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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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"Bis Klappendorf grade muß ich lesen."

Dabei war er schon wieder ausgezogen, hatte das Cabriolet er¬
klommen und sich in den Inhalt des Buchs, welches an der Reihe
war, so innig vertieft, daß die Rede an ihn rein verloren ging, die
der Seminolenhäuptling über Literatur im Allgemeinen und Naturge¬
schichte des Kameels im Besondern hielt. Das Wort "Kameel" sprach
er dabei accurat so aus, als ob er den lesenden Passagier damit im
Allgemeinen bezeichnen und im Besondern beleidigen wollte.

"Wenn ich mir hier, die Bewilligung des Fräuleins vorausge¬
setzt, eine Cigarre anzündete, so mordete ich ein Menschenleben durch
Stickhusten!" schloß Perglow den Sermon und setzte sich, von Wein
und Aerger ziemlich aufgeregt, auf den alten Platz. "Aber draußen
vor der Stadt -- und wenn ich deshalb auf'S Verdeck steigen muß,
kann ich mir die süße Gewohnheit des Daseins nicht länger versagen."

Ich ahnte unendlichen Vortheil von der Abwesenheit des Häupt¬
lings und das traulichste Zwiegespräch mit Julien, daher war ich be¬
flissen, dem Gefährten ein Lager auf dem Verdeck als ein wahres Lot¬
terbett üppiger Ruhe zu schildern. Erst pries ich den Reiz der Ge¬
gend, die er überblicken würde, dann besprach ich mit dem Häuptlinge
die verschiedenen Arten des Rauchers mit einer so feinen Ausarbeitung
aller Einzelheiten, daß ihm der narkotische Duft bei der bloßen Erin¬
nerung durch den Mund und die Nase prickelte. In der Nähe der
Klosterruine, die nicht weit hinter Meißen liegt, war auch seine Be¬
gierde so lebhaft aufgereizt, daß er den Kutschenschlag öffnete und mit¬
ten im Fahren aus dem Wagen sprang, was bei der äußerst vorsich¬
tigen Bewegung der Rosse wenig Gefahr hatte und dem sanften Hein¬
rich, nach einem Besuche bei Baumgarten, durchaus nicht Wunder
nahm. Der Kutscher sah sich auch nach dem Zurückbleibenden nicht
weiter um, wir im Innern aber gewahrten darauf an dem Geräusch
über unsern Häuptern, daß Perglow über die Kisten des Hintertheils
emporgestiegen und somit auf der Höhe des Fortschritts angelangt war,.

Der Kranke stöhnte kläglich, und wir durften auf einen Trauer¬
fall gefaßt sein, ehe wir Leipzig erreichten. Um ihm eine bequemere
Lage einzuräumen, setzte sich das Fräulein zu mir herüber und ordnete
das Bett des gelähmten Badegastes nach dieser Veränderung sorgfäl¬
tig von neuem. Er dankte ihr, auch ohne Perglows Cigarre, mit ei¬
nem tiefgefühlten Husten, und nur Gesunden sprachen dann von See¬
bädern und Sauerbrunnen und von der Heilquelle in Tharant, die
mehr auf den Bergen wächst und in den Lüften webt, als aus dein


„Bis Klappendorf grade muß ich lesen."

Dabei war er schon wieder ausgezogen, hatte das Cabriolet er¬
klommen und sich in den Inhalt des Buchs, welches an der Reihe
war, so innig vertieft, daß die Rede an ihn rein verloren ging, die
der Seminolenhäuptling über Literatur im Allgemeinen und Naturge¬
schichte des Kameels im Besondern hielt. Das Wort „Kameel" sprach
er dabei accurat so aus, als ob er den lesenden Passagier damit im
Allgemeinen bezeichnen und im Besondern beleidigen wollte.

„Wenn ich mir hier, die Bewilligung des Fräuleins vorausge¬
setzt, eine Cigarre anzündete, so mordete ich ein Menschenleben durch
Stickhusten!" schloß Perglow den Sermon und setzte sich, von Wein
und Aerger ziemlich aufgeregt, auf den alten Platz. „Aber draußen
vor der Stadt — und wenn ich deshalb auf'S Verdeck steigen muß,
kann ich mir die süße Gewohnheit des Daseins nicht länger versagen."

Ich ahnte unendlichen Vortheil von der Abwesenheit des Häupt¬
lings und das traulichste Zwiegespräch mit Julien, daher war ich be¬
flissen, dem Gefährten ein Lager auf dem Verdeck als ein wahres Lot¬
terbett üppiger Ruhe zu schildern. Erst pries ich den Reiz der Ge¬
gend, die er überblicken würde, dann besprach ich mit dem Häuptlinge
die verschiedenen Arten des Rauchers mit einer so feinen Ausarbeitung
aller Einzelheiten, daß ihm der narkotische Duft bei der bloßen Erin¬
nerung durch den Mund und die Nase prickelte. In der Nähe der
Klosterruine, die nicht weit hinter Meißen liegt, war auch seine Be¬
gierde so lebhaft aufgereizt, daß er den Kutschenschlag öffnete und mit¬
ten im Fahren aus dem Wagen sprang, was bei der äußerst vorsich¬
tigen Bewegung der Rosse wenig Gefahr hatte und dem sanften Hein¬
rich, nach einem Besuche bei Baumgarten, durchaus nicht Wunder
nahm. Der Kutscher sah sich auch nach dem Zurückbleibenden nicht
weiter um, wir im Innern aber gewahrten darauf an dem Geräusch
über unsern Häuptern, daß Perglow über die Kisten des Hintertheils
emporgestiegen und somit auf der Höhe des Fortschritts angelangt war,.

Der Kranke stöhnte kläglich, und wir durften auf einen Trauer¬
fall gefaßt sein, ehe wir Leipzig erreichten. Um ihm eine bequemere
Lage einzuräumen, setzte sich das Fräulein zu mir herüber und ordnete
das Bett des gelähmten Badegastes nach dieser Veränderung sorgfäl¬
tig von neuem. Er dankte ihr, auch ohne Perglows Cigarre, mit ei¬
nem tiefgefühlten Husten, und nur Gesunden sprachen dann von See¬
bädern und Sauerbrunnen und von der Heilquelle in Tharant, die
mehr auf den Bergen wächst und in den Lüften webt, als aus dein


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[0327] „Bis Klappendorf grade muß ich lesen." Dabei war er schon wieder ausgezogen, hatte das Cabriolet er¬ klommen und sich in den Inhalt des Buchs, welches an der Reihe war, so innig vertieft, daß die Rede an ihn rein verloren ging, die der Seminolenhäuptling über Literatur im Allgemeinen und Naturge¬ schichte des Kameels im Besondern hielt. Das Wort „Kameel" sprach er dabei accurat so aus, als ob er den lesenden Passagier damit im Allgemeinen bezeichnen und im Besondern beleidigen wollte. „Wenn ich mir hier, die Bewilligung des Fräuleins vorausge¬ setzt, eine Cigarre anzündete, so mordete ich ein Menschenleben durch Stickhusten!" schloß Perglow den Sermon und setzte sich, von Wein und Aerger ziemlich aufgeregt, auf den alten Platz. „Aber draußen vor der Stadt — und wenn ich deshalb auf'S Verdeck steigen muß, kann ich mir die süße Gewohnheit des Daseins nicht länger versagen." Ich ahnte unendlichen Vortheil von der Abwesenheit des Häupt¬ lings und das traulichste Zwiegespräch mit Julien, daher war ich be¬ flissen, dem Gefährten ein Lager auf dem Verdeck als ein wahres Lot¬ terbett üppiger Ruhe zu schildern. Erst pries ich den Reiz der Ge¬ gend, die er überblicken würde, dann besprach ich mit dem Häuptlinge die verschiedenen Arten des Rauchers mit einer so feinen Ausarbeitung aller Einzelheiten, daß ihm der narkotische Duft bei der bloßen Erin¬ nerung durch den Mund und die Nase prickelte. In der Nähe der Klosterruine, die nicht weit hinter Meißen liegt, war auch seine Be¬ gierde so lebhaft aufgereizt, daß er den Kutschenschlag öffnete und mit¬ ten im Fahren aus dem Wagen sprang, was bei der äußerst vorsich¬ tigen Bewegung der Rosse wenig Gefahr hatte und dem sanften Hein¬ rich, nach einem Besuche bei Baumgarten, durchaus nicht Wunder nahm. Der Kutscher sah sich auch nach dem Zurückbleibenden nicht weiter um, wir im Innern aber gewahrten darauf an dem Geräusch über unsern Häuptern, daß Perglow über die Kisten des Hintertheils emporgestiegen und somit auf der Höhe des Fortschritts angelangt war,. Der Kranke stöhnte kläglich, und wir durften auf einen Trauer¬ fall gefaßt sein, ehe wir Leipzig erreichten. Um ihm eine bequemere Lage einzuräumen, setzte sich das Fräulein zu mir herüber und ordnete das Bett des gelähmten Badegastes nach dieser Veränderung sorgfäl¬ tig von neuem. Er dankte ihr, auch ohne Perglows Cigarre, mit ei¬ nem tiefgefühlten Husten, und nur Gesunden sprachen dann von See¬ bädern und Sauerbrunnen und von der Heilquelle in Tharant, die mehr auf den Bergen wächst und in den Lüften webt, als aus dein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/327>, abgerufen am 23.07.2024.