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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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"Hättest Du keine Mutter, Perglow, daß Du die ängstliche Sorge
der meinigen verspotten kannst?" fragte ich, verletzt von einer Andeu-
tung, deren verletzende Spitzen weniger mich als meine Aeltern trafen.
"Sonst wären Deine Worte unverzeihlich."

Da nahm das Antlitz des großen Kriegers eine so treuherzige
Miene an, daß jeder Zug von Hohn daraus verschwand. "Keine Mut¬
ter?" fragte er, "ein vollkommener Student kann der freilich nicht wer¬
den, der seiner Mutter folgt, indem er das Duell vermeidet und dem
Vater gehorcht, indem er die Verbindungen seiner Kameraden flieht,
deren Reiz mit ihrem Verbote zu besiegeln die Regierungen selten säu¬
mig sind. Aber ich wollte Dich nicht beleidigen, denn auch meine
Schritte möchte ein geängstetes Mutterherz überwachen und leiten,
wenn ich etwas folgsamer wäre. Darauf meine Hand."

Wir fuhren in das engere Elbthal ein, in welchem sich das tau¬
sendjährige Meißen erhebt. Die Stadt blickt so romantisch über den
schönen Fluß, die Albrechtsburg mit dem gothischen Afradom so mit¬
telalterlich von der Höhe herab, daß die Stadt gar nicht recht in die
neue Staatsverfassung und Geschichte paßt. Sie ist zu poetisch für
die nüchterne Neuzeit. Das wußte die Eisenbahn, die später die alten
Völkerstraßen veröden machte und sie ließ deshalb Meißen seitwärts
liegen. Die Lohnkutscher waren gerechter. Sie lagen oft länger in
Meißen, als es selbst der Weinbau der Landschaft verantworten mag,
der alle Arten europäischen Traubenbluts versendet, besonders Asmanns-
Häuser, Burgunder und Champagner. Aber verschämter Weise niemals
Meißner!

Das Fräulein war so liebreizend, daß ich viel darum gegeben
hätte, wäre es mir erlaubt gewesen, ihr gewisse kleine Neisedienste zu
leisten, wie z. V. den, ihr beim Aussteigen aus dem Wagen die Hand
zu reichen. Aber Perglow ließ mir in dieser Beziehung gar nichts
übrig und bis zu dem Versuche, mit seiner Artigkeit zu wetteifern, ver¬
stieg sich meine Keckheit nicht. Vielmehr sah ich mich dem kranken
Badegäste zugesellt, für den auch der Seminolenhäuptling die sehr er¬
hebliche Rücksicht nahm, sich das Tabaksrauchen in der Kutsche zu
versagen. Während daher Perglow in Meißen unsere junge Dame
an seinem Arme in den Gasthof zur "Sonne" geleitete, war ich dazu
verurtheilt, das fahrende Krankenbett in ein wandelndes Lazareth um¬
gestalten zu helfen. Flott und schmuck schritt das eine Paar vor uns
voraus, indeß der sanfte Heinrich und ich kaum stark genug waren,
ein stöhnendes Bündel von Fellen und Betten nachzuschleppen.


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„Hättest Du keine Mutter, Perglow, daß Du die ängstliche Sorge
der meinigen verspotten kannst?" fragte ich, verletzt von einer Andeu-
tung, deren verletzende Spitzen weniger mich als meine Aeltern trafen.
„Sonst wären Deine Worte unverzeihlich."

Da nahm das Antlitz des großen Kriegers eine so treuherzige
Miene an, daß jeder Zug von Hohn daraus verschwand. „Keine Mut¬
ter?" fragte er, „ein vollkommener Student kann der freilich nicht wer¬
den, der seiner Mutter folgt, indem er das Duell vermeidet und dem
Vater gehorcht, indem er die Verbindungen seiner Kameraden flieht,
deren Reiz mit ihrem Verbote zu besiegeln die Regierungen selten säu¬
mig sind. Aber ich wollte Dich nicht beleidigen, denn auch meine
Schritte möchte ein geängstetes Mutterherz überwachen und leiten,
wenn ich etwas folgsamer wäre. Darauf meine Hand."

Wir fuhren in das engere Elbthal ein, in welchem sich das tau¬
sendjährige Meißen erhebt. Die Stadt blickt so romantisch über den
schönen Fluß, die Albrechtsburg mit dem gothischen Afradom so mit¬
telalterlich von der Höhe herab, daß die Stadt gar nicht recht in die
neue Staatsverfassung und Geschichte paßt. Sie ist zu poetisch für
die nüchterne Neuzeit. Das wußte die Eisenbahn, die später die alten
Völkerstraßen veröden machte und sie ließ deshalb Meißen seitwärts
liegen. Die Lohnkutscher waren gerechter. Sie lagen oft länger in
Meißen, als es selbst der Weinbau der Landschaft verantworten mag,
der alle Arten europäischen Traubenbluts versendet, besonders Asmanns-
Häuser, Burgunder und Champagner. Aber verschämter Weise niemals
Meißner!

Das Fräulein war so liebreizend, daß ich viel darum gegeben
hätte, wäre es mir erlaubt gewesen, ihr gewisse kleine Neisedienste zu
leisten, wie z. V. den, ihr beim Aussteigen aus dem Wagen die Hand
zu reichen. Aber Perglow ließ mir in dieser Beziehung gar nichts
übrig und bis zu dem Versuche, mit seiner Artigkeit zu wetteifern, ver¬
stieg sich meine Keckheit nicht. Vielmehr sah ich mich dem kranken
Badegäste zugesellt, für den auch der Seminolenhäuptling die sehr er¬
hebliche Rücksicht nahm, sich das Tabaksrauchen in der Kutsche zu
versagen. Während daher Perglow in Meißen unsere junge Dame
an seinem Arme in den Gasthof zur „Sonne" geleitete, war ich dazu
verurtheilt, das fahrende Krankenbett in ein wandelndes Lazareth um¬
gestalten zu helfen. Flott und schmuck schritt das eine Paar vor uns
voraus, indeß der sanfte Heinrich und ich kaum stark genug waren,
ein stöhnendes Bündel von Fellen und Betten nachzuschleppen.


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[0323] „Hättest Du keine Mutter, Perglow, daß Du die ängstliche Sorge der meinigen verspotten kannst?" fragte ich, verletzt von einer Andeu- tung, deren verletzende Spitzen weniger mich als meine Aeltern trafen. „Sonst wären Deine Worte unverzeihlich." Da nahm das Antlitz des großen Kriegers eine so treuherzige Miene an, daß jeder Zug von Hohn daraus verschwand. „Keine Mut¬ ter?" fragte er, „ein vollkommener Student kann der freilich nicht wer¬ den, der seiner Mutter folgt, indem er das Duell vermeidet und dem Vater gehorcht, indem er die Verbindungen seiner Kameraden flieht, deren Reiz mit ihrem Verbote zu besiegeln die Regierungen selten säu¬ mig sind. Aber ich wollte Dich nicht beleidigen, denn auch meine Schritte möchte ein geängstetes Mutterherz überwachen und leiten, wenn ich etwas folgsamer wäre. Darauf meine Hand." Wir fuhren in das engere Elbthal ein, in welchem sich das tau¬ sendjährige Meißen erhebt. Die Stadt blickt so romantisch über den schönen Fluß, die Albrechtsburg mit dem gothischen Afradom so mit¬ telalterlich von der Höhe herab, daß die Stadt gar nicht recht in die neue Staatsverfassung und Geschichte paßt. Sie ist zu poetisch für die nüchterne Neuzeit. Das wußte die Eisenbahn, die später die alten Völkerstraßen veröden machte und sie ließ deshalb Meißen seitwärts liegen. Die Lohnkutscher waren gerechter. Sie lagen oft länger in Meißen, als es selbst der Weinbau der Landschaft verantworten mag, der alle Arten europäischen Traubenbluts versendet, besonders Asmanns- Häuser, Burgunder und Champagner. Aber verschämter Weise niemals Meißner! Das Fräulein war so liebreizend, daß ich viel darum gegeben hätte, wäre es mir erlaubt gewesen, ihr gewisse kleine Neisedienste zu leisten, wie z. V. den, ihr beim Aussteigen aus dem Wagen die Hand zu reichen. Aber Perglow ließ mir in dieser Beziehung gar nichts übrig und bis zu dem Versuche, mit seiner Artigkeit zu wetteifern, ver¬ stieg sich meine Keckheit nicht. Vielmehr sah ich mich dem kranken Badegäste zugesellt, für den auch der Seminolenhäuptling die sehr er¬ hebliche Rücksicht nahm, sich das Tabaksrauchen in der Kutsche zu versagen. Während daher Perglow in Meißen unsere junge Dame an seinem Arme in den Gasthof zur „Sonne" geleitete, war ich dazu verurtheilt, das fahrende Krankenbett in ein wandelndes Lazareth um¬ gestalten zu helfen. Flott und schmuck schritt das eine Paar vor uns voraus, indeß der sanfte Heinrich und ich kaum stark genug waren, ein stöhnendes Bündel von Fellen und Betten nachzuschleppen. 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/323>, abgerufen am 23.07.2024.