Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tmwinkel, in dem Ihr Euch eine Welt zurecht macht. Es kann kein
Kunstwerk mehr geben, das in sich selbst seine Erfüllung hat, der
Befreiung des Menschendaseins muß auch die Kunst zum Opfer ge¬
bracht werden."

"Die Kunst," entgegnet Auerbach schlagend, "soll der Befreiung
des Lebens geopfert werden und sie ist doch eine der höchsten Erfül¬
lungen des befreiten Lebens I Es soll hier etwas als Mittel aufge¬
braucht werden, was wieder als Endzweck zu erobern wäre. Ist die
Freiheit Gesundheit, so ist die Füllung und Entfaltung der Gesundheit
die Schönheit nach allen ihren Seiten."

Von solchen Belegen eines vollkommen durchgebildeten ästhetischen
Sinnes strotzt das Buch in all seinen Theilen. Es entwickelt ferner
die gründliche philosophische Bildung, deren Auerbach mächtig ist, es
ist ein ganz und gar willkommenes, gut geschriebenes, liebenswürdiges
und richtiges Buch. Und doch entwickelt es kaum einen Schatten
von der Macht, welche der Jdylleudichter Berthold Auerbach entwic¬
kelt. Dies ist ein scheinbarer Widerspruch, denn es bespricht ja Boden
und Leben seiner Jdvllenheimath. Nur ein scheinbarer! Es bespricht
ihn nur, es betrachtet ihn nur; der Autor steht hier nicht auf diesem
Boden, er erzählt nicht. Wäre dies ein so großer Unterschied? Ja
wohl! Es fällt uns nicht ein, vom Schwarzwülder Landmann die
Einsicht in städtische und staatliche Verhältnisse zu heischen, wenn dieser
Landmann im Rahmen der Novelle sich äußert. Tritt aber dieser
Landmann aus dem Nahmen heraus und entwickelt er uns innerhalb
unserer Formen und Lebenskreise eine unerwartete höhere Bildung, so
verlangen wir auf der Stelle, daß sich diese Entwicklung in all der
Schärfe und consequenten Form bewege, welche ihr nöthig ist zum
schlagenden Siege. Eine Weile lassen wir uns den harmlosen behag¬
lichen Ton auch für solch ein Thema gefallen, eine Weile interessirt
er uns als ungewöhnlich, aber bald verschwindet uns die Persönlich¬
keit vor dem stärkeren Inhalte, und der Inhalt drängt uns das Be¬
dürfniß auf: schärfere Einschnitte, kategorische Folgerungen zu hören.

Aehnlich, wenn auch nicht ganz so, denn Auerbach vertritt ja
nur durch sein Talent den Landmann, verhält es sich mit unserm
Verfasser in diesem Buche. Die Anknüpfung an Hebel scheint uns
Anfangs besonders glücklich, weil sie uns den geliebten Autor an der
Hand seiner lebendigen Heimathswelt in das theoretische Gebiet ein¬
führt. Aber bald stört uns dieser Anhalt, weil er den Autor sichtlich
hindert, sich in strenger Folge frei auszubreiten nach allen nothwen-


tmwinkel, in dem Ihr Euch eine Welt zurecht macht. Es kann kein
Kunstwerk mehr geben, das in sich selbst seine Erfüllung hat, der
Befreiung des Menschendaseins muß auch die Kunst zum Opfer ge¬
bracht werden."

„Die Kunst," entgegnet Auerbach schlagend, „soll der Befreiung
des Lebens geopfert werden und sie ist doch eine der höchsten Erfül¬
lungen des befreiten Lebens I Es soll hier etwas als Mittel aufge¬
braucht werden, was wieder als Endzweck zu erobern wäre. Ist die
Freiheit Gesundheit, so ist die Füllung und Entfaltung der Gesundheit
die Schönheit nach allen ihren Seiten."

Von solchen Belegen eines vollkommen durchgebildeten ästhetischen
Sinnes strotzt das Buch in all seinen Theilen. Es entwickelt ferner
die gründliche philosophische Bildung, deren Auerbach mächtig ist, es
ist ein ganz und gar willkommenes, gut geschriebenes, liebenswürdiges
und richtiges Buch. Und doch entwickelt es kaum einen Schatten
von der Macht, welche der Jdylleudichter Berthold Auerbach entwic¬
kelt. Dies ist ein scheinbarer Widerspruch, denn es bespricht ja Boden
und Leben seiner Jdvllenheimath. Nur ein scheinbarer! Es bespricht
ihn nur, es betrachtet ihn nur; der Autor steht hier nicht auf diesem
Boden, er erzählt nicht. Wäre dies ein so großer Unterschied? Ja
wohl! Es fällt uns nicht ein, vom Schwarzwülder Landmann die
Einsicht in städtische und staatliche Verhältnisse zu heischen, wenn dieser
Landmann im Rahmen der Novelle sich äußert. Tritt aber dieser
Landmann aus dem Nahmen heraus und entwickelt er uns innerhalb
unserer Formen und Lebenskreise eine unerwartete höhere Bildung, so
verlangen wir auf der Stelle, daß sich diese Entwicklung in all der
Schärfe und consequenten Form bewege, welche ihr nöthig ist zum
schlagenden Siege. Eine Weile lassen wir uns den harmlosen behag¬
lichen Ton auch für solch ein Thema gefallen, eine Weile interessirt
er uns als ungewöhnlich, aber bald verschwindet uns die Persönlich¬
keit vor dem stärkeren Inhalte, und der Inhalt drängt uns das Be¬
dürfniß auf: schärfere Einschnitte, kategorische Folgerungen zu hören.

Aehnlich, wenn auch nicht ganz so, denn Auerbach vertritt ja
nur durch sein Talent den Landmann, verhält es sich mit unserm
Verfasser in diesem Buche. Die Anknüpfung an Hebel scheint uns
Anfangs besonders glücklich, weil sie uns den geliebten Autor an der
Hand seiner lebendigen Heimathswelt in das theoretische Gebiet ein¬
führt. Aber bald stört uns dieser Anhalt, weil er den Autor sichtlich
hindert, sich in strenger Folge frei auszubreiten nach allen nothwen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183933"/>
            <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063"> tmwinkel, in dem Ihr Euch eine Welt zurecht macht. Es kann kein<lb/>
Kunstwerk mehr geben, das in sich selbst seine Erfüllung hat, der<lb/>
Befreiung des Menschendaseins muß auch die Kunst zum Opfer ge¬<lb/>
bracht werden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1065"> &#x201E;Die Kunst," entgegnet Auerbach schlagend, &#x201E;soll der Befreiung<lb/>
des Lebens geopfert werden und sie ist doch eine der höchsten Erfül¬<lb/>
lungen des befreiten Lebens I Es soll hier etwas als Mittel aufge¬<lb/>
braucht werden, was wieder als Endzweck zu erobern wäre. Ist die<lb/>
Freiheit Gesundheit, so ist die Füllung und Entfaltung der Gesundheit<lb/>
die Schönheit nach allen ihren Seiten."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1066"> Von solchen Belegen eines vollkommen durchgebildeten ästhetischen<lb/>
Sinnes strotzt das Buch in all seinen Theilen. Es entwickelt ferner<lb/>
die gründliche philosophische Bildung, deren Auerbach mächtig ist, es<lb/>
ist ein ganz und gar willkommenes, gut geschriebenes, liebenswürdiges<lb/>
und richtiges Buch. Und doch entwickelt es kaum einen Schatten<lb/>
von der Macht, welche der Jdylleudichter Berthold Auerbach entwic¬<lb/>
kelt. Dies ist ein scheinbarer Widerspruch, denn es bespricht ja Boden<lb/>
und Leben seiner Jdvllenheimath. Nur ein scheinbarer! Es bespricht<lb/>
ihn nur, es betrachtet ihn nur; der Autor steht hier nicht auf diesem<lb/>
Boden, er erzählt nicht. Wäre dies ein so großer Unterschied? Ja<lb/>
wohl! Es fällt uns nicht ein, vom Schwarzwülder Landmann die<lb/>
Einsicht in städtische und staatliche Verhältnisse zu heischen, wenn dieser<lb/>
Landmann im Rahmen der Novelle sich äußert. Tritt aber dieser<lb/>
Landmann aus dem Nahmen heraus und entwickelt er uns innerhalb<lb/>
unserer Formen und Lebenskreise eine unerwartete höhere Bildung, so<lb/>
verlangen wir auf der Stelle, daß sich diese Entwicklung in all der<lb/>
Schärfe und consequenten Form bewege, welche ihr nöthig ist zum<lb/>
schlagenden Siege. Eine Weile lassen wir uns den harmlosen behag¬<lb/>
lichen Ton auch für solch ein Thema gefallen, eine Weile interessirt<lb/>
er uns als ungewöhnlich, aber bald verschwindet uns die Persönlich¬<lb/>
keit vor dem stärkeren Inhalte, und der Inhalt drängt uns das Be¬<lb/>
dürfniß auf: schärfere Einschnitte, kategorische Folgerungen zu hören.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1067" next="#ID_1068"> Aehnlich, wenn auch nicht ganz so, denn Auerbach vertritt ja<lb/>
nur durch sein Talent den Landmann, verhält es sich mit unserm<lb/>
Verfasser in diesem Buche. Die Anknüpfung an Hebel scheint uns<lb/>
Anfangs besonders glücklich, weil sie uns den geliebten Autor an der<lb/>
Hand seiner lebendigen Heimathswelt in das theoretische Gebiet ein¬<lb/>
führt. Aber bald stört uns dieser Anhalt, weil er den Autor sichtlich<lb/>
hindert, sich in strenger Folge frei auszubreiten nach allen nothwen-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] tmwinkel, in dem Ihr Euch eine Welt zurecht macht. Es kann kein Kunstwerk mehr geben, das in sich selbst seine Erfüllung hat, der Befreiung des Menschendaseins muß auch die Kunst zum Opfer ge¬ bracht werden." „Die Kunst," entgegnet Auerbach schlagend, „soll der Befreiung des Lebens geopfert werden und sie ist doch eine der höchsten Erfül¬ lungen des befreiten Lebens I Es soll hier etwas als Mittel aufge¬ braucht werden, was wieder als Endzweck zu erobern wäre. Ist die Freiheit Gesundheit, so ist die Füllung und Entfaltung der Gesundheit die Schönheit nach allen ihren Seiten." Von solchen Belegen eines vollkommen durchgebildeten ästhetischen Sinnes strotzt das Buch in all seinen Theilen. Es entwickelt ferner die gründliche philosophische Bildung, deren Auerbach mächtig ist, es ist ein ganz und gar willkommenes, gut geschriebenes, liebenswürdiges und richtiges Buch. Und doch entwickelt es kaum einen Schatten von der Macht, welche der Jdylleudichter Berthold Auerbach entwic¬ kelt. Dies ist ein scheinbarer Widerspruch, denn es bespricht ja Boden und Leben seiner Jdvllenheimath. Nur ein scheinbarer! Es bespricht ihn nur, es betrachtet ihn nur; der Autor steht hier nicht auf diesem Boden, er erzählt nicht. Wäre dies ein so großer Unterschied? Ja wohl! Es fällt uns nicht ein, vom Schwarzwülder Landmann die Einsicht in städtische und staatliche Verhältnisse zu heischen, wenn dieser Landmann im Rahmen der Novelle sich äußert. Tritt aber dieser Landmann aus dem Nahmen heraus und entwickelt er uns innerhalb unserer Formen und Lebenskreise eine unerwartete höhere Bildung, so verlangen wir auf der Stelle, daß sich diese Entwicklung in all der Schärfe und consequenten Form bewege, welche ihr nöthig ist zum schlagenden Siege. Eine Weile lassen wir uns den harmlosen behag¬ lichen Ton auch für solch ein Thema gefallen, eine Weile interessirt er uns als ungewöhnlich, aber bald verschwindet uns die Persönlich¬ keit vor dem stärkeren Inhalte, und der Inhalt drängt uns das Be¬ dürfniß auf: schärfere Einschnitte, kategorische Folgerungen zu hören. Aehnlich, wenn auch nicht ganz so, denn Auerbach vertritt ja nur durch sein Talent den Landmann, verhält es sich mit unserm Verfasser in diesem Buche. Die Anknüpfung an Hebel scheint uns Anfangs besonders glücklich, weil sie uns den geliebten Autor an der Hand seiner lebendigen Heimathswelt in das theoretische Gebiet ein¬ führt. Aber bald stört uns dieser Anhalt, weil er den Autor sichtlich hindert, sich in strenger Folge frei auszubreiten nach allen nothwen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/351>, abgerufen am 23.07.2024.