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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schaffen. Hüte Dich vor Liebschaften - erinnerte der Vater auf seiner
Seite, wobei er die Stimme etwas mäßigte.

-- Und vor Duellen -- das versprich mir heilig, mein Sohn. Keine
Duelle! und so fahr' denn hin unter Gottes Schutz Und unsern besten
Wünschen", fügte die besorgte Mutter desto lauter von der andern hinzu.

Ich befand mich, wie erwähnt, zwischen Thür' und Angel. Mit
dem Kopfe tauchte ich bereits freiheitssehnsuchtsvoll in das Innere des
Wagens, während die bedrängte Seele sammt dem Rumpfe noch drau¬
ßen war und von den älterlichen Ermahnungen zurückgehalten ward.
Grade bei der Erwähnung der Duelle aber blickte ich zum ersten Male
mit Bewußtsein auf die Insassen des Wagens und fühlte meine Auf¬
merksamkeit plötzlich gefesselt durch ein Paar braune Augen und eine
lebendig blühende Miene voll der bittersten Ironie. Augen und Miene
saßen jedoch nicht vereinzelt auf dem Rückplatze der Kutsche, sondern
sie bildeten vielmehr den allerpassendsten Zusammenhang mit der kur¬
zen energischen Gestalt eines schnurrbärtigen jungen Mannes, der offen¬
bar seit Jahren schon und in der edelsten Form war, was ich über¬
morgen in Leipzig werden wollte: akademischer Bürger.

Ich weiß nicht, ob es Spott oder Mitleiden war, womit mich
der alte Student betrachtete, aber ich weiß, daß mich der öffentliche
Unterricht auf einmal so heiß beängstigte, daß ich mich mit einer ent¬
schiedenen Bewegung losriß und um jeden Preis den Platz zu gewin¬
nen suchte, der mir im Wagen frei gelassen worden war. Ein Rat¬
tenkönig freundschaftlich nach mir ausgestreckter Hände folgte der küh¬
nen That. Ich drückte eine jede der dargebotenen Rechten, aber die
meiner Mutter küßte ich und preßte sie an meine Wangen.

"Alles hat seine Zeit!" sagt ein Weiser des alten Testaments.
Auch ein Dresdner Lohnkutscher vermochte der Ewigkeit nicht für die
Dauer zu trotzen. Wir fuhren ab, worunter man sich die knarrende
Bewegung eines Lastwagens vorzustellen hat, in dessen Innern sich
eine Höhle für vier Passagiere in der Kutsche und zwei im Kabriolet
befand. Der "sanfte Heinrich", der die Pferde lenkte, saß in der
Schoßkelle. Es war ein alter Studentenkutscher dieser "sanfte Hein¬
rich" und auch sonst nicht ohne Verdienst. Jeden Augenblick, den,er
seiner Pflicht auf der Straße abzumüßigen vermochte, widmete er dem
Dienste der Menschheit, indem er die schädlichsten Getränke vertilgte,
deren Genuß der Gesundheit Anderer zum Unheil' gedeihen konnte.
Sein tief aufgeackertes Antlitz und die Nöthe seiner kolbigen Nase leg-


schaffen. Hüte Dich vor Liebschaften - erinnerte der Vater auf seiner
Seite, wobei er die Stimme etwas mäßigte.

— Und vor Duellen — das versprich mir heilig, mein Sohn. Keine
Duelle! und so fahr' denn hin unter Gottes Schutz Und unsern besten
Wünschen", fügte die besorgte Mutter desto lauter von der andern hinzu.

Ich befand mich, wie erwähnt, zwischen Thür' und Angel. Mit
dem Kopfe tauchte ich bereits freiheitssehnsuchtsvoll in das Innere des
Wagens, während die bedrängte Seele sammt dem Rumpfe noch drau¬
ßen war und von den älterlichen Ermahnungen zurückgehalten ward.
Grade bei der Erwähnung der Duelle aber blickte ich zum ersten Male
mit Bewußtsein auf die Insassen des Wagens und fühlte meine Auf¬
merksamkeit plötzlich gefesselt durch ein Paar braune Augen und eine
lebendig blühende Miene voll der bittersten Ironie. Augen und Miene
saßen jedoch nicht vereinzelt auf dem Rückplatze der Kutsche, sondern
sie bildeten vielmehr den allerpassendsten Zusammenhang mit der kur¬
zen energischen Gestalt eines schnurrbärtigen jungen Mannes, der offen¬
bar seit Jahren schon und in der edelsten Form war, was ich über¬
morgen in Leipzig werden wollte: akademischer Bürger.

Ich weiß nicht, ob es Spott oder Mitleiden war, womit mich
der alte Student betrachtete, aber ich weiß, daß mich der öffentliche
Unterricht auf einmal so heiß beängstigte, daß ich mich mit einer ent¬
schiedenen Bewegung losriß und um jeden Preis den Platz zu gewin¬
nen suchte, der mir im Wagen frei gelassen worden war. Ein Rat¬
tenkönig freundschaftlich nach mir ausgestreckter Hände folgte der küh¬
nen That. Ich drückte eine jede der dargebotenen Rechten, aber die
meiner Mutter küßte ich und preßte sie an meine Wangen.

„Alles hat seine Zeit!" sagt ein Weiser des alten Testaments.
Auch ein Dresdner Lohnkutscher vermochte der Ewigkeit nicht für die
Dauer zu trotzen. Wir fuhren ab, worunter man sich die knarrende
Bewegung eines Lastwagens vorzustellen hat, in dessen Innern sich
eine Höhle für vier Passagiere in der Kutsche und zwei im Kabriolet
befand. Der „sanfte Heinrich", der die Pferde lenkte, saß in der
Schoßkelle. Es war ein alter Studentenkutscher dieser „sanfte Hein¬
rich" und auch sonst nicht ohne Verdienst. Jeden Augenblick, den,er
seiner Pflicht auf der Straße abzumüßigen vermochte, widmete er dem
Dienste der Menschheit, indem er die schädlichsten Getränke vertilgte,
deren Genuß der Gesundheit Anderer zum Unheil' gedeihen konnte.
Sein tief aufgeackertes Antlitz und die Nöthe seiner kolbigen Nase leg-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/316>, abgerufen am 23.07.2024.