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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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sanfte Dame, sich in Jnterlaken aufhält. Das gibt Gelegenheit zu
den kleinen Naturgemälden mit Wasserfarben, welche wohl Frauen inter-
essiren mögen. Man hat sich in letzter Zeit gestritten, ob diese schrift-
stellernde Dame Therese berühmt sei oder nicht. Ich für meine Person
habe die letzten Bücher derselben nicht mehr gelesen. Eine liebens¬
würdige, anmuthige Bildung anerkennend fand ich d"es diese Schriften
gar zu eintönig und gestaltlos, vor allen Dingen zu marklos, schwam¬
mige Körperchen ohne Knochen. Das kaum merkliche Leben, welches
die zarten Gliederchen zu bewegen schien, gemahnte mich durchaus an
die künstliche Lebenslust, welche durch chemische Apparate erzeugt wer¬
den mag. Hier war es die destillirte Leidens- und Freudenlust für
Frauen, welche in der couranten heutigen Bildung gewonnen worden
ist und welche nun doch ohne starkes Naturel der Schriftstellerin nicht
im Stande ist, dürftige Erfindungen mit dem Scheine des lebendigen
Lebens auszurüsten. -- Diese Erzählung "Jnterlaken", an welche ich
deshalb ohne Neigung ging, erschien mir besser; wahrscheinlich, weil
sie kürzer ist. Eigentlich ist es doch dieselbe schwächliche Frauenwelt,
welche uns innerlichst niederbeugt. Stubenluft, aus welcher uns der
Vogel im Bauer endlos entgegenzirpt: vom Stuhl auf's Sopha, vom
Sopl)a auf den Stuhl! Das Leben, dessen Pulse wir in den literari¬
schen Schöpfungen spüren wollen, ist eben noch etwas ganz Anderes,
und jedenfalls etwas viel Stärkeres, als eine milde Dame der Gesell¬
schaftswelt erfährt, wenn sie nicht mit vollen Gaben der Combination
und des Talentes versehen ist.

"Jmagina" von K. Gutzkow, die dritte Erzählung, ist ein Capriccio,
daS mit guter Laune geschrieben, künstlerisch sorgfältig angelegt und
ausgeführt ist. Eben deshalb bietet es uns Gelegenheit zu der Be¬
hauptung, daß die künstlerische Form vor einem Gebrechen nicht retten
kann, welches im Kerne des Inhalts liegt. Ein träumerisches Mäd¬
chen verwechselt und verflicht die Mährchenwelt ihrer Phantasie mit
der wirklichen Welt und handelt demgemäß. ES wäre zur Zeit der
Romantiker unbedenklich hingenommen worden, für unsern heutigen re¬
aleren Geschmack streift es an das Forcirte. Gutzkow hat das wohl
auch empfunden und hat im Grunde dafür gesorgt, daß diese Jmagina
um kein Haar anders handeln würde ohne das ganz besondere Mähr-
chen, welches als maßgebend für sie eingeführt wird. Aber er hat
nicht auch eine Ehegeschichte n ur Gräfin Hahn und Therese geben
wollen, und eine solche wäre es ohne die Mährchenzuthat geworden;
und so hat er zur Bereicherung und zur Auswahl mit der Mährchen-


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sanfte Dame, sich in Jnterlaken aufhält. Das gibt Gelegenheit zu
den kleinen Naturgemälden mit Wasserfarben, welche wohl Frauen inter-
essiren mögen. Man hat sich in letzter Zeit gestritten, ob diese schrift-
stellernde Dame Therese berühmt sei oder nicht. Ich für meine Person
habe die letzten Bücher derselben nicht mehr gelesen. Eine liebens¬
würdige, anmuthige Bildung anerkennend fand ich d»es diese Schriften
gar zu eintönig und gestaltlos, vor allen Dingen zu marklos, schwam¬
mige Körperchen ohne Knochen. Das kaum merkliche Leben, welches
die zarten Gliederchen zu bewegen schien, gemahnte mich durchaus an
die künstliche Lebenslust, welche durch chemische Apparate erzeugt wer¬
den mag. Hier war es die destillirte Leidens- und Freudenlust für
Frauen, welche in der couranten heutigen Bildung gewonnen worden
ist und welche nun doch ohne starkes Naturel der Schriftstellerin nicht
im Stande ist, dürftige Erfindungen mit dem Scheine des lebendigen
Lebens auszurüsten. — Diese Erzählung „Jnterlaken", an welche ich
deshalb ohne Neigung ging, erschien mir besser; wahrscheinlich, weil
sie kürzer ist. Eigentlich ist es doch dieselbe schwächliche Frauenwelt,
welche uns innerlichst niederbeugt. Stubenluft, aus welcher uns der
Vogel im Bauer endlos entgegenzirpt: vom Stuhl auf's Sopha, vom
Sopl)a auf den Stuhl! Das Leben, dessen Pulse wir in den literari¬
schen Schöpfungen spüren wollen, ist eben noch etwas ganz Anderes,
und jedenfalls etwas viel Stärkeres, als eine milde Dame der Gesell¬
schaftswelt erfährt, wenn sie nicht mit vollen Gaben der Combination
und des Talentes versehen ist.

„Jmagina" von K. Gutzkow, die dritte Erzählung, ist ein Capriccio,
daS mit guter Laune geschrieben, künstlerisch sorgfältig angelegt und
ausgeführt ist. Eben deshalb bietet es uns Gelegenheit zu der Be¬
hauptung, daß die künstlerische Form vor einem Gebrechen nicht retten
kann, welches im Kerne des Inhalts liegt. Ein träumerisches Mäd¬
chen verwechselt und verflicht die Mährchenwelt ihrer Phantasie mit
der wirklichen Welt und handelt demgemäß. ES wäre zur Zeit der
Romantiker unbedenklich hingenommen worden, für unsern heutigen re¬
aleren Geschmack streift es an das Forcirte. Gutzkow hat das wohl
auch empfunden und hat im Grunde dafür gesorgt, daß diese Jmagina
um kein Haar anders handeln würde ohne das ganz besondere Mähr-
chen, welches als maßgebend für sie eingeführt wird. Aber er hat
nicht auch eine Ehegeschichte n ur Gräfin Hahn und Therese geben
wollen, und eine solche wäre es ohne die Mährchenzuthat geworden;
und so hat er zur Bereicherung und zur Auswahl mit der Mährchen-


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[0347] sanfte Dame, sich in Jnterlaken aufhält. Das gibt Gelegenheit zu den kleinen Naturgemälden mit Wasserfarben, welche wohl Frauen inter- essiren mögen. Man hat sich in letzter Zeit gestritten, ob diese schrift- stellernde Dame Therese berühmt sei oder nicht. Ich für meine Person habe die letzten Bücher derselben nicht mehr gelesen. Eine liebens¬ würdige, anmuthige Bildung anerkennend fand ich d»es diese Schriften gar zu eintönig und gestaltlos, vor allen Dingen zu marklos, schwam¬ mige Körperchen ohne Knochen. Das kaum merkliche Leben, welches die zarten Gliederchen zu bewegen schien, gemahnte mich durchaus an die künstliche Lebenslust, welche durch chemische Apparate erzeugt wer¬ den mag. Hier war es die destillirte Leidens- und Freudenlust für Frauen, welche in der couranten heutigen Bildung gewonnen worden ist und welche nun doch ohne starkes Naturel der Schriftstellerin nicht im Stande ist, dürftige Erfindungen mit dem Scheine des lebendigen Lebens auszurüsten. — Diese Erzählung „Jnterlaken", an welche ich deshalb ohne Neigung ging, erschien mir besser; wahrscheinlich, weil sie kürzer ist. Eigentlich ist es doch dieselbe schwächliche Frauenwelt, welche uns innerlichst niederbeugt. Stubenluft, aus welcher uns der Vogel im Bauer endlos entgegenzirpt: vom Stuhl auf's Sopha, vom Sopl)a auf den Stuhl! Das Leben, dessen Pulse wir in den literari¬ schen Schöpfungen spüren wollen, ist eben noch etwas ganz Anderes, und jedenfalls etwas viel Stärkeres, als eine milde Dame der Gesell¬ schaftswelt erfährt, wenn sie nicht mit vollen Gaben der Combination und des Talentes versehen ist. „Jmagina" von K. Gutzkow, die dritte Erzählung, ist ein Capriccio, daS mit guter Laune geschrieben, künstlerisch sorgfältig angelegt und ausgeführt ist. Eben deshalb bietet es uns Gelegenheit zu der Be¬ hauptung, daß die künstlerische Form vor einem Gebrechen nicht retten kann, welches im Kerne des Inhalts liegt. Ein träumerisches Mäd¬ chen verwechselt und verflicht die Mährchenwelt ihrer Phantasie mit der wirklichen Welt und handelt demgemäß. ES wäre zur Zeit der Romantiker unbedenklich hingenommen worden, für unsern heutigen re¬ aleren Geschmack streift es an das Forcirte. Gutzkow hat das wohl auch empfunden und hat im Grunde dafür gesorgt, daß diese Jmagina um kein Haar anders handeln würde ohne das ganz besondere Mähr- chen, welches als maßgebend für sie eingeführt wird. Aber er hat nicht auch eine Ehegeschichte n ur Gräfin Hahn und Therese geben wollen, und eine solche wäre es ohne die Mährchenzuthat geworden; und so hat er zur Bereicherung und zur Auswahl mit der Mährchen- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/347>, abgerufen am 23.07.2024.