Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch die Berührung ihrer Lippen nicht zuversichtlicher geworden
oder gar begehrlich, war ich dennoch so unbefangen und vertraut zu
ihr, daß weder meine Gedanken im Gefühle, noch der Ausdruck im
Gedanken erstickte wie vorhin. Ich vermochte ihr Alles zu sagen, was
ich von Freude und Hoffnung in der Brust hatte, und der Hoffnung
besonders trug ich viel in mir.

Julie selbst rief mir den Küpermeister Baumgarten in's Gedächt¬
niß zurück, als wir wieder unten in der Stadt waren. Ich begab
mich dahin und fand Perglow in Gesellschaft von einem sehr langen
Studenten mit einem desto kürzern Rocke. Ebenfalls ein großer Krie¬
ger, dem ich bald vorgestellt war. Er hatte die Seminolenmütze auf
dem röthlichen Haupthaar auch im Zimmer nicht abgelegt, vermuth¬
lich weil er sie mit dem Halstuche verwechselte, wovon auch nicht eine
Spur an seinem entblößten Nacken zu entdecken war. In seiner Lin¬
ken hielt er eine starke "Flöte", worunter man sich einen Stock vorzu¬
stellen hat, der dann auch musikalisch wirken konnte, wenn er in rhyth¬
mischen Schwingungen auf den Rücken irgend eines mit Stimme be¬
gabten Wesens niederfiel. Mit der Rechten umspannte er eine Fla¬
sche, aus welcher er mir ein Glas füllte, welches beinahe größer als
die Flasche war. Ans das Mittrinken beschränkte sich übrigens meine
ganze Theilnahme an der Unterhaltung, da sie sich ausschließlich auf
Personen und Zustände erstreckte, die ich erst näher kennen lernen sollte.

Der sanfte Heinrich kam selbst uns abzurufen. Er war fo dienst¬
fertig, daß er die angebrochenen Flaschen leeren half, nur um uns
desto rascher zu befördern. Perglow führte wieder die Dame, ich trug
meine Hälfte von dem Kranken an den Wagen. Aber als es an's
Einsteigen kam, wollte Perglow, um zu rauchen, mit einem Passagier
des Cabriolets tauschen. Es war der lesende Passagier, den er dazu
einlud. Auch ging der Aufgeforderte auf den Wunsch des Häuptlings
ein und siedelte mit der Bibliothek zu uns über. Da fand er aber,
daß ihm das Licht ungünstig falle, mit welcher Umschreibung er ver¬
muthlich den Badegast meinte, vor dessen Nachbarschaft er offenbar
heftig zurückschrak.

"Nun, so lesen Sie einmal eine Station lang nicht!" rieth ihm
Perglow.

"Ich muß aber lesen!" sagte der Passagier, "ich bin ein wan¬
dernder Naturforscher und studire eben Sachsen."

"Am zweckmäßigsten doch durch den Augenschein! In Klappen¬
dorf geb' ich Ihnen Ihren Cabrioletplatz zurück."


Durch die Berührung ihrer Lippen nicht zuversichtlicher geworden
oder gar begehrlich, war ich dennoch so unbefangen und vertraut zu
ihr, daß weder meine Gedanken im Gefühle, noch der Ausdruck im
Gedanken erstickte wie vorhin. Ich vermochte ihr Alles zu sagen, was
ich von Freude und Hoffnung in der Brust hatte, und der Hoffnung
besonders trug ich viel in mir.

Julie selbst rief mir den Küpermeister Baumgarten in's Gedächt¬
niß zurück, als wir wieder unten in der Stadt waren. Ich begab
mich dahin und fand Perglow in Gesellschaft von einem sehr langen
Studenten mit einem desto kürzern Rocke. Ebenfalls ein großer Krie¬
ger, dem ich bald vorgestellt war. Er hatte die Seminolenmütze auf
dem röthlichen Haupthaar auch im Zimmer nicht abgelegt, vermuth¬
lich weil er sie mit dem Halstuche verwechselte, wovon auch nicht eine
Spur an seinem entblößten Nacken zu entdecken war. In seiner Lin¬
ken hielt er eine starke „Flöte", worunter man sich einen Stock vorzu¬
stellen hat, der dann auch musikalisch wirken konnte, wenn er in rhyth¬
mischen Schwingungen auf den Rücken irgend eines mit Stimme be¬
gabten Wesens niederfiel. Mit der Rechten umspannte er eine Fla¬
sche, aus welcher er mir ein Glas füllte, welches beinahe größer als
die Flasche war. Ans das Mittrinken beschränkte sich übrigens meine
ganze Theilnahme an der Unterhaltung, da sie sich ausschließlich auf
Personen und Zustände erstreckte, die ich erst näher kennen lernen sollte.

Der sanfte Heinrich kam selbst uns abzurufen. Er war fo dienst¬
fertig, daß er die angebrochenen Flaschen leeren half, nur um uns
desto rascher zu befördern. Perglow führte wieder die Dame, ich trug
meine Hälfte von dem Kranken an den Wagen. Aber als es an's
Einsteigen kam, wollte Perglow, um zu rauchen, mit einem Passagier
des Cabriolets tauschen. Es war der lesende Passagier, den er dazu
einlud. Auch ging der Aufgeforderte auf den Wunsch des Häuptlings
ein und siedelte mit der Bibliothek zu uns über. Da fand er aber,
daß ihm das Licht ungünstig falle, mit welcher Umschreibung er ver¬
muthlich den Badegast meinte, vor dessen Nachbarschaft er offenbar
heftig zurückschrak.

„Nun, so lesen Sie einmal eine Station lang nicht!" rieth ihm
Perglow.

„Ich muß aber lesen!" sagte der Passagier, „ich bin ein wan¬
dernder Naturforscher und studire eben Sachsen."

„Am zweckmäßigsten doch durch den Augenschein! In Klappen¬
dorf geb' ich Ihnen Ihren Cabrioletplatz zurück."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183908"/>
            <p xml:id="ID_926"> Durch die Berührung ihrer Lippen nicht zuversichtlicher geworden<lb/>
oder gar begehrlich, war ich dennoch so unbefangen und vertraut zu<lb/>
ihr, daß weder meine Gedanken im Gefühle, noch der Ausdruck im<lb/>
Gedanken erstickte wie vorhin. Ich vermochte ihr Alles zu sagen, was<lb/>
ich von Freude und Hoffnung in der Brust hatte, und der Hoffnung<lb/>
besonders trug ich viel in mir.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_927"> Julie selbst rief mir den Küpermeister Baumgarten in's Gedächt¬<lb/>
niß zurück, als wir wieder unten in der Stadt waren. Ich begab<lb/>
mich dahin und fand Perglow in Gesellschaft von einem sehr langen<lb/>
Studenten mit einem desto kürzern Rocke. Ebenfalls ein großer Krie¬<lb/>
ger, dem ich bald vorgestellt war. Er hatte die Seminolenmütze auf<lb/>
dem röthlichen Haupthaar auch im Zimmer nicht abgelegt, vermuth¬<lb/>
lich weil er sie mit dem Halstuche verwechselte, wovon auch nicht eine<lb/>
Spur an seinem entblößten Nacken zu entdecken war. In seiner Lin¬<lb/>
ken hielt er eine starke &#x201E;Flöte", worunter man sich einen Stock vorzu¬<lb/>
stellen hat, der dann auch musikalisch wirken konnte, wenn er in rhyth¬<lb/>
mischen Schwingungen auf den Rücken irgend eines mit Stimme be¬<lb/>
gabten Wesens niederfiel. Mit der Rechten umspannte er eine Fla¬<lb/>
sche, aus welcher er mir ein Glas füllte, welches beinahe größer als<lb/>
die Flasche war. Ans das Mittrinken beschränkte sich übrigens meine<lb/>
ganze Theilnahme an der Unterhaltung, da sie sich ausschließlich auf<lb/>
Personen und Zustände erstreckte, die ich erst näher kennen lernen sollte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_928"> Der sanfte Heinrich kam selbst uns abzurufen. Er war fo dienst¬<lb/>
fertig, daß er die angebrochenen Flaschen leeren half, nur um uns<lb/>
desto rascher zu befördern. Perglow führte wieder die Dame, ich trug<lb/>
meine Hälfte von dem Kranken an den Wagen. Aber als es an's<lb/>
Einsteigen kam, wollte Perglow, um zu rauchen, mit einem Passagier<lb/>
des Cabriolets tauschen. Es war der lesende Passagier, den er dazu<lb/>
einlud. Auch ging der Aufgeforderte auf den Wunsch des Häuptlings<lb/>
ein und siedelte mit der Bibliothek zu uns über. Da fand er aber,<lb/>
daß ihm das Licht ungünstig falle, mit welcher Umschreibung er ver¬<lb/>
muthlich den Badegast meinte, vor dessen Nachbarschaft er offenbar<lb/>
heftig zurückschrak.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_929"> &#x201E;Nun, so lesen Sie einmal eine Station lang nicht!" rieth ihm<lb/>
Perglow.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_930"> &#x201E;Ich muß aber lesen!" sagte der Passagier, &#x201E;ich bin ein wan¬<lb/>
dernder Naturforscher und studire eben Sachsen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_931"> &#x201E;Am zweckmäßigsten doch durch den Augenschein! In Klappen¬<lb/>
dorf geb' ich Ihnen Ihren Cabrioletplatz zurück."</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Durch die Berührung ihrer Lippen nicht zuversichtlicher geworden oder gar begehrlich, war ich dennoch so unbefangen und vertraut zu ihr, daß weder meine Gedanken im Gefühle, noch der Ausdruck im Gedanken erstickte wie vorhin. Ich vermochte ihr Alles zu sagen, was ich von Freude und Hoffnung in der Brust hatte, und der Hoffnung besonders trug ich viel in mir. Julie selbst rief mir den Küpermeister Baumgarten in's Gedächt¬ niß zurück, als wir wieder unten in der Stadt waren. Ich begab mich dahin und fand Perglow in Gesellschaft von einem sehr langen Studenten mit einem desto kürzern Rocke. Ebenfalls ein großer Krie¬ ger, dem ich bald vorgestellt war. Er hatte die Seminolenmütze auf dem röthlichen Haupthaar auch im Zimmer nicht abgelegt, vermuth¬ lich weil er sie mit dem Halstuche verwechselte, wovon auch nicht eine Spur an seinem entblößten Nacken zu entdecken war. In seiner Lin¬ ken hielt er eine starke „Flöte", worunter man sich einen Stock vorzu¬ stellen hat, der dann auch musikalisch wirken konnte, wenn er in rhyth¬ mischen Schwingungen auf den Rücken irgend eines mit Stimme be¬ gabten Wesens niederfiel. Mit der Rechten umspannte er eine Fla¬ sche, aus welcher er mir ein Glas füllte, welches beinahe größer als die Flasche war. Ans das Mittrinken beschränkte sich übrigens meine ganze Theilnahme an der Unterhaltung, da sie sich ausschließlich auf Personen und Zustände erstreckte, die ich erst näher kennen lernen sollte. Der sanfte Heinrich kam selbst uns abzurufen. Er war fo dienst¬ fertig, daß er die angebrochenen Flaschen leeren half, nur um uns desto rascher zu befördern. Perglow führte wieder die Dame, ich trug meine Hälfte von dem Kranken an den Wagen. Aber als es an's Einsteigen kam, wollte Perglow, um zu rauchen, mit einem Passagier des Cabriolets tauschen. Es war der lesende Passagier, den er dazu einlud. Auch ging der Aufgeforderte auf den Wunsch des Häuptlings ein und siedelte mit der Bibliothek zu uns über. Da fand er aber, daß ihm das Licht ungünstig falle, mit welcher Umschreibung er ver¬ muthlich den Badegast meinte, vor dessen Nachbarschaft er offenbar heftig zurückschrak. „Nun, so lesen Sie einmal eine Station lang nicht!" rieth ihm Perglow. „Ich muß aber lesen!" sagte der Passagier, „ich bin ein wan¬ dernder Naturforscher und studire eben Sachsen." „Am zweckmäßigsten doch durch den Augenschein! In Klappen¬ dorf geb' ich Ihnen Ihren Cabrioletplatz zurück."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/326>, abgerufen am 23.07.2024.