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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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war ich noch nicht einmal, bevor ich in's Bad reiste," fuhr er, sich
seelenvergnügt die Hände reibend, fort. "Nun sage mir noch Einer,
daß Töplitz nicht wohl thue."

Es ward uns wahrlich schwerer, an die Verwandlung des Man¬
nes zu glauben, als ihm selber.

Julie weinte noch immer, als wir den Wagen wieder bestiegen,
aus Rührung jetzt, wie sie sagte, über die wunderbare Genesung un¬
seres Reisegefährte!,. Und das Pulver mußte wirklich mit. Der sanfte
Heinrich hatte es durch Bitten und Beschwörungen durchgesetzt, daß
wir ihm die Mitnahme bis auf die nächste Einkehr gestatteten. Aber
ich habe heute noch den Verdacht, daß die Fässer selbst in Klappendorf
nicht zurückgeblieben sind. Unsere Stimmung hatte in feierlicher Weise
ausgehalten bis dorthin, wo wir zu Ehren des Ereignisses eine Flasche,
dann die zweite, endlich die dritte leerten, wobei wir uns der Theil¬
nahme des Badegast's und selbst Juliens zu erfreuen hatten. Der
sanfte Heinrich war inzwischen lange im Hofe und um den Wagen
beschäftigt, ohne daß wir ihn beaufsichtigten. Bei der Abfahrt lagen
allerdings die Fässer nicht mehr oben auf dein Gepäck. Aber höchst
wahrscheinlich unter demselben.

In Oschatz ward übernachtet, aber nur nahte kein Schlaf.

Die Welt war also doch so abenteuerlich und romantisch, wie
sie in der einsamen Schulzetle vor meiner glühenden Einbildung gele¬
gen! Ich hatte am ersten Tage meines Eintritts in dieselbe ein viel-
theureö Mädchen aus drohender Todesgefahr davon getragen -- Julie
sagte es selbst und ich glaubte es dringend, trotz meiner bescheidenen
Ablehnungen -- und der allgemeine Du-Comment der Studenten war
eine Wahrheit! O meine Mutter, meine Mutter! Wie begannen
Deine blutrothen und thränenschwerem Warnungen vor der goldenen
Sonne dieser prächtig lachenden Welt zu erbleichen. Auch die Mah¬
nungen des Vaters, wenigstens die, mich vor einer Liebschaft zu hüte",
wäre" vergebeus gewesen. Nein, nicht vergebens, nur überflüssig.
Denn was mich zu Juliens holdem Herzen zog, war keine Liebschaft,
es war Verehrung, Anbetung, es war die Liebe selbst.

Auf der Fortsetzung der Reise am andern Tage waren wir Alle
etwas abgespannt, am wenigsten jedoch der weiland Gelähmte. Kör¬
perlich empfanden wir die Nachwehen des Schreckens in einer gewissen
Zerschlagenheit aller Glieder, geistig fühlten wir, daß sich unser Ge¬
schick gestern dermaßen in Außerordentlichen erschöpft habe, daß es
uns zunächst weiter nichts bieten konnte. Doch erneute jedes Lächeln


war ich noch nicht einmal, bevor ich in's Bad reiste," fuhr er, sich
seelenvergnügt die Hände reibend, fort. „Nun sage mir noch Einer,
daß Töplitz nicht wohl thue."

Es ward uns wahrlich schwerer, an die Verwandlung des Man¬
nes zu glauben, als ihm selber.

Julie weinte noch immer, als wir den Wagen wieder bestiegen,
aus Rührung jetzt, wie sie sagte, über die wunderbare Genesung un¬
seres Reisegefährte!,. Und das Pulver mußte wirklich mit. Der sanfte
Heinrich hatte es durch Bitten und Beschwörungen durchgesetzt, daß
wir ihm die Mitnahme bis auf die nächste Einkehr gestatteten. Aber
ich habe heute noch den Verdacht, daß die Fässer selbst in Klappendorf
nicht zurückgeblieben sind. Unsere Stimmung hatte in feierlicher Weise
ausgehalten bis dorthin, wo wir zu Ehren des Ereignisses eine Flasche,
dann die zweite, endlich die dritte leerten, wobei wir uns der Theil¬
nahme des Badegast's und selbst Juliens zu erfreuen hatten. Der
sanfte Heinrich war inzwischen lange im Hofe und um den Wagen
beschäftigt, ohne daß wir ihn beaufsichtigten. Bei der Abfahrt lagen
allerdings die Fässer nicht mehr oben auf dein Gepäck. Aber höchst
wahrscheinlich unter demselben.

In Oschatz ward übernachtet, aber nur nahte kein Schlaf.

Die Welt war also doch so abenteuerlich und romantisch, wie
sie in der einsamen Schulzetle vor meiner glühenden Einbildung gele¬
gen! Ich hatte am ersten Tage meines Eintritts in dieselbe ein viel-
theureö Mädchen aus drohender Todesgefahr davon getragen — Julie
sagte es selbst und ich glaubte es dringend, trotz meiner bescheidenen
Ablehnungen — und der allgemeine Du-Comment der Studenten war
eine Wahrheit! O meine Mutter, meine Mutter! Wie begannen
Deine blutrothen und thränenschwerem Warnungen vor der goldenen
Sonne dieser prächtig lachenden Welt zu erbleichen. Auch die Mah¬
nungen des Vaters, wenigstens die, mich vor einer Liebschaft zu hüte»,
wäre» vergebeus gewesen. Nein, nicht vergebens, nur überflüssig.
Denn was mich zu Juliens holdem Herzen zog, war keine Liebschaft,
es war Verehrung, Anbetung, es war die Liebe selbst.

Auf der Fortsetzung der Reise am andern Tage waren wir Alle
etwas abgespannt, am wenigsten jedoch der weiland Gelähmte. Kör¬
perlich empfanden wir die Nachwehen des Schreckens in einer gewissen
Zerschlagenheit aller Glieder, geistig fühlten wir, daß sich unser Ge¬
schick gestern dermaßen in Außerordentlichen erschöpft habe, daß es
uns zunächst weiter nichts bieten konnte. Doch erneute jedes Lächeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/334>, abgerufen am 23.07.2024.