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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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veränderte und den Staub von uns abtrieb, etwas zurückschlug, war's
wie nach einem Sonnenaufgange im Wagen, Ich fühlte mich von
einer Schönheit angestrahlt, daß ich die geblendeten Augen niederschlagen
mußte. Wäre der Magnet des Duellbandes nicht zu stark gewesen
und hätte ich nicht gehofft, den achten Zweikampf, vielleicht sogar ei-
nen neunten darauf zu entdecken, so hätte ich meine Blicke wahrschein¬
lich niemals wieder erhoben. Der Frühling war zu uns in den Wagen
gestiegen; mit lächelnder Miene streckte er mir die Knie entgegen. Er
hatte Grübchen in den Rosenwangen und einen Kirschlippenmund. Er
war zum Küssen schön und zum Mitverliebtwerden jung. Um allen
Preis der holdesten Anmuth mit Einem Satze zu begreifen: für die
Reisegesellschaft eines solchen Mädchens fuhr selbst der Dresdner Lohn-
kutscher zu schnell. Ein Jeder mußte mit den Minuten geizen, die er
mit dieser Gefährtin zusammen verlebte.

Hätte ich nur bestimmt gewußt, ob sich alle Studenten "Du"
nennen, und ob es nicht etwa eine schmeichelnde Schulfabel war, daß
auch der jüngste Fuchs berechtigt sei, von dem bemoostesten Haupte so
überschwengliche Vertraulichkeit zu fordern, so hätte ich den ehrfurcht-
gebietendcn Genossen doch wohl angeredet. Vielleicht, daß er nur den
ersten Schritt der Annäherung von mir erwartete. Wir kamen an den
Seeplatz Zitschewig. Ich hätte ihm den Namen des Dorfes nennen,
oder sonst eine geistreiche Einleitung zu weiten" Gespräche treffen können.
Aber ließ sich die persönliche Anrede nicht umgehen? Und stand nicht
auch ich auf den sonnigen Höhen des Lebens, an der Pforte der Aka¬
demie wenigstens, so daß mir wohl ein verwegnes Wort ziemte? Der
sanfte Heinrich hielt vor dem Gasthofe das Gespann an, was er mit
einer Leichtigkeit verrichtete, daß es fast schien, als ob das Gespann
ans Schwäche von selbst Halt machte. Ich faßte mir endlich ein Herz
und sagte laut und männlich: "Das ist Zitschewig."

Eine geraume Weile ließ mich der hochgeehrte Gefährte auf Ant¬
wort warten, indem er nach einer Richtung hin blickte und hörte, in
welcher ich durchaus nicht saß und gesprochen hatte. Dann faßte er mich
fest in's Auge; ich raffte meine Haltung zusammen, daß die Schnuren
meiner blauen Piquesche darunter seufzten; -- ging mit seinem Blicke
von meiner Stirn bis auf die Brust herab, das heißt, so weit ihm
das mir benachbarte Krankenlager die Aussicht auf mich gestattete,
und sprach darauf mit großem Ernst: "Ja, Fuchs, Zitschewig."

Ich hatte aussteigen wollen, aber einer Fortsetzung des also an¬
geknüpften Zwiegesprächs gewärtig, blieb ich regungslos und gespannt


veränderte und den Staub von uns abtrieb, etwas zurückschlug, war's
wie nach einem Sonnenaufgange im Wagen, Ich fühlte mich von
einer Schönheit angestrahlt, daß ich die geblendeten Augen niederschlagen
mußte. Wäre der Magnet des Duellbandes nicht zu stark gewesen
und hätte ich nicht gehofft, den achten Zweikampf, vielleicht sogar ei-
nen neunten darauf zu entdecken, so hätte ich meine Blicke wahrschein¬
lich niemals wieder erhoben. Der Frühling war zu uns in den Wagen
gestiegen; mit lächelnder Miene streckte er mir die Knie entgegen. Er
hatte Grübchen in den Rosenwangen und einen Kirschlippenmund. Er
war zum Küssen schön und zum Mitverliebtwerden jung. Um allen
Preis der holdesten Anmuth mit Einem Satze zu begreifen: für die
Reisegesellschaft eines solchen Mädchens fuhr selbst der Dresdner Lohn-
kutscher zu schnell. Ein Jeder mußte mit den Minuten geizen, die er
mit dieser Gefährtin zusammen verlebte.

Hätte ich nur bestimmt gewußt, ob sich alle Studenten „Du"
nennen, und ob es nicht etwa eine schmeichelnde Schulfabel war, daß
auch der jüngste Fuchs berechtigt sei, von dem bemoostesten Haupte so
überschwengliche Vertraulichkeit zu fordern, so hätte ich den ehrfurcht-
gebietendcn Genossen doch wohl angeredet. Vielleicht, daß er nur den
ersten Schritt der Annäherung von mir erwartete. Wir kamen an den
Seeplatz Zitschewig. Ich hätte ihm den Namen des Dorfes nennen,
oder sonst eine geistreiche Einleitung zu weiten» Gespräche treffen können.
Aber ließ sich die persönliche Anrede nicht umgehen? Und stand nicht
auch ich auf den sonnigen Höhen des Lebens, an der Pforte der Aka¬
demie wenigstens, so daß mir wohl ein verwegnes Wort ziemte? Der
sanfte Heinrich hielt vor dem Gasthofe das Gespann an, was er mit
einer Leichtigkeit verrichtete, daß es fast schien, als ob das Gespann
ans Schwäche von selbst Halt machte. Ich faßte mir endlich ein Herz
und sagte laut und männlich: „Das ist Zitschewig."

Eine geraume Weile ließ mich der hochgeehrte Gefährte auf Ant¬
wort warten, indem er nach einer Richtung hin blickte und hörte, in
welcher ich durchaus nicht saß und gesprochen hatte. Dann faßte er mich
fest in's Auge; ich raffte meine Haltung zusammen, daß die Schnuren
meiner blauen Piquesche darunter seufzten; — ging mit seinem Blicke
von meiner Stirn bis auf die Brust herab, das heißt, so weit ihm
das mir benachbarte Krankenlager die Aussicht auf mich gestattete,
und sprach darauf mit großem Ernst: „Ja, Fuchs, Zitschewig."

Ich hatte aussteigen wollen, aber einer Fortsetzung des also an¬
geknüpften Zwiegesprächs gewärtig, blieb ich regungslos und gespannt


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[0319] veränderte und den Staub von uns abtrieb, etwas zurückschlug, war's wie nach einem Sonnenaufgange im Wagen, Ich fühlte mich von einer Schönheit angestrahlt, daß ich die geblendeten Augen niederschlagen mußte. Wäre der Magnet des Duellbandes nicht zu stark gewesen und hätte ich nicht gehofft, den achten Zweikampf, vielleicht sogar ei- nen neunten darauf zu entdecken, so hätte ich meine Blicke wahrschein¬ lich niemals wieder erhoben. Der Frühling war zu uns in den Wagen gestiegen; mit lächelnder Miene streckte er mir die Knie entgegen. Er hatte Grübchen in den Rosenwangen und einen Kirschlippenmund. Er war zum Küssen schön und zum Mitverliebtwerden jung. Um allen Preis der holdesten Anmuth mit Einem Satze zu begreifen: für die Reisegesellschaft eines solchen Mädchens fuhr selbst der Dresdner Lohn- kutscher zu schnell. Ein Jeder mußte mit den Minuten geizen, die er mit dieser Gefährtin zusammen verlebte. Hätte ich nur bestimmt gewußt, ob sich alle Studenten „Du" nennen, und ob es nicht etwa eine schmeichelnde Schulfabel war, daß auch der jüngste Fuchs berechtigt sei, von dem bemoostesten Haupte so überschwengliche Vertraulichkeit zu fordern, so hätte ich den ehrfurcht- gebietendcn Genossen doch wohl angeredet. Vielleicht, daß er nur den ersten Schritt der Annäherung von mir erwartete. Wir kamen an den Seeplatz Zitschewig. Ich hätte ihm den Namen des Dorfes nennen, oder sonst eine geistreiche Einleitung zu weiten» Gespräche treffen können. Aber ließ sich die persönliche Anrede nicht umgehen? Und stand nicht auch ich auf den sonnigen Höhen des Lebens, an der Pforte der Aka¬ demie wenigstens, so daß mir wohl ein verwegnes Wort ziemte? Der sanfte Heinrich hielt vor dem Gasthofe das Gespann an, was er mit einer Leichtigkeit verrichtete, daß es fast schien, als ob das Gespann ans Schwäche von selbst Halt machte. Ich faßte mir endlich ein Herz und sagte laut und männlich: „Das ist Zitschewig." Eine geraume Weile ließ mich der hochgeehrte Gefährte auf Ant¬ wort warten, indem er nach einer Richtung hin blickte und hörte, in welcher ich durchaus nicht saß und gesprochen hatte. Dann faßte er mich fest in's Auge; ich raffte meine Haltung zusammen, daß die Schnuren meiner blauen Piquesche darunter seufzten; — ging mit seinem Blicke von meiner Stirn bis auf die Brust herab, das heißt, so weit ihm das mir benachbarte Krankenlager die Aussicht auf mich gestattete, und sprach darauf mit großem Ernst: „Ja, Fuchs, Zitschewig." Ich hatte aussteigen wollen, aber einer Fortsetzung des also an¬ geknüpften Zwiegesprächs gewärtig, blieb ich regungslos und gespannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/319>, abgerufen am 23.07.2024.