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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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den ersten Tyroler Wanderzug. In Ulten aber war einst eine Strafe
für jeden Badegast gesetzt, der sich nicht "glatt und reindeutsch" aus¬
drückte; doch ist dies schon lange her und jetzt nicht mehr Brauch.

Im folgenden Sommer fand sich Steub auf einer Blumenterrasse
im Etschland, in einem schönen Garten bei Botzen. "Hier am Lorbeer¬
busch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe's
gebieterisches Haupt und in der Geisblattlaube ist der verständige
Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt, wie er im Garten der Poesie
mit den Dichtern wortwechselt -- alles freundliche Wahrzeichen, daß
anch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein
geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint."
Diese letzte deutsche Stadt ist reich, war's schon im Mittelalter und
fuhrt ein behaglich Leben, trotz des bußprcdigenden Zelotismus, welcher
aus der Atmosphäre ulei" inoutös seine Vertreter hierher schickte. Aber
draußen im Lande haben sie gewirkt, sogar die Kunst geschändet, die ihnen
üppiq schien, und auf die Sage der alten Burgen gefahndet, als wäre
sie Sünde.


"Derweilen bauen sie drunten im Thal
Wegkreuze und Feldkapellen."

Und -- setzt der Prosaist hinzu -- treiben ihr Wesen mit stigmatisirten
Frauenzimmern. -- Geschichte, Leben und Sitten, der ganze wildfremde
Reiz der Thäler von Gröden und Enneberg in ihren abenreucrlichen
Berggestalten sowohl, als in der Sprache und Art ihrer Bewohner,
thut sich dann vor uns auf. Hierauf durchwandern wir Selvain, Stubri,
das Wippthal, Dur, das Zillerthal und Arenthal, um zuletzt mit
Brunecken die Streifzüge zu enden. Ein Nachtrag überblickt die innere
politische Entwicklung Tyrols, die erhaltenen Vorzüge deS Privatlebens,
die von der Neuzeit und dem Zuvielregieren entstandene Verödung sei¬
nes poetischen Reizes, damit auch eines großen Theils seines morali¬
schen Haltes. "Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr
der Träger der geistigen Errungenschaften der Nation, er hatte diesel¬
ben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit
hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in welchen sich Ritter und
Bauersmann brüderlich theilen konnten, und so stand Jeder auf seinen
eignen Füßen. Wenn wir nun von diesen Besprechungen, bei denen
der Blick wohl auch über die tyrolischen Grenzen hinausgeworfen
werden konnte, wieder auf unser Alpenland zurückkommen, so finden
wir, daß derlei Gedanken, Meinungen und Ansichten in dortiger Praxis
gar keinen Wiederhall finden. Da ist Alles, was außerhalb der Kirche


den ersten Tyroler Wanderzug. In Ulten aber war einst eine Strafe
für jeden Badegast gesetzt, der sich nicht „glatt und reindeutsch" aus¬
drückte; doch ist dies schon lange her und jetzt nicht mehr Brauch.

Im folgenden Sommer fand sich Steub auf einer Blumenterrasse
im Etschland, in einem schönen Garten bei Botzen. „Hier am Lorbeer¬
busch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe's
gebieterisches Haupt und in der Geisblattlaube ist der verständige
Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt, wie er im Garten der Poesie
mit den Dichtern wortwechselt — alles freundliche Wahrzeichen, daß
anch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein
geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint."
Diese letzte deutsche Stadt ist reich, war's schon im Mittelalter und
fuhrt ein behaglich Leben, trotz des bußprcdigenden Zelotismus, welcher
aus der Atmosphäre ulei» inoutös seine Vertreter hierher schickte. Aber
draußen im Lande haben sie gewirkt, sogar die Kunst geschändet, die ihnen
üppiq schien, und auf die Sage der alten Burgen gefahndet, als wäre
sie Sünde.


„Derweilen bauen sie drunten im Thal
Wegkreuze und Feldkapellen."

Und — setzt der Prosaist hinzu — treiben ihr Wesen mit stigmatisirten
Frauenzimmern. — Geschichte, Leben und Sitten, der ganze wildfremde
Reiz der Thäler von Gröden und Enneberg in ihren abenreucrlichen
Berggestalten sowohl, als in der Sprache und Art ihrer Bewohner,
thut sich dann vor uns auf. Hierauf durchwandern wir Selvain, Stubri,
das Wippthal, Dur, das Zillerthal und Arenthal, um zuletzt mit
Brunecken die Streifzüge zu enden. Ein Nachtrag überblickt die innere
politische Entwicklung Tyrols, die erhaltenen Vorzüge deS Privatlebens,
die von der Neuzeit und dem Zuvielregieren entstandene Verödung sei¬
nes poetischen Reizes, damit auch eines großen Theils seines morali¬
schen Haltes. „Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr
der Träger der geistigen Errungenschaften der Nation, er hatte diesel¬
ben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit
hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in welchen sich Ritter und
Bauersmann brüderlich theilen konnten, und so stand Jeder auf seinen
eignen Füßen. Wenn wir nun von diesen Besprechungen, bei denen
der Blick wohl auch über die tyrolischen Grenzen hinausgeworfen
werden konnte, wieder auf unser Alpenland zurückkommen, so finden
wir, daß derlei Gedanken, Meinungen und Ansichten in dortiger Praxis
gar keinen Wiederhall finden. Da ist Alles, was außerhalb der Kirche


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[0416] den ersten Tyroler Wanderzug. In Ulten aber war einst eine Strafe für jeden Badegast gesetzt, der sich nicht „glatt und reindeutsch" aus¬ drückte; doch ist dies schon lange her und jetzt nicht mehr Brauch. Im folgenden Sommer fand sich Steub auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Botzen. „Hier am Lorbeer¬ busch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe's gebieterisches Haupt und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt, wie er im Garten der Poesie mit den Dichtern wortwechselt — alles freundliche Wahrzeichen, daß anch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint." Diese letzte deutsche Stadt ist reich, war's schon im Mittelalter und fuhrt ein behaglich Leben, trotz des bußprcdigenden Zelotismus, welcher aus der Atmosphäre ulei» inoutös seine Vertreter hierher schickte. Aber draußen im Lande haben sie gewirkt, sogar die Kunst geschändet, die ihnen üppiq schien, und auf die Sage der alten Burgen gefahndet, als wäre sie Sünde. „Derweilen bauen sie drunten im Thal Wegkreuze und Feldkapellen." Und — setzt der Prosaist hinzu — treiben ihr Wesen mit stigmatisirten Frauenzimmern. — Geschichte, Leben und Sitten, der ganze wildfremde Reiz der Thäler von Gröden und Enneberg in ihren abenreucrlichen Berggestalten sowohl, als in der Sprache und Art ihrer Bewohner, thut sich dann vor uns auf. Hierauf durchwandern wir Selvain, Stubri, das Wippthal, Dur, das Zillerthal und Arenthal, um zuletzt mit Brunecken die Streifzüge zu enden. Ein Nachtrag überblickt die innere politische Entwicklung Tyrols, die erhaltenen Vorzüge deS Privatlebens, die von der Neuzeit und dem Zuvielregieren entstandene Verödung sei¬ nes poetischen Reizes, damit auch eines großen Theils seines morali¬ schen Haltes. „Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr der Träger der geistigen Errungenschaften der Nation, er hatte diesel¬ ben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in welchen sich Ritter und Bauersmann brüderlich theilen konnten, und so stand Jeder auf seinen eignen Füßen. Wenn wir nun von diesen Besprechungen, bei denen der Blick wohl auch über die tyrolischen Grenzen hinausgeworfen werden konnte, wieder auf unser Alpenland zurückkommen, so finden wir, daß derlei Gedanken, Meinungen und Ansichten in dortiger Praxis gar keinen Wiederhall finden. Da ist Alles, was außerhalb der Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/416>, abgerufen am 23.07.2024.