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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Verbrecher vom Anfange der dreißiger Jahre her im Gefängnisse schmach¬
ten, ja, daß über mehrere jener Unglücklichen das verdammende Urtheil
erst vor Kurzem erfolgt ist.

Das Oberappellationsgcricht in Kassel hat die Entscheidungen des
Marburger Criminal-Senates gegen den Universitätszeichnenlehrer l)i. H a es
und den Hutmacher Georg Kolbe bestätigt. Den erstern, einen gebildeten*),
fleißigen und ordnungsliebenden Mann, hatte Neugierde und Schwatz-
haftigkeit thörichte Dinge hören und sprechen lassen, das war Alles, und
freilich viel zu viel. Uebrigens stellen selbst die Marburger Entschei¬
dungsgründe mit einem nicht zu verkennenden Mitleid den Hach als ei¬
nen sehr zu entschuldigenden, oder wie man im gewöhnlichen Leben
diesen Ausdruck gebraucht, als einen unschuldigen Mann dar, der weder
die Fähigkeit, noch die Absicht gehabt habe, zum Umsturze der Welt et¬
was beizutragen.

Obgleich meine Vertheidigung Jordans hauptsächlich nur Einem zu
Gute gekommen ist, so hatte ich doch allen in seinen Proceß Verwickelten
zu nützen gewünscht, sowohl weil er die unschuldige Ursache des Un¬
glückes Aller war, als weil ich es ungeachtet, ja grade "wegen meiner
konservativen politischen Grundsatze nicht billigen konnte, daß man in
Kurhessen, Dinge wieder heraufbeschwöre, welche man sich fast überall
bemüht hatte, in die Nacht der Vergessenheit zu versenken. Wären die
Entscheidungsgründe erster Instanz in Bezug auf Hach und Kolbe so
ausführlich gewesen, als sie es in Bezug auf Jordan waren, so hätte
sich, glaube ich, auf ein milderes Urtheil in zweiter Instanz hinwirken
lassen, als jetzt erfolgt ist. Durch die Entscheidungsgründe des Oberap-
pellationsgerichts ist auf Beider Sache etwas mehr Licht gefallen, und ich
bin der festen Ueberzeugung, daß sie in höchster Instanz härter als billig
und gerecht abgeurtheilt sind. Hätte das Publicum noch Interesse dafür
und könnte es den Unglücklichen noch nützen, so würde ich das, wie ich
glaube, ohne große Mühe beweisen können.

Auf eine Begnadigung ist nicht zu hoffen, denn die Urheber der
kurhessischen Verfassungsurkunde, welche besorgten, daß ihnen die näch¬
stens in Anklagestand zu versetzenden Minister entrinnen möchten, haben
durch §. 426. dem Landesherrn das Recht der Begnadigung politischer
Verbrecher genommen, und also die Reaction nicht blos hervorgerufen,
sondern ihr auch die Mittel in die Hände gegeben.

In dieser Hinsicht kann die Regierung kein Tadel treffen, und das
Einzige, was das deutsche Volk zu thun vermag, ist, daß es die Theil¬
nahme, welche es an der Begnadigung der unglücklichen und nachträg¬
lichen Opfer einer aufgeregten Zeit nehmen würde, jetzt durch Unterstüz-
zung ihrer Familien an den Tag lege. Sowohl Hach als Kolbe haben
Frau und Kinder, der erstere ist seines Dienstes als Universttätszeichncn-
lehrcr entsetzt und damit seines Gehaltes und für die Zeit seiner Haft
jedes Nebenverdienstes, verlustig. An die liberalen Herren, welche blos



" *) . Er hat mehreres geschrieben, z. B.- Ein PhysiognomischeS Hülff- und
Taschenbuch für Gebildete, Marburg t8"7.

Verbrecher vom Anfange der dreißiger Jahre her im Gefängnisse schmach¬
ten, ja, daß über mehrere jener Unglücklichen das verdammende Urtheil
erst vor Kurzem erfolgt ist.

Das Oberappellationsgcricht in Kassel hat die Entscheidungen des
Marburger Criminal-Senates gegen den Universitätszeichnenlehrer l)i. H a es
und den Hutmacher Georg Kolbe bestätigt. Den erstern, einen gebildeten*),
fleißigen und ordnungsliebenden Mann, hatte Neugierde und Schwatz-
haftigkeit thörichte Dinge hören und sprechen lassen, das war Alles, und
freilich viel zu viel. Uebrigens stellen selbst die Marburger Entschei¬
dungsgründe mit einem nicht zu verkennenden Mitleid den Hach als ei¬
nen sehr zu entschuldigenden, oder wie man im gewöhnlichen Leben
diesen Ausdruck gebraucht, als einen unschuldigen Mann dar, der weder
die Fähigkeit, noch die Absicht gehabt habe, zum Umsturze der Welt et¬
was beizutragen.

Obgleich meine Vertheidigung Jordans hauptsächlich nur Einem zu
Gute gekommen ist, so hatte ich doch allen in seinen Proceß Verwickelten
zu nützen gewünscht, sowohl weil er die unschuldige Ursache des Un¬
glückes Aller war, als weil ich es ungeachtet, ja grade "wegen meiner
konservativen politischen Grundsatze nicht billigen konnte, daß man in
Kurhessen, Dinge wieder heraufbeschwöre, welche man sich fast überall
bemüht hatte, in die Nacht der Vergessenheit zu versenken. Wären die
Entscheidungsgründe erster Instanz in Bezug auf Hach und Kolbe so
ausführlich gewesen, als sie es in Bezug auf Jordan waren, so hätte
sich, glaube ich, auf ein milderes Urtheil in zweiter Instanz hinwirken
lassen, als jetzt erfolgt ist. Durch die Entscheidungsgründe des Oberap-
pellationsgerichts ist auf Beider Sache etwas mehr Licht gefallen, und ich
bin der festen Ueberzeugung, daß sie in höchster Instanz härter als billig
und gerecht abgeurtheilt sind. Hätte das Publicum noch Interesse dafür
und könnte es den Unglücklichen noch nützen, so würde ich das, wie ich
glaube, ohne große Mühe beweisen können.

Auf eine Begnadigung ist nicht zu hoffen, denn die Urheber der
kurhessischen Verfassungsurkunde, welche besorgten, daß ihnen die näch¬
stens in Anklagestand zu versetzenden Minister entrinnen möchten, haben
durch §. 426. dem Landesherrn das Recht der Begnadigung politischer
Verbrecher genommen, und also die Reaction nicht blos hervorgerufen,
sondern ihr auch die Mittel in die Hände gegeben.

In dieser Hinsicht kann die Regierung kein Tadel treffen, und das
Einzige, was das deutsche Volk zu thun vermag, ist, daß es die Theil¬
nahme, welche es an der Begnadigung der unglücklichen und nachträg¬
lichen Opfer einer aufgeregten Zeit nehmen würde, jetzt durch Unterstüz-
zung ihrer Familien an den Tag lege. Sowohl Hach als Kolbe haben
Frau und Kinder, der erstere ist seines Dienstes als Universttätszeichncn-
lehrcr entsetzt und damit seines Gehaltes und für die Zeit seiner Haft
jedes Nebenverdienstes, verlustig. An die liberalen Herren, welche blos



„ *) . Er hat mehreres geschrieben, z. B.- Ein PhysiognomischeS Hülff- und
Taschenbuch für Gebildete, Marburg t8»7.
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[0398] Verbrecher vom Anfange der dreißiger Jahre her im Gefängnisse schmach¬ ten, ja, daß über mehrere jener Unglücklichen das verdammende Urtheil erst vor Kurzem erfolgt ist. Das Oberappellationsgcricht in Kassel hat die Entscheidungen des Marburger Criminal-Senates gegen den Universitätszeichnenlehrer l)i. H a es und den Hutmacher Georg Kolbe bestätigt. Den erstern, einen gebildeten*), fleißigen und ordnungsliebenden Mann, hatte Neugierde und Schwatz- haftigkeit thörichte Dinge hören und sprechen lassen, das war Alles, und freilich viel zu viel. Uebrigens stellen selbst die Marburger Entschei¬ dungsgründe mit einem nicht zu verkennenden Mitleid den Hach als ei¬ nen sehr zu entschuldigenden, oder wie man im gewöhnlichen Leben diesen Ausdruck gebraucht, als einen unschuldigen Mann dar, der weder die Fähigkeit, noch die Absicht gehabt habe, zum Umsturze der Welt et¬ was beizutragen. Obgleich meine Vertheidigung Jordans hauptsächlich nur Einem zu Gute gekommen ist, so hatte ich doch allen in seinen Proceß Verwickelten zu nützen gewünscht, sowohl weil er die unschuldige Ursache des Un¬ glückes Aller war, als weil ich es ungeachtet, ja grade "wegen meiner konservativen politischen Grundsatze nicht billigen konnte, daß man in Kurhessen, Dinge wieder heraufbeschwöre, welche man sich fast überall bemüht hatte, in die Nacht der Vergessenheit zu versenken. Wären die Entscheidungsgründe erster Instanz in Bezug auf Hach und Kolbe so ausführlich gewesen, als sie es in Bezug auf Jordan waren, so hätte sich, glaube ich, auf ein milderes Urtheil in zweiter Instanz hinwirken lassen, als jetzt erfolgt ist. Durch die Entscheidungsgründe des Oberap- pellationsgerichts ist auf Beider Sache etwas mehr Licht gefallen, und ich bin der festen Ueberzeugung, daß sie in höchster Instanz härter als billig und gerecht abgeurtheilt sind. Hätte das Publicum noch Interesse dafür und könnte es den Unglücklichen noch nützen, so würde ich das, wie ich glaube, ohne große Mühe beweisen können. Auf eine Begnadigung ist nicht zu hoffen, denn die Urheber der kurhessischen Verfassungsurkunde, welche besorgten, daß ihnen die näch¬ stens in Anklagestand zu versetzenden Minister entrinnen möchten, haben durch §. 426. dem Landesherrn das Recht der Begnadigung politischer Verbrecher genommen, und also die Reaction nicht blos hervorgerufen, sondern ihr auch die Mittel in die Hände gegeben. In dieser Hinsicht kann die Regierung kein Tadel treffen, und das Einzige, was das deutsche Volk zu thun vermag, ist, daß es die Theil¬ nahme, welche es an der Begnadigung der unglücklichen und nachträg¬ lichen Opfer einer aufgeregten Zeit nehmen würde, jetzt durch Unterstüz- zung ihrer Familien an den Tag lege. Sowohl Hach als Kolbe haben Frau und Kinder, der erstere ist seines Dienstes als Universttätszeichncn- lehrcr entsetzt und damit seines Gehaltes und für die Zeit seiner Haft jedes Nebenverdienstes, verlustig. An die liberalen Herren, welche blos „ *) . Er hat mehreres geschrieben, z. B.- Ein PhysiognomischeS Hülff- und Taschenbuch für Gebildete, Marburg t8»7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/398>, abgerufen am 26.08.2024.