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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schieden anerkannte Unmöglichkeit, daß eine Hinneigung zu demselben
Rußland nicht einschüchtern konnte? Ist die verminderte Ruhestörung,
die man durch den Sturz Krakaus beabsichtigt, nicht um so gefährlicher
für Oesterreich, je mehr die andern zwei Mächte effectiv gewinnen ? Diese
Bevölkerung, die sich als die ältesten und letzten Fahnenträger eines freien
Polens betrachtet, die außer der Erbitterung über den Untergang des gro¬
ßen Polenreichs jetzt noch den besonderen Stachel wegen der Zerstörung
ihrer kleinen Republik in sich trägt, diese Bauern, die nicht gewohnt
waren Rekruten zu stellen, diese Bürger, die nicht gewohnt sind Zölle
zu entrichten, werden sie nicht jeder Verschwörung um so rascher sich hin¬
geben und werden wir dies Alles nicht jetzt innerhalb unserer eigenen
Grenzen haben, was in früheren Jahren wenigstens außerhalb derselben
gekocht wurde? Freilich werden starke Besatzungen und eine zahlreiche
Beamtenschaft dies Alles in gewohnter Art niederzuhalten suchen,
aber wem fallen die ungeheuren Kosten dieser Art Administration anders
zur Last als dem'Gesammtstaat, denn das arme Gebiet der bisherigen Re¬
publik, das obendrein aus Staatsklugheit geschont werden muß, wird in
fünf Jahren nicht abwerfen, was es dem Staatsschatz in einem Jahre
kostet. Und wofür bringen wir alle diese Opfer, die noch so viele Unru¬
hen und Kosten in ihrem Schooße für lange Zukunft trägt? Wo ist der
Vortheil, der dies aufwiegt?

Ein Einziges kann für den Augenblick uns trösten und beruhigen.
Der Friede Europas wird jetzt und durch diese Frage nicht erschüt¬
tert werden; das Erstaunen, welches Herr Guizot in dem Journal
des Debats spielen läßt, wird allmälig in einen andern Ton sich
verwandeln; mag sein, daß Herr Guizot nichts wußte von Dem,
was die drei Mächte vorbereiten, in Frankreich wußte man davon, wenn
auch die Personen, die es wußten, keine absetzbaren Minister waren. So
apathisch ist weder Rußland noch Oesterreich und Preußen, daß sie bei
der Montpensi'er'schen Heirath geschwiegen hatten, während England don¬
nerte. Herr Guizot war etwas naiv, indem er sich fast einer Allianz Oe¬
sterreichs rühmte, und wenn wir bedenken, wie er dies Alles blos seiner
Klugheit zuschrieb, so sind wir sehr geneigt, ihn bei seinem jetzigen Er¬
staunen wirklich für ehrlich zu halten, obschon dadurch auf seinen Ver¬
stand und auf das Vertrauen, das er bei seinem Herrn genießt, ein ziem¬
lich starker Schatten fällt. -- Frankreich, insofern es durch den "unwandel¬
baren Gedanken" repräsentirt wird, ist also keineswegs isolirt, wenn auch
die österreichische Politik es für nöthig erachtete, durch die Vermählung
des Herzogs von Bordeaux die Ruthe unter den Spiegel zu stecken für
unvorhergesehene Fälle. Frankreich hat sich nicht isolirt, wiederholen wir
mit Zuversicht, aber auch England wird sich von den drei Machten nicht
isoliren, obschon ein Querkopf wie Palmerston gern "Melo donKIe spielt.
England, mit seiner irländischen Wunde im Herzen, mit seiner kaum
durchgesetzten Korngesetzaufhebung zur Stillung der hungernden Arbeiter¬
classen, England ist nicht minder friedenslustig wie jeder andere Staat
Europas; im ärgsten und wahrscheinlichsten Falle wird ein besönne-


schieden anerkannte Unmöglichkeit, daß eine Hinneigung zu demselben
Rußland nicht einschüchtern konnte? Ist die verminderte Ruhestörung,
die man durch den Sturz Krakaus beabsichtigt, nicht um so gefährlicher
für Oesterreich, je mehr die andern zwei Mächte effectiv gewinnen ? Diese
Bevölkerung, die sich als die ältesten und letzten Fahnenträger eines freien
Polens betrachtet, die außer der Erbitterung über den Untergang des gro¬
ßen Polenreichs jetzt noch den besonderen Stachel wegen der Zerstörung
ihrer kleinen Republik in sich trägt, diese Bauern, die nicht gewohnt
waren Rekruten zu stellen, diese Bürger, die nicht gewohnt sind Zölle
zu entrichten, werden sie nicht jeder Verschwörung um so rascher sich hin¬
geben und werden wir dies Alles nicht jetzt innerhalb unserer eigenen
Grenzen haben, was in früheren Jahren wenigstens außerhalb derselben
gekocht wurde? Freilich werden starke Besatzungen und eine zahlreiche
Beamtenschaft dies Alles in gewohnter Art niederzuhalten suchen,
aber wem fallen die ungeheuren Kosten dieser Art Administration anders
zur Last als dem'Gesammtstaat, denn das arme Gebiet der bisherigen Re¬
publik, das obendrein aus Staatsklugheit geschont werden muß, wird in
fünf Jahren nicht abwerfen, was es dem Staatsschatz in einem Jahre
kostet. Und wofür bringen wir alle diese Opfer, die noch so viele Unru¬
hen und Kosten in ihrem Schooße für lange Zukunft trägt? Wo ist der
Vortheil, der dies aufwiegt?

Ein Einziges kann für den Augenblick uns trösten und beruhigen.
Der Friede Europas wird jetzt und durch diese Frage nicht erschüt¬
tert werden; das Erstaunen, welches Herr Guizot in dem Journal
des Debats spielen läßt, wird allmälig in einen andern Ton sich
verwandeln; mag sein, daß Herr Guizot nichts wußte von Dem,
was die drei Mächte vorbereiten, in Frankreich wußte man davon, wenn
auch die Personen, die es wußten, keine absetzbaren Minister waren. So
apathisch ist weder Rußland noch Oesterreich und Preußen, daß sie bei
der Montpensi'er'schen Heirath geschwiegen hatten, während England don¬
nerte. Herr Guizot war etwas naiv, indem er sich fast einer Allianz Oe¬
sterreichs rühmte, und wenn wir bedenken, wie er dies Alles blos seiner
Klugheit zuschrieb, so sind wir sehr geneigt, ihn bei seinem jetzigen Er¬
staunen wirklich für ehrlich zu halten, obschon dadurch auf seinen Ver¬
stand und auf das Vertrauen, das er bei seinem Herrn genießt, ein ziem¬
lich starker Schatten fällt. — Frankreich, insofern es durch den „unwandel¬
baren Gedanken" repräsentirt wird, ist also keineswegs isolirt, wenn auch
die österreichische Politik es für nöthig erachtete, durch die Vermählung
des Herzogs von Bordeaux die Ruthe unter den Spiegel zu stecken für
unvorhergesehene Fälle. Frankreich hat sich nicht isolirt, wiederholen wir
mit Zuversicht, aber auch England wird sich von den drei Machten nicht
isoliren, obschon ein Querkopf wie Palmerston gern «Melo donKIe spielt.
England, mit seiner irländischen Wunde im Herzen, mit seiner kaum
durchgesetzten Korngesetzaufhebung zur Stillung der hungernden Arbeiter¬
classen, England ist nicht minder friedenslustig wie jeder andere Staat
Europas; im ärgsten und wahrscheinlichsten Falle wird ein besönne-


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[0358] schieden anerkannte Unmöglichkeit, daß eine Hinneigung zu demselben Rußland nicht einschüchtern konnte? Ist die verminderte Ruhestörung, die man durch den Sturz Krakaus beabsichtigt, nicht um so gefährlicher für Oesterreich, je mehr die andern zwei Mächte effectiv gewinnen ? Diese Bevölkerung, die sich als die ältesten und letzten Fahnenträger eines freien Polens betrachtet, die außer der Erbitterung über den Untergang des gro¬ ßen Polenreichs jetzt noch den besonderen Stachel wegen der Zerstörung ihrer kleinen Republik in sich trägt, diese Bauern, die nicht gewohnt waren Rekruten zu stellen, diese Bürger, die nicht gewohnt sind Zölle zu entrichten, werden sie nicht jeder Verschwörung um so rascher sich hin¬ geben und werden wir dies Alles nicht jetzt innerhalb unserer eigenen Grenzen haben, was in früheren Jahren wenigstens außerhalb derselben gekocht wurde? Freilich werden starke Besatzungen und eine zahlreiche Beamtenschaft dies Alles in gewohnter Art niederzuhalten suchen, aber wem fallen die ungeheuren Kosten dieser Art Administration anders zur Last als dem'Gesammtstaat, denn das arme Gebiet der bisherigen Re¬ publik, das obendrein aus Staatsklugheit geschont werden muß, wird in fünf Jahren nicht abwerfen, was es dem Staatsschatz in einem Jahre kostet. Und wofür bringen wir alle diese Opfer, die noch so viele Unru¬ hen und Kosten in ihrem Schooße für lange Zukunft trägt? Wo ist der Vortheil, der dies aufwiegt? Ein Einziges kann für den Augenblick uns trösten und beruhigen. Der Friede Europas wird jetzt und durch diese Frage nicht erschüt¬ tert werden; das Erstaunen, welches Herr Guizot in dem Journal des Debats spielen läßt, wird allmälig in einen andern Ton sich verwandeln; mag sein, daß Herr Guizot nichts wußte von Dem, was die drei Mächte vorbereiten, in Frankreich wußte man davon, wenn auch die Personen, die es wußten, keine absetzbaren Minister waren. So apathisch ist weder Rußland noch Oesterreich und Preußen, daß sie bei der Montpensi'er'schen Heirath geschwiegen hatten, während England don¬ nerte. Herr Guizot war etwas naiv, indem er sich fast einer Allianz Oe¬ sterreichs rühmte, und wenn wir bedenken, wie er dies Alles blos seiner Klugheit zuschrieb, so sind wir sehr geneigt, ihn bei seinem jetzigen Er¬ staunen wirklich für ehrlich zu halten, obschon dadurch auf seinen Ver¬ stand und auf das Vertrauen, das er bei seinem Herrn genießt, ein ziem¬ lich starker Schatten fällt. — Frankreich, insofern es durch den „unwandel¬ baren Gedanken" repräsentirt wird, ist also keineswegs isolirt, wenn auch die österreichische Politik es für nöthig erachtete, durch die Vermählung des Herzogs von Bordeaux die Ruthe unter den Spiegel zu stecken für unvorhergesehene Fälle. Frankreich hat sich nicht isolirt, wiederholen wir mit Zuversicht, aber auch England wird sich von den drei Machten nicht isoliren, obschon ein Querkopf wie Palmerston gern «Melo donKIe spielt. England, mit seiner irländischen Wunde im Herzen, mit seiner kaum durchgesetzten Korngesetzaufhebung zur Stillung der hungernden Arbeiter¬ classen, England ist nicht minder friedenslustig wie jeder andere Staat Europas; im ärgsten und wahrscheinlichsten Falle wird ein besönne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/358>, abgerufen am 23.07.2024.