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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ihn auf den Gedanken, daß alle Menschen mir als seine Werkzeuge
brauchbar seien und daß ein großer Zweck schlechte Mittel heilige.
Auf diese Weise ward er erst Götze aller Enthusiasten, dann Feind und
Verfolger alles Edlen." (S. 315.) Darum steht er obenan unter den
Gegnern einer freien Presse; und schon sein Decret vom 17. Januar
des Jahres 18(10 sprach es deutlich genug aus: "daß Journale und
Zeitungen Alles, was Negierung und Beamten thäten, nur loben, nie
tadeln dürften." (S. 316.) Als der erste Consul die alten officiellen
Kirchenceremonien in Mailand und Paris ans sich anwenden ließ, mit
denen den weltlichen Herrschern von Seiten der Geistlichkeit gehuldigt
ward, that er es, um "den unkirchlich denkenden Köpfen in Paris zu
trotzen, die er, wie man jetzt überall zu thun pflegt, auf sanscülottische
Weise ""Atheisten"" schalt." (S.3I8.) Und das war um dieselbe Zeit,
als Bonaparte durch Wiedereinführung eines Hofes > "den Ton und Ge¬
schmack" bilden half, "der jetzt unter den Vornehmen und Reichen all¬
gemein herrscht, in deren Kreisen seit dieser Zeit Natur, Ernst und
Wahrheit immer mehr Gegenstand des Spottes ward." (S. 28.1.)

Dennoch aber erkennt der Historiker in diesem Napoleon willig den
größten Mann des Jahrhunderts," und nichts schmerzt ihn mehr, als
dies Genie gelegentlich unter den Kniffen und Pfiffen eines Talleyrand
"dienen zu sel'en." Dies erscheint ihm um so unwürdiger, als es hi¬
storisch bewiesen und ausgemacht ist, "daß sich in den Jahren 1861
u. f. alle Fürsten und alle Minister Europas jedes großen Gedankens
unfähig zeigten, daß sie den Franzosen überall nachstanden, daß sie ohne
alle Würde waren und nicht einmal begriffen, worin Bonaparte'S Größe
eigentlich bestehe." (S. 459 -- 460.) Dieser "größte Mann seiner Zeit
hätte keiner Cabalen, keiner Polizeispione, keiner Pfaffen bedurft, wenn
er nicht das alte Treiben durchaus hätte erneuern wollen," und wenn
er zweitens nicht übersehen hätte, "daß sich auf Persönlichkeit des Re¬
genten Staatseinrichtungen nicht gründen lassen" (S. 467 und 498).

Aber der größte Irrthum, der diesen Riesen stürzte, war und blieb
doch der, "daß er den neuen Geist verrieth, der ihn groß gemacht, daß
er den plebejischen Weg verließ, der ihn zur Heldengröße geführt hatte,"
daß er mit einem Worte es unternahm, "das Mittelalter und die neue
Zeit versöhnen und vermischen zu wollen." (S. 395.) Hier erhebt der
Historiker warnend die Hand und zeigt auf das offne Wundenmal un¬
serer Zeit. Selbst die Sprache steigert sich zur Erhabenheit des Ernstes
in dem folgenden Zurufe: "Wenn es einem solchen Manne, wie Na¬
poleon Bonaparte war, nicht gelungen ist, zwei unverträgliche Dinge:


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ihn auf den Gedanken, daß alle Menschen mir als seine Werkzeuge
brauchbar seien und daß ein großer Zweck schlechte Mittel heilige.
Auf diese Weise ward er erst Götze aller Enthusiasten, dann Feind und
Verfolger alles Edlen." (S. 315.) Darum steht er obenan unter den
Gegnern einer freien Presse; und schon sein Decret vom 17. Januar
des Jahres 18(10 sprach es deutlich genug aus: „daß Journale und
Zeitungen Alles, was Negierung und Beamten thäten, nur loben, nie
tadeln dürften." (S. 316.) Als der erste Consul die alten officiellen
Kirchenceremonien in Mailand und Paris ans sich anwenden ließ, mit
denen den weltlichen Herrschern von Seiten der Geistlichkeit gehuldigt
ward, that er es, um „den unkirchlich denkenden Köpfen in Paris zu
trotzen, die er, wie man jetzt überall zu thun pflegt, auf sanscülottische
Weise „„Atheisten"" schalt." (S.3I8.) Und das war um dieselbe Zeit,
als Bonaparte durch Wiedereinführung eines Hofes > „den Ton und Ge¬
schmack" bilden half, „der jetzt unter den Vornehmen und Reichen all¬
gemein herrscht, in deren Kreisen seit dieser Zeit Natur, Ernst und
Wahrheit immer mehr Gegenstand des Spottes ward." (S. 28.1.)

Dennoch aber erkennt der Historiker in diesem Napoleon willig den
größten Mann des Jahrhunderts," und nichts schmerzt ihn mehr, als
dies Genie gelegentlich unter den Kniffen und Pfiffen eines Talleyrand
„dienen zu sel'en." Dies erscheint ihm um so unwürdiger, als es hi¬
storisch bewiesen und ausgemacht ist, „daß sich in den Jahren 1861
u. f. alle Fürsten und alle Minister Europas jedes großen Gedankens
unfähig zeigten, daß sie den Franzosen überall nachstanden, daß sie ohne
alle Würde waren und nicht einmal begriffen, worin Bonaparte'S Größe
eigentlich bestehe." (S. 459 — 460.) Dieser „größte Mann seiner Zeit
hätte keiner Cabalen, keiner Polizeispione, keiner Pfaffen bedurft, wenn
er nicht das alte Treiben durchaus hätte erneuern wollen," und wenn
er zweitens nicht übersehen hätte, „daß sich auf Persönlichkeit des Re¬
genten Staatseinrichtungen nicht gründen lassen" (S. 467 und 498).

Aber der größte Irrthum, der diesen Riesen stürzte, war und blieb
doch der, „daß er den neuen Geist verrieth, der ihn groß gemacht, daß
er den plebejischen Weg verließ, der ihn zur Heldengröße geführt hatte,"
daß er mit einem Worte es unternahm, „das Mittelalter und die neue
Zeit versöhnen und vermischen zu wollen." (S. 395.) Hier erhebt der
Historiker warnend die Hand und zeigt auf das offne Wundenmal un¬
serer Zeit. Selbst die Sprache steigert sich zur Erhabenheit des Ernstes
in dem folgenden Zurufe: „Wenn es einem solchen Manne, wie Na¬
poleon Bonaparte war, nicht gelungen ist, zwei unverträgliche Dinge:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/389>, abgerufen am 23.07.2024.