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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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gnug des sittlichen und rechtlichen Lebens in der staatlichen Gesellschaft
zu erwarten.

2. Der Wirkungskreis der öffentlichen Schulen, sofern sie bloße
Unterrichtsanstalten sind, ist ein zu einseitiger und als solcher ein viel
zu beschränkter, um dem staatlichen Leben die rechten Früchte zu
tragen.

3. Von der nachhaltigen Wirkung des Schulunterrichts in einem
bestimmten kirchlichen Glaubensbekenntnisse auf das spätere Leben hegt
man unrichtige Vorstellungen und viel zu günstige Erwartungen, wel¬
che die Schulen beim besten Willen nicht zu erfüllen vermögen, weil
das Wissen ohne mit ihm verbundene, vielfach beobachtete und beur¬
theilte Uebung ein unfruchtbares bleibt/)

4. Die häusliche Erziehung wird nicht etwa blos durchschnittlich,
sondern vielmehr in der weit überwiegenden Zahl der Fälle, mit Ur-
kunde in der Erziehungskunst, mit Ungeschicke oder Unlust behandelt,
genügt daher den billigsten Anforderungen nicht, ja sie wirkt häufig
auf die gesunde Entwickelung des sittlichen und des rechtlichen Bewußt¬
seins verderblich ein und vertilgt sogar das wenige Gute, welches die
Schule noch stiftet und in ihrer jetzigen äußern Stellung stiften kann,
bald wieder, insofern die Kinder durch das augenscheinliche Beispiel, ja
durch offene Aufforderung der Aeltern zu Unsittlichkeiten und Gesetz¬
widrigkeiten verleitet werden.

5. Besondere Beachtung von Seiten des Statistikers, der über die
Wirksamkeit der Schulen für das staatliche Leben ein sichereres Urtheil,
als bisher gewöhnlich, fällen will, verdient der wichtige Umstand, daß
der Schulunterricht für den größern Theil der Jugend viel zu früh
abgebrochen wird und Fortbildungsschulen gegenwärtig noch eine große
Seltenheit sind; daß während der sittlich gefährlichsten Lebensjahre die
Jugend meist so gut wie gar nicht erzogen und für die Abwendung
der Gefahren nur Unzureichendes gethan wird; endlich, daß die höhern



*) Wenn eine Regierung in ihrem Lande an allen Kreuz- und Gabelwegcn
hölzerne oder steinerne Wegweiser und Meilenzeiger, auf allen Hügeln Hemm¬
schuhzeichen aussteckte und meinte, sie habe dadurch den öffentlichen Verkehr belebt,
den Handel gehoben u. s. w., so würde alle Welt über einen solchen Wahn lächeln.
Aber unsere Statistiker sind sehr ernsthaft und fern von aller Schalkheit, wenn sie
von den öffentlichen Unterrichtsanstalten ohne öffentliche Erziehung etwas gewagte
Schlüsse auf die Hebung des sittlichen und rechtlichen Bewußtseins im Wolke
machen.
Gr"nz"oder. IV. 1S"0. 38

gnug des sittlichen und rechtlichen Lebens in der staatlichen Gesellschaft
zu erwarten.

2. Der Wirkungskreis der öffentlichen Schulen, sofern sie bloße
Unterrichtsanstalten sind, ist ein zu einseitiger und als solcher ein viel
zu beschränkter, um dem staatlichen Leben die rechten Früchte zu
tragen.

3. Von der nachhaltigen Wirkung des Schulunterrichts in einem
bestimmten kirchlichen Glaubensbekenntnisse auf das spätere Leben hegt
man unrichtige Vorstellungen und viel zu günstige Erwartungen, wel¬
che die Schulen beim besten Willen nicht zu erfüllen vermögen, weil
das Wissen ohne mit ihm verbundene, vielfach beobachtete und beur¬
theilte Uebung ein unfruchtbares bleibt/)

4. Die häusliche Erziehung wird nicht etwa blos durchschnittlich,
sondern vielmehr in der weit überwiegenden Zahl der Fälle, mit Ur-
kunde in der Erziehungskunst, mit Ungeschicke oder Unlust behandelt,
genügt daher den billigsten Anforderungen nicht, ja sie wirkt häufig
auf die gesunde Entwickelung des sittlichen und des rechtlichen Bewußt¬
seins verderblich ein und vertilgt sogar das wenige Gute, welches die
Schule noch stiftet und in ihrer jetzigen äußern Stellung stiften kann,
bald wieder, insofern die Kinder durch das augenscheinliche Beispiel, ja
durch offene Aufforderung der Aeltern zu Unsittlichkeiten und Gesetz¬
widrigkeiten verleitet werden.

5. Besondere Beachtung von Seiten des Statistikers, der über die
Wirksamkeit der Schulen für das staatliche Leben ein sichereres Urtheil,
als bisher gewöhnlich, fällen will, verdient der wichtige Umstand, daß
der Schulunterricht für den größern Theil der Jugend viel zu früh
abgebrochen wird und Fortbildungsschulen gegenwärtig noch eine große
Seltenheit sind; daß während der sittlich gefährlichsten Lebensjahre die
Jugend meist so gut wie gar nicht erzogen und für die Abwendung
der Gefahren nur Unzureichendes gethan wird; endlich, daß die höhern



*) Wenn eine Regierung in ihrem Lande an allen Kreuz- und Gabelwegcn
hölzerne oder steinerne Wegweiser und Meilenzeiger, auf allen Hügeln Hemm¬
schuhzeichen aussteckte und meinte, sie habe dadurch den öffentlichen Verkehr belebt,
den Handel gehoben u. s. w., so würde alle Welt über einen solchen Wahn lächeln.
Aber unsere Statistiker sind sehr ernsthaft und fern von aller Schalkheit, wenn sie
von den öffentlichen Unterrichtsanstalten ohne öffentliche Erziehung etwas gewagte
Schlüsse auf die Hebung des sittlichen und rechtlichen Bewußtseins im Wolke
machen.
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[0281] gnug des sittlichen und rechtlichen Lebens in der staatlichen Gesellschaft zu erwarten. 2. Der Wirkungskreis der öffentlichen Schulen, sofern sie bloße Unterrichtsanstalten sind, ist ein zu einseitiger und als solcher ein viel zu beschränkter, um dem staatlichen Leben die rechten Früchte zu tragen. 3. Von der nachhaltigen Wirkung des Schulunterrichts in einem bestimmten kirchlichen Glaubensbekenntnisse auf das spätere Leben hegt man unrichtige Vorstellungen und viel zu günstige Erwartungen, wel¬ che die Schulen beim besten Willen nicht zu erfüllen vermögen, weil das Wissen ohne mit ihm verbundene, vielfach beobachtete und beur¬ theilte Uebung ein unfruchtbares bleibt/) 4. Die häusliche Erziehung wird nicht etwa blos durchschnittlich, sondern vielmehr in der weit überwiegenden Zahl der Fälle, mit Ur- kunde in der Erziehungskunst, mit Ungeschicke oder Unlust behandelt, genügt daher den billigsten Anforderungen nicht, ja sie wirkt häufig auf die gesunde Entwickelung des sittlichen und des rechtlichen Bewußt¬ seins verderblich ein und vertilgt sogar das wenige Gute, welches die Schule noch stiftet und in ihrer jetzigen äußern Stellung stiften kann, bald wieder, insofern die Kinder durch das augenscheinliche Beispiel, ja durch offene Aufforderung der Aeltern zu Unsittlichkeiten und Gesetz¬ widrigkeiten verleitet werden. 5. Besondere Beachtung von Seiten des Statistikers, der über die Wirksamkeit der Schulen für das staatliche Leben ein sichereres Urtheil, als bisher gewöhnlich, fällen will, verdient der wichtige Umstand, daß der Schulunterricht für den größern Theil der Jugend viel zu früh abgebrochen wird und Fortbildungsschulen gegenwärtig noch eine große Seltenheit sind; daß während der sittlich gefährlichsten Lebensjahre die Jugend meist so gut wie gar nicht erzogen und für die Abwendung der Gefahren nur Unzureichendes gethan wird; endlich, daß die höhern *) Wenn eine Regierung in ihrem Lande an allen Kreuz- und Gabelwegcn hölzerne oder steinerne Wegweiser und Meilenzeiger, auf allen Hügeln Hemm¬ schuhzeichen aussteckte und meinte, sie habe dadurch den öffentlichen Verkehr belebt, den Handel gehoben u. s. w., so würde alle Welt über einen solchen Wahn lächeln. Aber unsere Statistiker sind sehr ernsthaft und fern von aller Schalkheit, wenn sie von den öffentlichen Unterrichtsanstalten ohne öffentliche Erziehung etwas gewagte Schlüsse auf die Hebung des sittlichen und rechtlichen Bewußtseins im Wolke machen. Gr«nz»oder. IV. 1S«0. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/281>, abgerufen am 23.07.2024.