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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Tanzboden sich ein Stück der Völkerschlacht festgesetzt hatte, welches
an blauen Montagen empfindlich spukte, besonders um Mitternacht.
Dann die "drei Mohren", auf deren Saale das Blut der Ebenbürti¬
gen nach den strengsten Ziegeln des Kampfes vergossen ward -- die
braune Diele trank später auch ein paar Unzen des meinigen -- dann
der "kleine Küchengarten". Aber es ist der große, an dessen Wand
Goethe die witzigen Verse geschrieben und wo er mit poetischem Wohl¬
geschmack fetten Ofterfladen gegessen. In letzterer Hinsicht zählt Leip¬
zig noch immer viele Goethe's, selbst im Schriftstellerverein.

Auf der grünen Schenke war Perglow von einem großen Hausen
von Seminolenkriegern empfangen worden i die lagen dort bei dein
böhmischen Biere, wie vordem die Werbeofsiziere im deutschen Reiche,
auf Rekrutirung, um neuankommende Füchse einzufangen. Alle Ver¬
bindungen hatten damals dergleichen Stationen an den Hauptstraßen,
um ihre Remonte nicht zu versäumen. Die Häuptlinge betrachteten
mich forschend von oben bis unten, boten mir aber brüderlich die Hand
und tranken mir zu.

"Sehr jung!" sagte der Eine, auf dessen Brustbande mindestens
ein Dutzend Scalpe erlegter Feinde angemerkt waren. "Kann aber
ein fixer Junge werden."

Die jüngern Krieger musterten streng mit, tranken mir aber nicht
zu, denn je weniger Sealve im Rauche ihrer Hütten bleichten, desto
stolzer gebehrdeten sie sich, und Zurückhaltung ist die erste Eigenschaft
eines hohen Selbstgefühls, welches nach Publicum ringt. Perglow
blieb bei den Tapfern zurück und mir ward vom Senior die Kneipe
gesagt, auf der ich zum Abende "einzuspringen" hätte. Ein etwas zu
lebhafter Ausdruck, wie mich dünkte, für das beklommene Eintreten ei¬
nes jungen Gefährten in den Kreis gefeierter Zeitgenossen.

Eine vortreffliche Wiikung brachte es hervor, daß ich gleich auch
nach .der Stunde fragte, wo wir den Fechtboden hätten. Perglow,
wahrscheinlich um die gute Meinung für einen Seminolen zu verstär¬
ken, den er der Verbindung zuführte, sprach darauf:

"Der Fuchs hat überhaupt ganz brave Intentionen und hat sich
auch auf dem Wege hierher sehr wacker mit einem Feuer gepaukt, wel¬
ches wir auf dem Wagen hatten. Ich werde Euch davon erzählen."

Als ich in den Wagen zurückkehrte, um mit demselben in die
Stadt einzufahren, dachte ich -- undankbar gegen Perglow's Empfeh¬
lung -- mit unwegleugnenbarer Genugthuung daran, daß er es ver¬
säumt, sich bei Fräulein Julie zu empfehlen. Sie bat, daß ich sie vom


Tanzboden sich ein Stück der Völkerschlacht festgesetzt hatte, welches
an blauen Montagen empfindlich spukte, besonders um Mitternacht.
Dann die „drei Mohren", auf deren Saale das Blut der Ebenbürti¬
gen nach den strengsten Ziegeln des Kampfes vergossen ward — die
braune Diele trank später auch ein paar Unzen des meinigen — dann
der „kleine Küchengarten". Aber es ist der große, an dessen Wand
Goethe die witzigen Verse geschrieben und wo er mit poetischem Wohl¬
geschmack fetten Ofterfladen gegessen. In letzterer Hinsicht zählt Leip¬
zig noch immer viele Goethe's, selbst im Schriftstellerverein.

Auf der grünen Schenke war Perglow von einem großen Hausen
von Seminolenkriegern empfangen worden i die lagen dort bei dein
böhmischen Biere, wie vordem die Werbeofsiziere im deutschen Reiche,
auf Rekrutirung, um neuankommende Füchse einzufangen. Alle Ver¬
bindungen hatten damals dergleichen Stationen an den Hauptstraßen,
um ihre Remonte nicht zu versäumen. Die Häuptlinge betrachteten
mich forschend von oben bis unten, boten mir aber brüderlich die Hand
und tranken mir zu.

„Sehr jung!" sagte der Eine, auf dessen Brustbande mindestens
ein Dutzend Scalpe erlegter Feinde angemerkt waren. „Kann aber
ein fixer Junge werden."

Die jüngern Krieger musterten streng mit, tranken mir aber nicht
zu, denn je weniger Sealve im Rauche ihrer Hütten bleichten, desto
stolzer gebehrdeten sie sich, und Zurückhaltung ist die erste Eigenschaft
eines hohen Selbstgefühls, welches nach Publicum ringt. Perglow
blieb bei den Tapfern zurück und mir ward vom Senior die Kneipe
gesagt, auf der ich zum Abende „einzuspringen" hätte. Ein etwas zu
lebhafter Ausdruck, wie mich dünkte, für das beklommene Eintreten ei¬
nes jungen Gefährten in den Kreis gefeierter Zeitgenossen.

Eine vortreffliche Wiikung brachte es hervor, daß ich gleich auch
nach .der Stunde fragte, wo wir den Fechtboden hätten. Perglow,
wahrscheinlich um die gute Meinung für einen Seminolen zu verstär¬
ken, den er der Verbindung zuführte, sprach darauf:

„Der Fuchs hat überhaupt ganz brave Intentionen und hat sich
auch auf dem Wege hierher sehr wacker mit einem Feuer gepaukt, wel¬
ches wir auf dem Wagen hatten. Ich werde Euch davon erzählen."

Als ich in den Wagen zurückkehrte, um mit demselben in die
Stadt einzufahren, dachte ich — undankbar gegen Perglow's Empfeh¬
lung — mit unwegleugnenbarer Genugthuung daran, daß er es ver¬
säumt, sich bei Fräulein Julie zu empfehlen. Sie bat, daß ich sie vom


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[0336] Tanzboden sich ein Stück der Völkerschlacht festgesetzt hatte, welches an blauen Montagen empfindlich spukte, besonders um Mitternacht. Dann die „drei Mohren", auf deren Saale das Blut der Ebenbürti¬ gen nach den strengsten Ziegeln des Kampfes vergossen ward — die braune Diele trank später auch ein paar Unzen des meinigen — dann der „kleine Küchengarten". Aber es ist der große, an dessen Wand Goethe die witzigen Verse geschrieben und wo er mit poetischem Wohl¬ geschmack fetten Ofterfladen gegessen. In letzterer Hinsicht zählt Leip¬ zig noch immer viele Goethe's, selbst im Schriftstellerverein. Auf der grünen Schenke war Perglow von einem großen Hausen von Seminolenkriegern empfangen worden i die lagen dort bei dein böhmischen Biere, wie vordem die Werbeofsiziere im deutschen Reiche, auf Rekrutirung, um neuankommende Füchse einzufangen. Alle Ver¬ bindungen hatten damals dergleichen Stationen an den Hauptstraßen, um ihre Remonte nicht zu versäumen. Die Häuptlinge betrachteten mich forschend von oben bis unten, boten mir aber brüderlich die Hand und tranken mir zu. „Sehr jung!" sagte der Eine, auf dessen Brustbande mindestens ein Dutzend Scalpe erlegter Feinde angemerkt waren. „Kann aber ein fixer Junge werden." Die jüngern Krieger musterten streng mit, tranken mir aber nicht zu, denn je weniger Sealve im Rauche ihrer Hütten bleichten, desto stolzer gebehrdeten sie sich, und Zurückhaltung ist die erste Eigenschaft eines hohen Selbstgefühls, welches nach Publicum ringt. Perglow blieb bei den Tapfern zurück und mir ward vom Senior die Kneipe gesagt, auf der ich zum Abende „einzuspringen" hätte. Ein etwas zu lebhafter Ausdruck, wie mich dünkte, für das beklommene Eintreten ei¬ nes jungen Gefährten in den Kreis gefeierter Zeitgenossen. Eine vortreffliche Wiikung brachte es hervor, daß ich gleich auch nach .der Stunde fragte, wo wir den Fechtboden hätten. Perglow, wahrscheinlich um die gute Meinung für einen Seminolen zu verstär¬ ken, den er der Verbindung zuführte, sprach darauf: „Der Fuchs hat überhaupt ganz brave Intentionen und hat sich auch auf dem Wege hierher sehr wacker mit einem Feuer gepaukt, wel¬ ches wir auf dem Wagen hatten. Ich werde Euch davon erzählen." Als ich in den Wagen zurückkehrte, um mit demselben in die Stadt einzufahren, dachte ich — undankbar gegen Perglow's Empfeh¬ lung — mit unwegleugnenbarer Genugthuung daran, daß er es ver¬ säumt, sich bei Fräulein Julie zu empfehlen. Sie bat, daß ich sie vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/336>, abgerufen am 23.07.2024.