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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ten Helles Zeugniß für den Eifer ab, mit welchem er der Sache der
Mäßigkeitsvereine vorarbeitete.

Das nachgrüßende Auge meiner Mutter war noch laiige in mei¬
ner Erinnerung, als es nicht mehr in meinem Blicke war. O selige
Wehmuth des Abschieds, mit der ich meinem unermeßlichen Glücke
entgegenging!

Wiewohl uns das langsame Vorrücken des Wagens über die
Schloßgafse durch das Georgenthor lind über die Gbbrücke hinüber
noch keineswegs über unsere Kräfte angestrengt hatte, so gab uns doch
ein Anhalten in der jenseitigen Neustadt Gelegenheit zur Erholung,
Zugleich erfuhren wir, daß unser- Wagen noch nicht überladen sei,
denn es wurden ihm zwei kleine, aber sehr schwere Fässer zugerollt
und zu oberst auf dem Verdecke festgeschnürt, ohne einigen Widerspruch
von Seiten der Pferde, obschon sie sich alle drei mit großer Bestürzung
darnach umsahen- Dann räh'te unsere Arche mit mindestens drei Nad-
umschwingungen Schnelligkeit in der Minute durch die meißner Gasse
und über den Palaisplatz, so daß wir jeden der Vorübergehenden schon
von Weitem ankommen sahen und feilte Gestalt noch lange verfolgen
konnten, wenn wir an ihm vorbeigezögert waren. Auch die Inschrift
auf dem Japanischen Palais lasen wir so ungestört, daß sie sich uns
unvergeßlich einprägte. Die öffentliche Bibliothek ist darin aufgestellt
und die Inschrift des Gebäudes lautet: I>)udu"'u p-tems. Ehe wir
von einem Lapidarbuchstaben bis zum andern gelangten, die sich dem un¬
bedachten Fußgänger nur zu leicht entziehe", verflossen Pausen, welche
den Gebrauch des umfängstlichen Lericonö erlaubt hätten, und so rei¬
sten wir offenbar mit dem größten Nutzen.

Die Stadt lag hinter uns; die Gesellschaft hatte Muße wie zu
allem Möglichen, so auch in sich selbst einzukehren. Ich begann meine
Reisegefährten zu mustern. Zuerst meinen Nachbar auf dem Vorder¬
platze, den Töplitzer Badegast. Wir standen in den ersten Tagen des
Mai, und doch hatte der Heilquell schon so viel an ihm bewirkt, daß
er grade noch lebendig nach Hause zu kommen hoffte, wenn ihm ein
Theil der Kräfte übrig blieb, mit denen er zu Ende März die Magde¬
burger Vaterstadt verlassen. Alles um ihn her war Pelz und Bette
und er selbst nichts Anderes, als eine große Lähmung. Das Gesicht
stak zur vorzüglichern Hälfte in einer Mütze, die mehr umgestülpter Muff
als Mütze war. Der Hals ward mit einem Wildkatzenfell und der
Mittelkörper mit einer Wolfsschur vor Verkühlung geschützt, der Rücken
lehnte an einem Pfühle und über den Schooß war ein Federbett ge-


ten Helles Zeugniß für den Eifer ab, mit welchem er der Sache der
Mäßigkeitsvereine vorarbeitete.

Das nachgrüßende Auge meiner Mutter war noch laiige in mei¬
ner Erinnerung, als es nicht mehr in meinem Blicke war. O selige
Wehmuth des Abschieds, mit der ich meinem unermeßlichen Glücke
entgegenging!

Wiewohl uns das langsame Vorrücken des Wagens über die
Schloßgafse durch das Georgenthor lind über die Gbbrücke hinüber
noch keineswegs über unsere Kräfte angestrengt hatte, so gab uns doch
ein Anhalten in der jenseitigen Neustadt Gelegenheit zur Erholung,
Zugleich erfuhren wir, daß unser- Wagen noch nicht überladen sei,
denn es wurden ihm zwei kleine, aber sehr schwere Fässer zugerollt
und zu oberst auf dem Verdecke festgeschnürt, ohne einigen Widerspruch
von Seiten der Pferde, obschon sie sich alle drei mit großer Bestürzung
darnach umsahen- Dann räh'te unsere Arche mit mindestens drei Nad-
umschwingungen Schnelligkeit in der Minute durch die meißner Gasse
und über den Palaisplatz, so daß wir jeden der Vorübergehenden schon
von Weitem ankommen sahen und feilte Gestalt noch lange verfolgen
konnten, wenn wir an ihm vorbeigezögert waren. Auch die Inschrift
auf dem Japanischen Palais lasen wir so ungestört, daß sie sich uns
unvergeßlich einprägte. Die öffentliche Bibliothek ist darin aufgestellt
und die Inschrift des Gebäudes lautet: I>)udu«'u p-tems. Ehe wir
von einem Lapidarbuchstaben bis zum andern gelangten, die sich dem un¬
bedachten Fußgänger nur zu leicht entziehe», verflossen Pausen, welche
den Gebrauch des umfängstlichen Lericonö erlaubt hätten, und so rei¬
sten wir offenbar mit dem größten Nutzen.

Die Stadt lag hinter uns; die Gesellschaft hatte Muße wie zu
allem Möglichen, so auch in sich selbst einzukehren. Ich begann meine
Reisegefährten zu mustern. Zuerst meinen Nachbar auf dem Vorder¬
platze, den Töplitzer Badegast. Wir standen in den ersten Tagen des
Mai, und doch hatte der Heilquell schon so viel an ihm bewirkt, daß
er grade noch lebendig nach Hause zu kommen hoffte, wenn ihm ein
Theil der Kräfte übrig blieb, mit denen er zu Ende März die Magde¬
burger Vaterstadt verlassen. Alles um ihn her war Pelz und Bette
und er selbst nichts Anderes, als eine große Lähmung. Das Gesicht
stak zur vorzüglichern Hälfte in einer Mütze, die mehr umgestülpter Muff
als Mütze war. Der Hals ward mit einem Wildkatzenfell und der
Mittelkörper mit einer Wolfsschur vor Verkühlung geschützt, der Rücken
lehnte an einem Pfühle und über den Schooß war ein Federbett ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/317>, abgerufen am 23.07.2024.