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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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wichen meiner Anstrengung, und bald befand ich mich auf dem gefeiten
Boden, ohne mir im Grunde Rechenschaft gegeben zu haben, was ich
beginnen wollte. Da ringsum Alles still lag, fürchtete ich nicht,
entdeckt zu werden, und näherte mich daher keck dem wunderlichen
Hause. An die Mauer gelehnt, vernahm ich deutlich die Stimme eines
Mannes, der die seltsamsten Worte in kurzen Zwischenräumen ausstieß.
l',-<>"t" ! j,i-o8t"! klang es mitunter und dann wieder: in.l ion trojw"!
>,lini<i! "i-nit" "we<-i>de>! Ich stieg jetzt den kleinen Sandhügel hinauf,
der gegen die Thüre angeschwemmt worden, hob mich auf die Zehen
und schaute durch ein blindes Fenster in einen hell erleuchteten, altmo¬
disch decorirten Gartensaal. Zu beiden Seiten entdeckte ich ein ziemlich
zahlreiches Musikchor und in der Mitte vor einem kleinen Notenpulte
einen festlich in Schwarz gekleideten Mann mit weißer Halsbinde und
feiner Busenkrause, der mit sichtlichem Enthusiasmus eine Papierrolle
schwang. Dabei wa-r Alles todtenstill, nur unterbrochen von dem ein¬
tönigen Rufen: ^ni-to! 5<n tlssim"! ^nu^i"" oder I^est"! Ohne Mühe
erkannte ich in der beweglichen Figur den russischen Grafen R. wieder,
dessen Begleiterin meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt und meine
Phantasie mächtig, wenn auch nicht angenehm erregt hatte. Schauer
auf Schauer durchrieselten mich, als ich die sonderbare Figur sich ab¬
mühen sah und dabei ihre Stimme hörte, die wie Aechzen klang, das
aus einem halb zugeschnürten Halse heftig hervorgepreßt wird und dem
Hörer selbst ein Gefühl erregt, als müsse er ersticken. Plötzlich hörte
ich ein krampfhaftes Lachen, der geisterhafte Kapellmeister hatte seine
Papierrolle weggeworfen und klammerte sich fest an das Notenpult,
als fürchte er umzusinken, ein Schrei noch, der mir bis ins Innig-
innerste drang und das seltsame musikalische Gespenst war verschwun¬
den. Ich hörte deutlich einen schweren Körper zu Boden fallen, eine
Thüre knarren, Fußtritte ans morschen, ächzenden Dielen und Stimmen-
gestufter. Aus Furcht ertappt zu werden, zog ich mich zurück und
harrte einige Zeit schweigend hinter einigen Baumstämmen. Da sah
ich in dem Schatten der Buchen mehrere Gestalten, die einen Körper
fortschleppten, und unter ihnen ein Wesen in Frauenkleidern. Dann
hörte ich einige leise Worte aus einem befehlenden Munde, die Gestal¬
ten verschwanden in der Richtung nach der Villa, und bald war Alles
so still, daß ich daS Klopfen meines Herzens vernehmen konnte; droben
aber in dem Salon des S"ickhäu6ebens strahlten die Lichter ungestört
und still weiter.

Ich überlegte rasch, ob ich an Rückzug denken oder das Aben-


wichen meiner Anstrengung, und bald befand ich mich auf dem gefeiten
Boden, ohne mir im Grunde Rechenschaft gegeben zu haben, was ich
beginnen wollte. Da ringsum Alles still lag, fürchtete ich nicht,
entdeckt zu werden, und näherte mich daher keck dem wunderlichen
Hause. An die Mauer gelehnt, vernahm ich deutlich die Stimme eines
Mannes, der die seltsamsten Worte in kurzen Zwischenräumen ausstieß.
l',-<>«t» ! j,i-o8t»! klang es mitunter und dann wieder: in.l ion trojw"!
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der gegen die Thüre angeschwemmt worden, hob mich auf die Zehen
und schaute durch ein blindes Fenster in einen hell erleuchteten, altmo¬
disch decorirten Gartensaal. Zu beiden Seiten entdeckte ich ein ziemlich
zahlreiches Musikchor und in der Mitte vor einem kleinen Notenpulte
einen festlich in Schwarz gekleideten Mann mit weißer Halsbinde und
feiner Busenkrause, der mit sichtlichem Enthusiasmus eine Papierrolle
schwang. Dabei wa-r Alles todtenstill, nur unterbrochen von dem ein¬
tönigen Rufen: ^ni-to! 5<n tlssim»! ^nu^i«» oder I^est»! Ohne Mühe
erkannte ich in der beweglichen Figur den russischen Grafen R. wieder,
dessen Begleiterin meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt und meine
Phantasie mächtig, wenn auch nicht angenehm erregt hatte. Schauer
auf Schauer durchrieselten mich, als ich die sonderbare Figur sich ab¬
mühen sah und dabei ihre Stimme hörte, die wie Aechzen klang, das
aus einem halb zugeschnürten Halse heftig hervorgepreßt wird und dem
Hörer selbst ein Gefühl erregt, als müsse er ersticken. Plötzlich hörte
ich ein krampfhaftes Lachen, der geisterhafte Kapellmeister hatte seine
Papierrolle weggeworfen und klammerte sich fest an das Notenpult,
als fürchte er umzusinken, ein Schrei noch, der mir bis ins Innig-
innerste drang und das seltsame musikalische Gespenst war verschwun¬
den. Ich hörte deutlich einen schweren Körper zu Boden fallen, eine
Thüre knarren, Fußtritte ans morschen, ächzenden Dielen und Stimmen-
gestufter. Aus Furcht ertappt zu werden, zog ich mich zurück und
harrte einige Zeit schweigend hinter einigen Baumstämmen. Da sah
ich in dem Schatten der Buchen mehrere Gestalten, die einen Körper
fortschleppten, und unter ihnen ein Wesen in Frauenkleidern. Dann
hörte ich einige leise Worte aus einem befehlenden Munde, die Gestal¬
ten verschwanden in der Richtung nach der Villa, und bald war Alles
so still, daß ich daS Klopfen meines Herzens vernehmen konnte; droben
aber in dem Salon des S"ickhäu6ebens strahlten die Lichter ungestört
und still weiter.

Ich überlegte rasch, ob ich an Rückzug denken oder das Aben-


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[0369] wichen meiner Anstrengung, und bald befand ich mich auf dem gefeiten Boden, ohne mir im Grunde Rechenschaft gegeben zu haben, was ich beginnen wollte. Da ringsum Alles still lag, fürchtete ich nicht, entdeckt zu werden, und näherte mich daher keck dem wunderlichen Hause. An die Mauer gelehnt, vernahm ich deutlich die Stimme eines Mannes, der die seltsamsten Worte in kurzen Zwischenräumen ausstieß. l',-<>«t» ! j,i-o8t»! klang es mitunter und dann wieder: in.l ion trojw"! >,lini<i! »i-nit» «we<-i>de>! Ich stieg jetzt den kleinen Sandhügel hinauf, der gegen die Thüre angeschwemmt worden, hob mich auf die Zehen und schaute durch ein blindes Fenster in einen hell erleuchteten, altmo¬ disch decorirten Gartensaal. Zu beiden Seiten entdeckte ich ein ziemlich zahlreiches Musikchor und in der Mitte vor einem kleinen Notenpulte einen festlich in Schwarz gekleideten Mann mit weißer Halsbinde und feiner Busenkrause, der mit sichtlichem Enthusiasmus eine Papierrolle schwang. Dabei wa-r Alles todtenstill, nur unterbrochen von dem ein¬ tönigen Rufen: ^ni-to! 5<n tlssim»! ^nu^i«» oder I^est»! Ohne Mühe erkannte ich in der beweglichen Figur den russischen Grafen R. wieder, dessen Begleiterin meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt und meine Phantasie mächtig, wenn auch nicht angenehm erregt hatte. Schauer auf Schauer durchrieselten mich, als ich die sonderbare Figur sich ab¬ mühen sah und dabei ihre Stimme hörte, die wie Aechzen klang, das aus einem halb zugeschnürten Halse heftig hervorgepreßt wird und dem Hörer selbst ein Gefühl erregt, als müsse er ersticken. Plötzlich hörte ich ein krampfhaftes Lachen, der geisterhafte Kapellmeister hatte seine Papierrolle weggeworfen und klammerte sich fest an das Notenpult, als fürchte er umzusinken, ein Schrei noch, der mir bis ins Innig- innerste drang und das seltsame musikalische Gespenst war verschwun¬ den. Ich hörte deutlich einen schweren Körper zu Boden fallen, eine Thüre knarren, Fußtritte ans morschen, ächzenden Dielen und Stimmen- gestufter. Aus Furcht ertappt zu werden, zog ich mich zurück und harrte einige Zeit schweigend hinter einigen Baumstämmen. Da sah ich in dem Schatten der Buchen mehrere Gestalten, die einen Körper fortschleppten, und unter ihnen ein Wesen in Frauenkleidern. Dann hörte ich einige leise Worte aus einem befehlenden Munde, die Gestal¬ ten verschwanden in der Richtung nach der Villa, und bald war Alles so still, daß ich daS Klopfen meines Herzens vernehmen konnte; droben aber in dem Salon des S"ickhäu6ebens strahlten die Lichter ungestört und still weiter. Ich überlegte rasch, ob ich an Rückzug denken oder das Aben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/369>, abgerufen am 23.07.2024.