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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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stießen eine Scheibe durch, öffneten das Fenster und schlüpften eben
in den Schlafsaal, als der Herr Professor mit Licht kam, die Thür
öffnete und das verschlossene Zimmer leer fand. Der Mann war beson¬
ders stark in den griechischen unregelmäßigen Zeitwörtern, die uns beiden
bösen Buben weit weniger behagten, als der Shakespeare und Schiller.

Einen komischen Auftritt gab folgende Geschichte. In unsere
Schlafsäle, die über einander im vierten und fünften Stockwerk lagen,
kam einstens Nacht für Nacht eine Katze, die dort ihre verliebten Lie¬
der anstimmte und uns im Schlafe störte. Es ward also einstimmi¬
ger Beschluß gefaßt, diesen nächtlichen Gast zu jagen und wo mög¬
lich zu tödten. Jeder lag am bestimmten Abende im Bette, bewaffnet
mit Stiefelknecht oder Stuhlbein, versehen mit Licht und den Mitteln,
es anzuzünden. Todtenstille -- endlich läßt sich ein zärtliches Miau
vernehmen. Im Nu waren die Lichter angezündet und die Jagd be¬
gann, eine närrische Jagd. Sechszig junge Bengels im bloßen Hemde
durchliefen die Säle, schauen hier -- dort -- da -- werfen mit den
Stiefelknechten -- ein heilloser Lärm. Aber eine Katze ist nicht leicht
zu fangen, besonders wo so viele Betten eine Masse Schlupfwinkel
darbieten. Der Nachtwächter hatte von unten das Durcheinander¬
laufen der vielen Lichter bemerkt, und in der Meinung, es sei Feuer
ausgebrochen, den im Hause wohnenden Rector geweckt. Der gute
Rector warf sich in seinen Schlafrock und stieg herauf. Er stieg eben
mühsam die letzte Treppe, als die Katze sich da hinunter rettete und
einen Hagel von Stiefelknechten und Stöcken nach sich zog, von denen
einige den armen Rector trafen. Er stieß einen Schrei aus -- seine
Stimme ward erkannt -- der Alte, hieß es, -- im Nu waren alle
Lichter aus und Alles lag zu Bette. Freilich waren in manches Bett
drei und vier geschlüpft -- doch das that nichts -- es war mäus¬
chenstill, als der Alte vollends heraufkam. Nun gab es gute Lehren
und eine große Untersuchung, die -- zu nichts führte.

Doch genug von Jugendstreichen. Ich kehre zu der Schule und
zu mir zurück. Meine Stellung daselbst war, wie leicht begreiflich,
kaum zu ertragen. An vernünftige Freiheit gewöhnt, und nun in
drückende Fesseln geschlagen, mit 18 Jahren unter die kleinen Jungen
verwiesen, fast schwärmend für Geschichte, Naturwissenschaften und die
Dichter, selbst bewandert in netteren Sprachen -- und nun verdammt,
die schon längst eingepaukten ersten Formen der alten Sprachen noch
einmal durchzukauen -- wahrlich, meine Lage war nicht beneidens-
werth. Doch ich verzweifelte nicht, ich beschloß, mir Anerkennung zu


stießen eine Scheibe durch, öffneten das Fenster und schlüpften eben
in den Schlafsaal, als der Herr Professor mit Licht kam, die Thür
öffnete und das verschlossene Zimmer leer fand. Der Mann war beson¬
ders stark in den griechischen unregelmäßigen Zeitwörtern, die uns beiden
bösen Buben weit weniger behagten, als der Shakespeare und Schiller.

Einen komischen Auftritt gab folgende Geschichte. In unsere
Schlafsäle, die über einander im vierten und fünften Stockwerk lagen,
kam einstens Nacht für Nacht eine Katze, die dort ihre verliebten Lie¬
der anstimmte und uns im Schlafe störte. Es ward also einstimmi¬
ger Beschluß gefaßt, diesen nächtlichen Gast zu jagen und wo mög¬
lich zu tödten. Jeder lag am bestimmten Abende im Bette, bewaffnet
mit Stiefelknecht oder Stuhlbein, versehen mit Licht und den Mitteln,
es anzuzünden. Todtenstille — endlich läßt sich ein zärtliches Miau
vernehmen. Im Nu waren die Lichter angezündet und die Jagd be¬
gann, eine närrische Jagd. Sechszig junge Bengels im bloßen Hemde
durchliefen die Säle, schauen hier — dort — da — werfen mit den
Stiefelknechten — ein heilloser Lärm. Aber eine Katze ist nicht leicht
zu fangen, besonders wo so viele Betten eine Masse Schlupfwinkel
darbieten. Der Nachtwächter hatte von unten das Durcheinander¬
laufen der vielen Lichter bemerkt, und in der Meinung, es sei Feuer
ausgebrochen, den im Hause wohnenden Rector geweckt. Der gute
Rector warf sich in seinen Schlafrock und stieg herauf. Er stieg eben
mühsam die letzte Treppe, als die Katze sich da hinunter rettete und
einen Hagel von Stiefelknechten und Stöcken nach sich zog, von denen
einige den armen Rector trafen. Er stieß einen Schrei aus — seine
Stimme ward erkannt — der Alte, hieß es, — im Nu waren alle
Lichter aus und Alles lag zu Bette. Freilich waren in manches Bett
drei und vier geschlüpft — doch das that nichts — es war mäus¬
chenstill, als der Alte vollends heraufkam. Nun gab es gute Lehren
und eine große Untersuchung, die — zu nichts führte.

Doch genug von Jugendstreichen. Ich kehre zu der Schule und
zu mir zurück. Meine Stellung daselbst war, wie leicht begreiflich,
kaum zu ertragen. An vernünftige Freiheit gewöhnt, und nun in
drückende Fesseln geschlagen, mit 18 Jahren unter die kleinen Jungen
verwiesen, fast schwärmend für Geschichte, Naturwissenschaften und die
Dichter, selbst bewandert in netteren Sprachen — und nun verdammt,
die schon längst eingepaukten ersten Formen der alten Sprachen noch
einmal durchzukauen — wahrlich, meine Lage war nicht beneidens-
werth. Doch ich verzweifelte nicht, ich beschloß, mir Anerkennung zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/426>, abgerufen am 23.07.2024.