Geschichte mit dem Schulwesen hatte mich im Innersten verstimmt,
hatte mir die Stellung im älterlichen Hause, wo man mir die Schuld
des Zurückgesetztseins beimaß, zur höchsten Peinlichkeit gebracht. „Fort,
fort, unabhängig sein, auf eigenen Füßen stehen," war mein einziger
Gedanke. In dieser Stimmung besuchte ich nach längerer Pause das
Theater wieder und meine ganze alte Lust erwachte von Neuem. Von
Kindheit an war mir das „Theaterspiel" das liebste gewesen, ich hatte
als zehnjähriger Junge schon ein verlassenes Gartenhaus, einen alten
Stall zu einer Bühne eingerichtet, ich hatte mit meinen Geschwistern
und Gespielen keinen andern Streit gehabt, als wenn sie meinen Dar¬
stellungen nicht beiwohnen wollten, meine ersten Versuche, etwas zu
schreiben, waren dramatisch gewesen, das Alles kam wieder, meine Ein¬
bildungskraft war voll der lockendsten Bilder. Auf der einen Seite
Mißverhältnisse in meiner Stellung, eine nachhaltige Verstimmung des
ganzen Wesens — auf der andern die zauberhaften Lockungen der
Bühne, die mir eine goldene Zukunft versprachen, die mir meine Miß-


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[0427] erzwingen. Nicht leugnen kann ich, bei den Schülern fand ich sie bald, ich hatte meinen Umgang mit den Primanern, lind litt wenig unter den allgemeinen Unterdrückungen. Aber bei den Lehrern gelang es mir nicht. Ich stand jeden Morgen um 4 Uhr auf und war un¬ bedingt der Fleißigste in der Schule, ich lieferte zur Prüfung die läng¬ sten und tüchtigsten Arbeiten, ich ließ mir nicht das Geringste zu Schulden kommen — doch als die halbjährige Versetzung kam, rückte ich nicht vorwärts und bekam die zweite Censur. Ich darf mit gu¬ tem Gewissen versichern, dies war eine lächerliche Ungerechtigkeit, denn sie empörte sogar die ganze Schule, welche mir einen Sprung in die zweite Abtheilung vorhersagte. Was thun? Ich sah, man wollte mir nicht wohl und gegen die plumpe Macht, wider die keine Beru¬ fung möglich, konnte ich nicht ankämpfen. Hätte ich nun abgewartet, bis ich nach und nach in der Reihe vorgerückt wäre, so würde ich erst im dreiundzwanzigsten Jahre zur Universität haben abgehen können. Das erschien mir unmöglich und mein ganzes Streben war, von dieser Schule wegzukommen. Ich setzte es endlich durch und kehrte nach der Schule zurück, von welcher ich zur Klosterschule abgegangen war. Diese lieferte mir einen neuen Beweis der Eifersüchtigkeit, denn sie wies mir meinen Platz zehn El¬ len tiefer an, als ich ein Jahr vorher gesessen hatte. Ich vollendete nun meine Vorbereitung für die Universität auf dieser Schule und ward dann Student. Allein die ganze unglückse¬ lige Geschichte mit dem Schulwesen hatte mich im Innersten verstimmt, hatte mir die Stellung im älterlichen Hause, wo man mir die Schuld des Zurückgesetztseins beimaß, zur höchsten Peinlichkeit gebracht. „Fort, fort, unabhängig sein, auf eigenen Füßen stehen," war mein einziger Gedanke. In dieser Stimmung besuchte ich nach längerer Pause das Theater wieder und meine ganze alte Lust erwachte von Neuem. Von Kindheit an war mir das „Theaterspiel" das liebste gewesen, ich hatte als zehnjähriger Junge schon ein verlassenes Gartenhaus, einen alten Stall zu einer Bühne eingerichtet, ich hatte mit meinen Geschwistern und Gespielen keinen andern Streit gehabt, als wenn sie meinen Dar¬ stellungen nicht beiwohnen wollten, meine ersten Versuche, etwas zu schreiben, waren dramatisch gewesen, das Alles kam wieder, meine Ein¬ bildungskraft war voll der lockendsten Bilder. Auf der einen Seite Mißverhältnisse in meiner Stellung, eine nachhaltige Verstimmung des ganzen Wesens — auf der andern die zauberhaften Lockungen der Bühne, die mir eine goldene Zukunft versprachen, die mir meine Miß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/427>, abgerufen am 23.07.2024.