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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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kein Veto eingelegt, als die Krakauer Constitution unter den Auspicken
der drei Schutzmachte im Jahre 1833 einer Revision unterworfen wurde,
ebensowenig intervenirten sie, als im Jahre 1840 abermals eine Revision
der Krakauer Legislarion stattfand, die in mancher Beziehung die Kon¬
stitution verletzte. Auch die wiederholten Besetzungen des Krakauer
Gebiets durch die Truppen der vereinigten drei Machte ließ man in Frank¬
reich und England ohne Widerstand geschehen. Wie wäre dieses Alles
möglich gewesen, wenn nicht das Princip zugestanden worden wäre, daß
Krakau und seine Unabhängigkeit blos eine den drei Schutzmachten anheim¬
gestellte Sache wäre? Und warum haben es jene beiden Cabinette sich
gefallen lassen, daß die drei Schutzmächte weder einen englischen noch
französischen Geschäftsträger in dem Freistaat duldeten, wenn sie nicht
anerkannt hatten, daß jene Drei hier entscheidend sind.

Doch dies Alles wird in nächster Zeit noch so weitläufige Erörte¬
rungen erleben, daß wir füglich in diesem Augenblicke nicht in eine breite
Abhandlung einzugehen brauchen. Wichtiger scheint es uns, einen Blick
auf die Motive zu werfen, die Oesterreich in dieser Sache geleitet haben.
Oesterreich hat, wie überhaupt in der ganzen Polentragödie dieses
Jahres, auch hier das meiste Unglück gehabt. Die Sache verhält
sich im Allgemeinen folgender Gestalt. Krakau war dem Kaiser Nicolaus
von jeher ein Dorn im Auge. Alexander, der sich mit der Idee eines
selbständigen Königreichs Polen unter russischer Protection getragen, konnte sehr
wohl eine kleine Erperimentalrepublik schaffen und bestehen lassen; Ni¬
colaus dagegen, mit seinen gewaltsamen Eentralisationsstreichen, mußte dieses
Stückchen Erde, das noch den Schein eines freien Polens repräsentiere,
auf's tiefste zuwider sein, und wurde es besonders nach Beendigung
der polnischen Revolution, als "die Ordnung in Warschau herrschte,"
und Krakau der Zufluchtsort so vieler Flüchtlinge ward. Schon damals
drang Rußland wiederholt auf die Aufhebung des Krakauischen Freistaats,
und als Oesterreich sich fort und fort mit Entschiedenhei" weigerte, ging
es im Jahre 183(j so weit, es Oesterreich zur Besitznahme anzubieten.
Aber die österreichische Dynastie wies auch dies mit gleicher Entschie¬
denheit ab, selbst im Jahre 1838, wo man neue Besatzung dahin schicken
mußte und die Propaganda von dort aus mit neuer Anstrengung wirkte.
Nach den blutigen Tagen dieses Frühjahrs endlich drang Rußland ent¬
schlossener als je auf die Aufhebung und Oesterreich hatte sogar gleich
Anfangs Mühe, mit dem russischen General, der an der Spitze seiner
Truppen zur Besetzung Krakau's herbeigeschickt worden war, sich zu ver¬
ständigen und das Besetzungsrecht für sich allein zu bewahren. Aufmerk¬
same Aeitungsleser werden sich vielleicht noch einer kleinen bedeutsamen Episode
erinnern, welche damals in Bezug auf das Zusammentreffender russische"
und österreichischen Truppen gemeldet wurde. Genug, von jener Zeit an
stand der Wille des Ezaren unbeugsam in dieser Angelegenheit, welche
durch Oesterreichs Sträuben bis zum November sich hingezogen und
manche pjquante Stunde zwischen den beiden Cabinetten veranlaßt hat.
Bin ich recht unterrichtet, so war es Preußen, welches die Vermittelung


kein Veto eingelegt, als die Krakauer Constitution unter den Auspicken
der drei Schutzmachte im Jahre 1833 einer Revision unterworfen wurde,
ebensowenig intervenirten sie, als im Jahre 1840 abermals eine Revision
der Krakauer Legislarion stattfand, die in mancher Beziehung die Kon¬
stitution verletzte. Auch die wiederholten Besetzungen des Krakauer
Gebiets durch die Truppen der vereinigten drei Machte ließ man in Frank¬
reich und England ohne Widerstand geschehen. Wie wäre dieses Alles
möglich gewesen, wenn nicht das Princip zugestanden worden wäre, daß
Krakau und seine Unabhängigkeit blos eine den drei Schutzmachten anheim¬
gestellte Sache wäre? Und warum haben es jene beiden Cabinette sich
gefallen lassen, daß die drei Schutzmächte weder einen englischen noch
französischen Geschäftsträger in dem Freistaat duldeten, wenn sie nicht
anerkannt hatten, daß jene Drei hier entscheidend sind.

Doch dies Alles wird in nächster Zeit noch so weitläufige Erörte¬
rungen erleben, daß wir füglich in diesem Augenblicke nicht in eine breite
Abhandlung einzugehen brauchen. Wichtiger scheint es uns, einen Blick
auf die Motive zu werfen, die Oesterreich in dieser Sache geleitet haben.
Oesterreich hat, wie überhaupt in der ganzen Polentragödie dieses
Jahres, auch hier das meiste Unglück gehabt. Die Sache verhält
sich im Allgemeinen folgender Gestalt. Krakau war dem Kaiser Nicolaus
von jeher ein Dorn im Auge. Alexander, der sich mit der Idee eines
selbständigen Königreichs Polen unter russischer Protection getragen, konnte sehr
wohl eine kleine Erperimentalrepublik schaffen und bestehen lassen; Ni¬
colaus dagegen, mit seinen gewaltsamen Eentralisationsstreichen, mußte dieses
Stückchen Erde, das noch den Schein eines freien Polens repräsentiere,
auf's tiefste zuwider sein, und wurde es besonders nach Beendigung
der polnischen Revolution, als „die Ordnung in Warschau herrschte,"
und Krakau der Zufluchtsort so vieler Flüchtlinge ward. Schon damals
drang Rußland wiederholt auf die Aufhebung des Krakauischen Freistaats,
und als Oesterreich sich fort und fort mit Entschiedenhei« weigerte, ging
es im Jahre 183(j so weit, es Oesterreich zur Besitznahme anzubieten.
Aber die österreichische Dynastie wies auch dies mit gleicher Entschie¬
denheit ab, selbst im Jahre 1838, wo man neue Besatzung dahin schicken
mußte und die Propaganda von dort aus mit neuer Anstrengung wirkte.
Nach den blutigen Tagen dieses Frühjahrs endlich drang Rußland ent¬
schlossener als je auf die Aufhebung und Oesterreich hatte sogar gleich
Anfangs Mühe, mit dem russischen General, der an der Spitze seiner
Truppen zur Besetzung Krakau's herbeigeschickt worden war, sich zu ver¬
ständigen und das Besetzungsrecht für sich allein zu bewahren. Aufmerk¬
same Aeitungsleser werden sich vielleicht noch einer kleinen bedeutsamen Episode
erinnern, welche damals in Bezug auf das Zusammentreffender russische«
und österreichischen Truppen gemeldet wurde. Genug, von jener Zeit an
stand der Wille des Ezaren unbeugsam in dieser Angelegenheit, welche
durch Oesterreichs Sträuben bis zum November sich hingezogen und
manche pjquante Stunde zwischen den beiden Cabinetten veranlaßt hat.
Bin ich recht unterrichtet, so war es Preußen, welches die Vermittelung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/356>, abgerufen am 23.07.2024.