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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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regelmäßig und ebenso kalt und unbeweglich wiederzugeben vermag
und dunkle, fast zu starke Augenbrauen, die sich über schwarzen Au¬
gen wölbten, so tief, so feurig, daß man fast erschrak, wenn sie sich
mit ihrer ganzen Gewalt auf einen Gegenstand hefteten. Zwei furcht¬
bare Widersprüche: die kalte, ungetrübte Klarheit der Züge und die
leidenschaftliche Gluthensprache dieser versengenden Augen. Hier sah
ich ein Wesen vor mir, das mit ungewöhnlichen Kräften begabt schien,
und wo der Mensch solche wahrnimmt, muß er gleich an ein Schick¬
sal denken, das mächtig genug wäre zu brechen und zu vernichten.
Diese Empfindungen nur zu erhöhen, saß ihr Begleiter, ein Mann
von 40 Jahren, schlaff und locker zu Pferde. Sein Gesicht war eher
gebleicht, als bleich, seine Augen tief gesunken, vom mattesten Blau,
wirr und ausdruckslos, sein Mund ein wenig geöffnet, weil die Unter¬
lippe kraftlos herabhing. Es war etwas Entsetzliches, die Vernichtung
am Manne, die dämonisch zum Kampfe lockende Energie am Weibe
in innigem Begegnen zu erblicken. Wer sind diese Beiden? fragte
ich die Wirthin, die neugierig aus dem Hause getreten war. "Graf
und Gräfin R., reiche Leute aus Rußland!" war die Antwort,
Wohnen sie im Dorf? forschte ich weiter. "Seit dem Frühjahr. Dort
oben an der Straße nach Tennewitz, in dem schönen Palais, gleich
neben dem Gespensterhäuschen." Nun war die Sache auf dem Punkte,
mährchenhaft zu werden, zumal da die gesprächige Wirthin auf mein
Verlangen erläuterte, daß das sogenannte Spuk- oder Gespensterhäus-
chen ein altes hölzernes Gebäude sei, wo sich einst ein unglücklicher
junger Mensch erschossen hätte. Senden" habe man es zugeschlossen,
aber deshalb Hause der Geist nur ungestörter darin, lind einige biedere
Landleute hätten erst kürzlich versichert, das Haus bei nächtlicher Weile
erleuchtet gesehen und aus den geöffneten Fenstern ein sonderbares
Rufen und Aechzen gehört zu haben. Ich lachte mich im Stillen aus,
daß ich die albernen Geschichten mit anhören konnte, bezahlte meinen
Wein und machte mich auf den Weg nach Tennewitz, meinem Freund
entgegen zu gehen, oder ihn aufzusuchen.

Nun führte mich aber gerade mein Weg an dem Spukhäuschen
vorüber, und willig oder unwillig, ich mußte einige Augenblicke an
dem halb zerfallenen Breterzaun verweilen, um nach der geheimni߬
vollen Stätte hinüber zu schauen. Der Ort hatte wirklich etwas ei¬
genthümlich Düsteres. Während die Villa, welche die Wirthin im
Dorfe ein Palais genannt, frei und hell auf dem Gipfel des Berges
stand, war das graue, hölzerne Häuschen nach Mittag und Abend


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regelmäßig und ebenso kalt und unbeweglich wiederzugeben vermag
und dunkle, fast zu starke Augenbrauen, die sich über schwarzen Au¬
gen wölbten, so tief, so feurig, daß man fast erschrak, wenn sie sich
mit ihrer ganzen Gewalt auf einen Gegenstand hefteten. Zwei furcht¬
bare Widersprüche: die kalte, ungetrübte Klarheit der Züge und die
leidenschaftliche Gluthensprache dieser versengenden Augen. Hier sah
ich ein Wesen vor mir, das mit ungewöhnlichen Kräften begabt schien,
und wo der Mensch solche wahrnimmt, muß er gleich an ein Schick¬
sal denken, das mächtig genug wäre zu brechen und zu vernichten.
Diese Empfindungen nur zu erhöhen, saß ihr Begleiter, ein Mann
von 40 Jahren, schlaff und locker zu Pferde. Sein Gesicht war eher
gebleicht, als bleich, seine Augen tief gesunken, vom mattesten Blau,
wirr und ausdruckslos, sein Mund ein wenig geöffnet, weil die Unter¬
lippe kraftlos herabhing. Es war etwas Entsetzliches, die Vernichtung
am Manne, die dämonisch zum Kampfe lockende Energie am Weibe
in innigem Begegnen zu erblicken. Wer sind diese Beiden? fragte
ich die Wirthin, die neugierig aus dem Hause getreten war. „Graf
und Gräfin R., reiche Leute aus Rußland!" war die Antwort,
Wohnen sie im Dorf? forschte ich weiter. „Seit dem Frühjahr. Dort
oben an der Straße nach Tennewitz, in dem schönen Palais, gleich
neben dem Gespensterhäuschen." Nun war die Sache auf dem Punkte,
mährchenhaft zu werden, zumal da die gesprächige Wirthin auf mein
Verlangen erläuterte, daß das sogenannte Spuk- oder Gespensterhäus-
chen ein altes hölzernes Gebäude sei, wo sich einst ein unglücklicher
junger Mensch erschossen hätte. Senden» habe man es zugeschlossen,
aber deshalb Hause der Geist nur ungestörter darin, lind einige biedere
Landleute hätten erst kürzlich versichert, das Haus bei nächtlicher Weile
erleuchtet gesehen und aus den geöffneten Fenstern ein sonderbares
Rufen und Aechzen gehört zu haben. Ich lachte mich im Stillen aus,
daß ich die albernen Geschichten mit anhören konnte, bezahlte meinen
Wein und machte mich auf den Weg nach Tennewitz, meinem Freund
entgegen zu gehen, oder ihn aufzusuchen.

Nun führte mich aber gerade mein Weg an dem Spukhäuschen
vorüber, und willig oder unwillig, ich mußte einige Augenblicke an
dem halb zerfallenen Breterzaun verweilen, um nach der geheimni߬
vollen Stätte hinüber zu schauen. Der Ort hatte wirklich etwas ei¬
genthümlich Düsteres. Während die Villa, welche die Wirthin im
Dorfe ein Palais genannt, frei und hell auf dem Gipfel des Berges
stand, war das graue, hölzerne Häuschen nach Mittag und Abend


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[0367] regelmäßig und ebenso kalt und unbeweglich wiederzugeben vermag und dunkle, fast zu starke Augenbrauen, die sich über schwarzen Au¬ gen wölbten, so tief, so feurig, daß man fast erschrak, wenn sie sich mit ihrer ganzen Gewalt auf einen Gegenstand hefteten. Zwei furcht¬ bare Widersprüche: die kalte, ungetrübte Klarheit der Züge und die leidenschaftliche Gluthensprache dieser versengenden Augen. Hier sah ich ein Wesen vor mir, das mit ungewöhnlichen Kräften begabt schien, und wo der Mensch solche wahrnimmt, muß er gleich an ein Schick¬ sal denken, das mächtig genug wäre zu brechen und zu vernichten. Diese Empfindungen nur zu erhöhen, saß ihr Begleiter, ein Mann von 40 Jahren, schlaff und locker zu Pferde. Sein Gesicht war eher gebleicht, als bleich, seine Augen tief gesunken, vom mattesten Blau, wirr und ausdruckslos, sein Mund ein wenig geöffnet, weil die Unter¬ lippe kraftlos herabhing. Es war etwas Entsetzliches, die Vernichtung am Manne, die dämonisch zum Kampfe lockende Energie am Weibe in innigem Begegnen zu erblicken. Wer sind diese Beiden? fragte ich die Wirthin, die neugierig aus dem Hause getreten war. „Graf und Gräfin R., reiche Leute aus Rußland!" war die Antwort, Wohnen sie im Dorf? forschte ich weiter. „Seit dem Frühjahr. Dort oben an der Straße nach Tennewitz, in dem schönen Palais, gleich neben dem Gespensterhäuschen." Nun war die Sache auf dem Punkte, mährchenhaft zu werden, zumal da die gesprächige Wirthin auf mein Verlangen erläuterte, daß das sogenannte Spuk- oder Gespensterhäus- chen ein altes hölzernes Gebäude sei, wo sich einst ein unglücklicher junger Mensch erschossen hätte. Senden» habe man es zugeschlossen, aber deshalb Hause der Geist nur ungestörter darin, lind einige biedere Landleute hätten erst kürzlich versichert, das Haus bei nächtlicher Weile erleuchtet gesehen und aus den geöffneten Fenstern ein sonderbares Rufen und Aechzen gehört zu haben. Ich lachte mich im Stillen aus, daß ich die albernen Geschichten mit anhören konnte, bezahlte meinen Wein und machte mich auf den Weg nach Tennewitz, meinem Freund entgegen zu gehen, oder ihn aufzusuchen. Nun führte mich aber gerade mein Weg an dem Spukhäuschen vorüber, und willig oder unwillig, ich mußte einige Augenblicke an dem halb zerfallenen Breterzaun verweilen, um nach der geheimni߬ vollen Stätte hinüber zu schauen. Der Ort hatte wirklich etwas ei¬ genthümlich Düsteres. Während die Villa, welche die Wirthin im Dorfe ein Palais genannt, frei und hell auf dem Gipfel des Berges stand, war das graue, hölzerne Häuschen nach Mittag und Abend 49*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/367>, abgerufen am 26.08.2024.