Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einige hundert Schritt die Höhe hinauf. Da haben wir wenigstens
noch so viel von dein Bettel, daß wir den Wagen in die Luft ge¬
hen sehen."

"Mit allen meinen Habseligkeiten?" rief ich.

"Laß sie zum Geier sein. Hätte mich der Esel, der uns fuhr,
nicht gleich mit dem Schlimmsten erschreckt, so hätte ich die Lohe des
brennenden Lappens auf der Stelle erstickt"---

"Vielleicht ist noch Rettung möglich, wenn wir uns hinanwagen.
Meine Bücher, Kleider, Betten -"

"Mein neuer Hut -- und der Kranke! der Kranke --- Niemand
hat an ihn gedacht -- liegt noch in der Kutsche!" schrie Julie auf
und rang die Hände, was anßer dem Hute, dem unglücklichen Bade¬
gäste wenigstens zur Hälfte galt.

Auf die Erwähnung des Kranken sagte der Häuptling kein Wort,
aber seine Bewegung gegen den Wagen hin, der bis ans die aufklaf¬
fenden Thüren und ein dünnes Rauchwölkchen ganz unbescholten und
harmlos aussah, war auffordernd genug. Ich folgte. Erst, als wir
unmittelbar vor dem Fuhrwerke standen, war zu erkennen, daß die
Packleinwandfetzen in hellen Brand übergegangen waren. Unser An¬
griff war in unausgesprochener Uebereinstimmung darauf gerichtet, den
Badegast aus dem Innern heraus zu holen. Aber noch war eine
Spanne zwischen uns und der Kutsche, als Prrglow sagte: "Die
Fässer bringen wir am Ende schneller weg, als einen unbeholfenen
Menschen leib."

Dies Wort änderte unsern Entschluß. Von hinten auf stiegen
wir auf das Verdeck, über das Cabriolet empor kam uns der Sanfte
entgegen, der nach der ersten tövtlichen Bestürzung wieder Muth und
Regsamkeit gewonnen hatte, als er Perglow selbst an den Feuerherd
zurückkrhren sah. Er bezeichnete uns mit heiserem Ton und bebender
Hand die beiden Pulverfäßchen. So schwach das Flämmchen war,
welches nach ihren Reifen hinleckte, so bedürfte es doch nur einiger
durchgesickerter Körner, und was und wo waren wir im nächsten Au¬
genblicke? An einem Gran der Mischung Salpeter, Schwefel und
Kohle hing unser Leben. Die Arme, die sich gegen die Fässer aus¬
streckten, schienen ein Bewußtsein der Gefahr zu haben, nach der sie
langten. Eine schmerzliche Empfindung rieselte durch ihr Mark und
pflanzte sich durch den Körper fort.

"Ist gewiß kein Pulver weiter auf dem Wagen?" fragte
Perglow.


44*

einige hundert Schritt die Höhe hinauf. Da haben wir wenigstens
noch so viel von dein Bettel, daß wir den Wagen in die Luft ge¬
hen sehen."

„Mit allen meinen Habseligkeiten?" rief ich.

„Laß sie zum Geier sein. Hätte mich der Esel, der uns fuhr,
nicht gleich mit dem Schlimmsten erschreckt, so hätte ich die Lohe des
brennenden Lappens auf der Stelle erstickt"---

„Vielleicht ist noch Rettung möglich, wenn wir uns hinanwagen.
Meine Bücher, Kleider, Betten -"

„Mein neuer Hut — und der Kranke! der Kranke -— Niemand
hat an ihn gedacht — liegt noch in der Kutsche!" schrie Julie auf
und rang die Hände, was anßer dem Hute, dem unglücklichen Bade¬
gäste wenigstens zur Hälfte galt.

Auf die Erwähnung des Kranken sagte der Häuptling kein Wort,
aber seine Bewegung gegen den Wagen hin, der bis ans die aufklaf¬
fenden Thüren und ein dünnes Rauchwölkchen ganz unbescholten und
harmlos aussah, war auffordernd genug. Ich folgte. Erst, als wir
unmittelbar vor dem Fuhrwerke standen, war zu erkennen, daß die
Packleinwandfetzen in hellen Brand übergegangen waren. Unser An¬
griff war in unausgesprochener Uebereinstimmung darauf gerichtet, den
Badegast aus dem Innern heraus zu holen. Aber noch war eine
Spanne zwischen uns und der Kutsche, als Prrglow sagte: „Die
Fässer bringen wir am Ende schneller weg, als einen unbeholfenen
Menschen leib."

Dies Wort änderte unsern Entschluß. Von hinten auf stiegen
wir auf das Verdeck, über das Cabriolet empor kam uns der Sanfte
entgegen, der nach der ersten tövtlichen Bestürzung wieder Muth und
Regsamkeit gewonnen hatte, als er Perglow selbst an den Feuerherd
zurückkrhren sah. Er bezeichnete uns mit heiserem Ton und bebender
Hand die beiden Pulverfäßchen. So schwach das Flämmchen war,
welches nach ihren Reifen hinleckte, so bedürfte es doch nur einiger
durchgesickerter Körner, und was und wo waren wir im nächsten Au¬
genblicke? An einem Gran der Mischung Salpeter, Schwefel und
Kohle hing unser Leben. Die Arme, die sich gegen die Fässer aus¬
streckten, schienen ein Bewußtsein der Gefahr zu haben, nach der sie
langten. Eine schmerzliche Empfindung rieselte durch ihr Mark und
pflanzte sich durch den Körper fort.

„Ist gewiß kein Pulver weiter auf dem Wagen?" fragte
Perglow.


44*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183913"/>
            <p xml:id="ID_958" prev="#ID_957"> einige hundert Schritt die Höhe hinauf. Da haben wir wenigstens<lb/>
noch so viel von dein Bettel, daß wir den Wagen in die Luft ge¬<lb/>
hen sehen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_959"> &#x201E;Mit allen meinen Habseligkeiten?" rief ich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_960"> &#x201E;Laß sie zum Geier sein. Hätte mich der Esel, der uns fuhr,<lb/>
nicht gleich mit dem Schlimmsten erschreckt, so hätte ich die Lohe des<lb/>
brennenden Lappens auf der Stelle erstickt"---</p><lb/>
            <p xml:id="ID_961"> &#x201E;Vielleicht ist noch Rettung möglich, wenn wir uns hinanwagen.<lb/>
Meine Bücher, Kleider, Betten -"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_962"> &#x201E;Mein neuer Hut &#x2014; und der Kranke! der Kranke -&#x2014; Niemand<lb/>
hat an ihn gedacht &#x2014; liegt noch in der Kutsche!" schrie Julie auf<lb/>
und rang die Hände, was anßer dem Hute, dem unglücklichen Bade¬<lb/>
gäste wenigstens zur Hälfte galt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_963"> Auf die Erwähnung des Kranken sagte der Häuptling kein Wort,<lb/>
aber seine Bewegung gegen den Wagen hin, der bis ans die aufklaf¬<lb/>
fenden Thüren und ein dünnes Rauchwölkchen ganz unbescholten und<lb/>
harmlos aussah, war auffordernd genug. Ich folgte. Erst, als wir<lb/>
unmittelbar vor dem Fuhrwerke standen, war zu erkennen, daß die<lb/>
Packleinwandfetzen in hellen Brand übergegangen waren. Unser An¬<lb/>
griff war in unausgesprochener Uebereinstimmung darauf gerichtet, den<lb/>
Badegast aus dem Innern heraus zu holen. Aber noch war eine<lb/>
Spanne zwischen uns und der Kutsche, als Prrglow sagte: &#x201E;Die<lb/>
Fässer bringen wir am Ende schneller weg, als einen unbeholfenen<lb/>
Menschen leib."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_964"> Dies Wort änderte unsern Entschluß. Von hinten auf stiegen<lb/>
wir auf das Verdeck, über das Cabriolet empor kam uns der Sanfte<lb/>
entgegen, der nach der ersten tövtlichen Bestürzung wieder Muth und<lb/>
Regsamkeit gewonnen hatte, als er Perglow selbst an den Feuerherd<lb/>
zurückkrhren sah. Er bezeichnete uns mit heiserem Ton und bebender<lb/>
Hand die beiden Pulverfäßchen. So schwach das Flämmchen war,<lb/>
welches nach ihren Reifen hinleckte, so bedürfte es doch nur einiger<lb/>
durchgesickerter Körner, und was und wo waren wir im nächsten Au¬<lb/>
genblicke? An einem Gran der Mischung Salpeter, Schwefel und<lb/>
Kohle hing unser Leben. Die Arme, die sich gegen die Fässer aus¬<lb/>
streckten, schienen ein Bewußtsein der Gefahr zu haben, nach der sie<lb/>
langten. Eine schmerzliche Empfindung rieselte durch ihr Mark und<lb/>
pflanzte sich durch den Körper fort.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_965"> &#x201E;Ist gewiß kein Pulver weiter auf dem Wagen?" fragte<lb/>
Perglow.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] einige hundert Schritt die Höhe hinauf. Da haben wir wenigstens noch so viel von dein Bettel, daß wir den Wagen in die Luft ge¬ hen sehen." „Mit allen meinen Habseligkeiten?" rief ich. „Laß sie zum Geier sein. Hätte mich der Esel, der uns fuhr, nicht gleich mit dem Schlimmsten erschreckt, so hätte ich die Lohe des brennenden Lappens auf der Stelle erstickt"--- „Vielleicht ist noch Rettung möglich, wenn wir uns hinanwagen. Meine Bücher, Kleider, Betten -" „Mein neuer Hut — und der Kranke! der Kranke -— Niemand hat an ihn gedacht — liegt noch in der Kutsche!" schrie Julie auf und rang die Hände, was anßer dem Hute, dem unglücklichen Bade¬ gäste wenigstens zur Hälfte galt. Auf die Erwähnung des Kranken sagte der Häuptling kein Wort, aber seine Bewegung gegen den Wagen hin, der bis ans die aufklaf¬ fenden Thüren und ein dünnes Rauchwölkchen ganz unbescholten und harmlos aussah, war auffordernd genug. Ich folgte. Erst, als wir unmittelbar vor dem Fuhrwerke standen, war zu erkennen, daß die Packleinwandfetzen in hellen Brand übergegangen waren. Unser An¬ griff war in unausgesprochener Uebereinstimmung darauf gerichtet, den Badegast aus dem Innern heraus zu holen. Aber noch war eine Spanne zwischen uns und der Kutsche, als Prrglow sagte: „Die Fässer bringen wir am Ende schneller weg, als einen unbeholfenen Menschen leib." Dies Wort änderte unsern Entschluß. Von hinten auf stiegen wir auf das Verdeck, über das Cabriolet empor kam uns der Sanfte entgegen, der nach der ersten tövtlichen Bestürzung wieder Muth und Regsamkeit gewonnen hatte, als er Perglow selbst an den Feuerherd zurückkrhren sah. Er bezeichnete uns mit heiserem Ton und bebender Hand die beiden Pulverfäßchen. So schwach das Flämmchen war, welches nach ihren Reifen hinleckte, so bedürfte es doch nur einiger durchgesickerter Körner, und was und wo waren wir im nächsten Au¬ genblicke? An einem Gran der Mischung Salpeter, Schwefel und Kohle hing unser Leben. Die Arme, die sich gegen die Fässer aus¬ streckten, schienen ein Bewußtsein der Gefahr zu haben, nach der sie langten. Eine schmerzliche Empfindung rieselte durch ihr Mark und pflanzte sich durch den Körper fort. „Ist gewiß kein Pulver weiter auf dem Wagen?" fragte Perglow. 44*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/331>, abgerufen am 23.07.2024.