Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.von hohen Buchen umgeben, Regengüsse und Thauwetter hatten Sand In Tennewitz traf ich meinen Freund krank, er entschuldigte, was von hohen Buchen umgeben, Regengüsse und Thauwetter hatten Sand In Tennewitz traf ich meinen Freund krank, er entschuldigte, was <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183950"/> <p xml:id="ID_1106" prev="#ID_1105"> von hohen Buchen umgeben, Regengüsse und Thauwetter hatten Sand<lb/> und lockern Boden vom Abhänge herunter gegen das Erdgeschoß ge¬<lb/> führt und Thüre und Fensterladen theilweise verschüttet, so daß ein<lb/> kecker Geselle ohne viel Mühe in den ersten Stock steigen konnte. Die¬<lb/> ser zählte vier blinde, staubige Fenster, und um das Bild der Verlas¬<lb/> senheit zu erhöhen, hing an dein einen eine zerfetzte Gardine herab.<lb/> Ich erinnerte mich sogleich eines ähnlichen Gebäudes in meiner Va¬<lb/> terstadt, wo wir Kinder immer sehen vorübergeschlichen waren und uns<lb/> dabei mit heimlichem Grauen und einem gewissen, unerklärlichen Ver¬<lb/> gnügen die Geschichte eines Selbstmörders erzählten, den man dort<lb/> mit zerschmettertem Gehirn gefunden hatte, so daß ich zuletzt gern den<lb/> biedern Dorfbewohnern ihren Aberglauben verzieh. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1107" next="#ID_1108"> In Tennewitz traf ich meinen Freund krank, er entschuldigte, was<lb/> er nicht ändern konnte, und nachdem wir unser Geschäft besprochen,<lb/> kehrte ich gegen Abend nach Hause. Der Mond im ersten Viertel stand<lb/> im Zenith und leuchtete dem einsamen Wanderer mit spärlichem Lichte ;<lb/> ich dachte an das Gespensterhäuöchen, an den unglücklichen Selbst¬<lb/> mörder, an unglückliche Liebe und an mich selber. So war ich ziem¬<lb/> lich eine halbe Stunde gegangen, da rauschte mit einem Male ein<lb/> Feuerstrahl ans, und eine kurze Strecke vor mir sah ich eine Rakete<lb/> aufsteigen, die in der Luft mit drei rothen Leuchtkugeln zerstob. Mir<lb/> war dabei wunderlich zu Muthe, als gäbe eS etwas zu sehen und<lb/> als könnte ich zu spät kommen, und so lief ich denn, bis mir die<lb/> hellen Tropfen auf der Stirn standen. Als ich die Höhe des Berges<lb/> erreicht, hielt ich an und ging langsamer den einsamen Pfad weiter,<lb/> zur Rechten den Wald, zur Linken einen zerfallenen Zaun mit Ge¬<lb/> sträuch und Unkraut dicht überwuchert. Da kam das Spukhänschen<lb/> zum Vorschein, düster zwischen den Buchen versteckt, nicht einmal dem<lb/> Mondenlichte zugänglich. Mit Befremden und Erstaunen nahm ich<lb/> aber wahr, daß die vier Fenster des ersten und einzigen Stockwerkes<lb/> hell erleuchtet waren. Ich mochte mir wiederholt sagen, nichts sei<lb/> einfacher, als daß die Bewohner ihre Stuben zur Nachtzeit erleuch¬<lb/> teten, immer kam mir die Ahnung wieder, eS gehe hier etwas Unge¬<lb/> wöhnliches vor. Einige Fenster waren geöffnet, auch dies, dem Un¬<lb/> befangenen so natürlich, mußte meine Phantasie reizen. Weil ich sie<lb/> nur verschlossen gesehen, mußte ich mir einbilden, sie seien wegen etwas<lb/> Außerordentlichen geöffnet. Nun mußte ich noch dazu einige verwor¬<lb/> rene, halb klagende Töne vernehmen, und es fehlte wenig, so hätte<lb/> ich an Geistergeschichten geglaubt. Die morschen Breter deö Zauns</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0368]
von hohen Buchen umgeben, Regengüsse und Thauwetter hatten Sand
und lockern Boden vom Abhänge herunter gegen das Erdgeschoß ge¬
führt und Thüre und Fensterladen theilweise verschüttet, so daß ein
kecker Geselle ohne viel Mühe in den ersten Stock steigen konnte. Die¬
ser zählte vier blinde, staubige Fenster, und um das Bild der Verlas¬
senheit zu erhöhen, hing an dein einen eine zerfetzte Gardine herab.
Ich erinnerte mich sogleich eines ähnlichen Gebäudes in meiner Va¬
terstadt, wo wir Kinder immer sehen vorübergeschlichen waren und uns
dabei mit heimlichem Grauen und einem gewissen, unerklärlichen Ver¬
gnügen die Geschichte eines Selbstmörders erzählten, den man dort
mit zerschmettertem Gehirn gefunden hatte, so daß ich zuletzt gern den
biedern Dorfbewohnern ihren Aberglauben verzieh. —
In Tennewitz traf ich meinen Freund krank, er entschuldigte, was
er nicht ändern konnte, und nachdem wir unser Geschäft besprochen,
kehrte ich gegen Abend nach Hause. Der Mond im ersten Viertel stand
im Zenith und leuchtete dem einsamen Wanderer mit spärlichem Lichte ;
ich dachte an das Gespensterhäuöchen, an den unglücklichen Selbst¬
mörder, an unglückliche Liebe und an mich selber. So war ich ziem¬
lich eine halbe Stunde gegangen, da rauschte mit einem Male ein
Feuerstrahl ans, und eine kurze Strecke vor mir sah ich eine Rakete
aufsteigen, die in der Luft mit drei rothen Leuchtkugeln zerstob. Mir
war dabei wunderlich zu Muthe, als gäbe eS etwas zu sehen und
als könnte ich zu spät kommen, und so lief ich denn, bis mir die
hellen Tropfen auf der Stirn standen. Als ich die Höhe des Berges
erreicht, hielt ich an und ging langsamer den einsamen Pfad weiter,
zur Rechten den Wald, zur Linken einen zerfallenen Zaun mit Ge¬
sträuch und Unkraut dicht überwuchert. Da kam das Spukhänschen
zum Vorschein, düster zwischen den Buchen versteckt, nicht einmal dem
Mondenlichte zugänglich. Mit Befremden und Erstaunen nahm ich
aber wahr, daß die vier Fenster des ersten und einzigen Stockwerkes
hell erleuchtet waren. Ich mochte mir wiederholt sagen, nichts sei
einfacher, als daß die Bewohner ihre Stuben zur Nachtzeit erleuch¬
teten, immer kam mir die Ahnung wieder, eS gehe hier etwas Unge¬
wöhnliches vor. Einige Fenster waren geöffnet, auch dies, dem Un¬
befangenen so natürlich, mußte meine Phantasie reizen. Weil ich sie
nur verschlossen gesehen, mußte ich mir einbilden, sie seien wegen etwas
Außerordentlichen geöffnet. Nun mußte ich noch dazu einige verwor¬
rene, halb klagende Töne vernehmen, und es fehlte wenig, so hätte
ich an Geistergeschichten geglaubt. Die morschen Breter deö Zauns
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