Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ansehen, begnügt sich mit einem halben, oft sogar, durch den Gegen¬
stand dazu gezwungen, mit keinem rechten Verständnisse des Gegen¬
standes und läßt auswendig lernen, was dem Schüler, von ihm nicht
gefaßt, nicht verstanden, für die Schulzeit wenigstens ein Fremdes
bleibt; denn als Knabe, als angehender Jüngling selbst noch befindet
er sich ja nicht auf der Höhe der Erkenntniß unserer Philosophen,
welche zwischen dem Wissen und dem Glauben haarscharf unterscheiden.

Wie schon Knaben in dieser Beziehung zu denken pflegen, mag
von vielen mir bekannten Beispielen eines darthun. Ich war vor
Kurzem unbeachteter Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Gymnasialfer-
taner, die Otio und Julius heiveu mögen, und theile eS der Haupt¬
sache nach mit, wie es in mei"em Gedächtnisse noch lebt, mit Ueber-
gehung der ärgsten Aeußerungen jener kleinen Freigeister, weil sie die
mildeste Censur unterdrücken würde und hier nicht ohne genügenden
Grund. Deshalb greife ich ihr lieber vor.

Otto. Hast dit schon die Gebote und die Artikel auswendig
gelernt?

Julius. Dazu habe ich gar keine Lust, denn ich verstehe wenig
davon und finde diese Geschichten sehr langweilig. Aber in der Schule
wird's wohl gehen) wir helfen einander ein.

Otto. Hör' mal! Vom Ehebrecher weiß uns der Lehrer doch
gar nichts Rechtes zu sagen. Er ging immer darum herum, wie die
Katze um den heißen Brei und sprach von ganz andern Dingen; es
muß hinter dem Ehebrecher was ganz Besonderes stecken, das er uns
nicht sagen will.

Julius. Ja, das ist wahr! -- Aber wenn ich nur erst erfah¬
ren hätte, was das heißt: "Empfangen vom heiligen Geiste" und:
"Niedergefahren zur Höllen".' Da blieb der Lehrer mit alter seiner
Gelehrsamkeit im Quarte stecken."

Otto. Und warum da steht: "Geboren von einer Jungfrau",
mag auch nicht Jeder wissen. Ich meine, es sollte heißen : "Von der
Frau Joseph."

Julius. So viel ist klar: Lateinisch und Rechnen versteht der
Lehrer, denn da sollen wir immer selbst denken z aber auf die Religion
und den Katechismus hat er sicherlich nicht ordentlich studirt.

Otto. Darum sagte er auch neulich, als wieder so ein Hoppaß
vorkam, wenn wir nur erst zum Pfarrer gingen, da würden wir Alles
gründlich erfahren.


Ansehen, begnügt sich mit einem halben, oft sogar, durch den Gegen¬
stand dazu gezwungen, mit keinem rechten Verständnisse des Gegen¬
standes und läßt auswendig lernen, was dem Schüler, von ihm nicht
gefaßt, nicht verstanden, für die Schulzeit wenigstens ein Fremdes
bleibt; denn als Knabe, als angehender Jüngling selbst noch befindet
er sich ja nicht auf der Höhe der Erkenntniß unserer Philosophen,
welche zwischen dem Wissen und dem Glauben haarscharf unterscheiden.

Wie schon Knaben in dieser Beziehung zu denken pflegen, mag
von vielen mir bekannten Beispielen eines darthun. Ich war vor
Kurzem unbeachteter Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Gymnasialfer-
taner, die Otio und Julius heiveu mögen, und theile eS der Haupt¬
sache nach mit, wie es in mei»em Gedächtnisse noch lebt, mit Ueber-
gehung der ärgsten Aeußerungen jener kleinen Freigeister, weil sie die
mildeste Censur unterdrücken würde und hier nicht ohne genügenden
Grund. Deshalb greife ich ihr lieber vor.

Otto. Hast dit schon die Gebote und die Artikel auswendig
gelernt?

Julius. Dazu habe ich gar keine Lust, denn ich verstehe wenig
davon und finde diese Geschichten sehr langweilig. Aber in der Schule
wird's wohl gehen) wir helfen einander ein.

Otto. Hör' mal! Vom Ehebrecher weiß uns der Lehrer doch
gar nichts Rechtes zu sagen. Er ging immer darum herum, wie die
Katze um den heißen Brei und sprach von ganz andern Dingen; es
muß hinter dem Ehebrecher was ganz Besonderes stecken, das er uns
nicht sagen will.

Julius. Ja, das ist wahr! — Aber wenn ich nur erst erfah¬
ren hätte, was das heißt: „Empfangen vom heiligen Geiste" und:
„Niedergefahren zur Höllen".' Da blieb der Lehrer mit alter seiner
Gelehrsamkeit im Quarte stecken."

Otto. Und warum da steht: „Geboren von einer Jungfrau",
mag auch nicht Jeder wissen. Ich meine, es sollte heißen : „Von der
Frau Joseph."

Julius. So viel ist klar: Lateinisch und Rechnen versteht der
Lehrer, denn da sollen wir immer selbst denken z aber auf die Religion
und den Katechismus hat er sicherlich nicht ordentlich studirt.

Otto. Darum sagte er auch neulich, als wieder so ein Hoppaß
vorkam, wenn wir nur erst zum Pfarrer gingen, da würden wir Alles
gründlich erfahren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183860"/>
          <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> Ansehen, begnügt sich mit einem halben, oft sogar, durch den Gegen¬<lb/>
stand dazu gezwungen, mit keinem rechten Verständnisse des Gegen¬<lb/>
standes und läßt auswendig lernen, was dem Schüler, von ihm nicht<lb/>
gefaßt, nicht verstanden, für die Schulzeit wenigstens ein Fremdes<lb/>
bleibt; denn als Knabe, als angehender Jüngling selbst noch befindet<lb/>
er sich ja nicht auf der Höhe der Erkenntniß unserer Philosophen,<lb/>
welche zwischen dem Wissen und dem Glauben haarscharf unterscheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> Wie schon Knaben in dieser Beziehung zu denken pflegen, mag<lb/>
von vielen mir bekannten Beispielen eines darthun. Ich war vor<lb/>
Kurzem unbeachteter Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Gymnasialfer-<lb/>
taner, die Otio und Julius heiveu mögen, und theile eS der Haupt¬<lb/>
sache nach mit, wie es in mei»em Gedächtnisse noch lebt, mit Ueber-<lb/>
gehung der ärgsten Aeußerungen jener kleinen Freigeister, weil sie die<lb/>
mildeste Censur unterdrücken würde und hier nicht ohne genügenden<lb/>
Grund.  Deshalb greife ich ihr lieber vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_767"> Otto. Hast dit schon die Gebote und die Artikel auswendig<lb/>
gelernt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_768"> Julius. Dazu habe ich gar keine Lust, denn ich verstehe wenig<lb/>
davon und finde diese Geschichten sehr langweilig. Aber in der Schule<lb/>
wird's wohl gehen) wir helfen einander ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_769"> Otto. Hör' mal! Vom Ehebrecher weiß uns der Lehrer doch<lb/>
gar nichts Rechtes zu sagen. Er ging immer darum herum, wie die<lb/>
Katze um den heißen Brei und sprach von ganz andern Dingen; es<lb/>
muß hinter dem Ehebrecher was ganz Besonderes stecken, das er uns<lb/>
nicht sagen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_770"> Julius. Ja, das ist wahr! &#x2014; Aber wenn ich nur erst erfah¬<lb/>
ren hätte, was das heißt: &#x201E;Empfangen vom heiligen Geiste" und:<lb/>
&#x201E;Niedergefahren zur Höllen".' Da blieb der Lehrer mit alter seiner<lb/>
Gelehrsamkeit im Quarte stecken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_771"> Otto. Und warum da steht: &#x201E;Geboren von einer Jungfrau",<lb/>
mag auch nicht Jeder wissen. Ich meine, es sollte heißen : &#x201E;Von der<lb/>
Frau Joseph."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_772"> Julius. So viel ist klar: Lateinisch und Rechnen versteht der<lb/>
Lehrer, denn da sollen wir immer selbst denken z aber auf die Religion<lb/>
und den Katechismus hat er sicherlich nicht ordentlich studirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_773"> Otto. Darum sagte er auch neulich, als wieder so ein Hoppaß<lb/>
vorkam, wenn wir nur erst zum Pfarrer gingen, da würden wir Alles<lb/>
gründlich erfahren.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Ansehen, begnügt sich mit einem halben, oft sogar, durch den Gegen¬ stand dazu gezwungen, mit keinem rechten Verständnisse des Gegen¬ standes und läßt auswendig lernen, was dem Schüler, von ihm nicht gefaßt, nicht verstanden, für die Schulzeit wenigstens ein Fremdes bleibt; denn als Knabe, als angehender Jüngling selbst noch befindet er sich ja nicht auf der Höhe der Erkenntniß unserer Philosophen, welche zwischen dem Wissen und dem Glauben haarscharf unterscheiden. Wie schon Knaben in dieser Beziehung zu denken pflegen, mag von vielen mir bekannten Beispielen eines darthun. Ich war vor Kurzem unbeachteter Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Gymnasialfer- taner, die Otio und Julius heiveu mögen, und theile eS der Haupt¬ sache nach mit, wie es in mei»em Gedächtnisse noch lebt, mit Ueber- gehung der ärgsten Aeußerungen jener kleinen Freigeister, weil sie die mildeste Censur unterdrücken würde und hier nicht ohne genügenden Grund. Deshalb greife ich ihr lieber vor. Otto. Hast dit schon die Gebote und die Artikel auswendig gelernt? Julius. Dazu habe ich gar keine Lust, denn ich verstehe wenig davon und finde diese Geschichten sehr langweilig. Aber in der Schule wird's wohl gehen) wir helfen einander ein. Otto. Hör' mal! Vom Ehebrecher weiß uns der Lehrer doch gar nichts Rechtes zu sagen. Er ging immer darum herum, wie die Katze um den heißen Brei und sprach von ganz andern Dingen; es muß hinter dem Ehebrecher was ganz Besonderes stecken, das er uns nicht sagen will. Julius. Ja, das ist wahr! — Aber wenn ich nur erst erfah¬ ren hätte, was das heißt: „Empfangen vom heiligen Geiste" und: „Niedergefahren zur Höllen".' Da blieb der Lehrer mit alter seiner Gelehrsamkeit im Quarte stecken." Otto. Und warum da steht: „Geboren von einer Jungfrau", mag auch nicht Jeder wissen. Ich meine, es sollte heißen : „Von der Frau Joseph." Julius. So viel ist klar: Lateinisch und Rechnen versteht der Lehrer, denn da sollen wir immer selbst denken z aber auf die Religion und den Katechismus hat er sicherlich nicht ordentlich studirt. Otto. Darum sagte er auch neulich, als wieder so ein Hoppaß vorkam, wenn wir nur erst zum Pfarrer gingen, da würden wir Alles gründlich erfahren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/278>, abgerufen am 23.07.2024.