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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schönen Häfen, der tüchtige Stamm von Seeleuten, welchen es in seinen
Küstenländern besitzt. Dazu kommt noch ein zweites, weit wichtigeres,
schon angedeutetes Motiv einer Allianz zwischen Frankreich und Oester¬
reich. Kein anderer Staat ist so sehr im Stande, besitzt so dringende
Aufforderung wie dieses, wenn die Katastrophe des Osmanenreichs
eintritt, für das junge Königreich Griechenland gegen den russischen
Autokraten zu streiten, und wenn ich nicht sehr irre, heischt das Oeste"
reichs wahres Interesse noch weit gebieterischer als Frankreichs Staats¬
vortheil. Aber noch aus einem andern Grunde ist die Allianz des
Letztern für Oesterreich von unendlichem Werthe. Dieses vermag seine
ganze ungetheilte Kraft gegen Rußland nur dann zu wenden, wenn
sein Rücken gedeckt, wenn es Italiens sicher ist, wenn es seine Groß"
Polizeimeister-Stelle dort zeitweilig mit voller Beruhigung niederlegen
darf. Und nur Frankreich kann ihm diese Sicherheit gewähren und
muß sie alsdann in seinem eignen Interesse ihm gewähren, und das
bietet immer die verlässtgste Bürgschaft, damit Oesterreich Griechenlands
mit vollem Nachdrucke sich annehmen, dem Küstenstaate tüchtige Wichse
versetzen könne. Wenn das Wiener Cabinet seinen wahren Vortheil
versteht, wird eS darum auch, beiläufig bemerkt, die reformatorischen
Bemühungen des jetzigen Papstes nicht durchkreuzen und erschweren,
sondern im Einverständnisse mit Frankreich unterstützen lind fördern.
Nur durch Reform, durch Umbildung unerträglicher, unhaltbarer Zu¬
stände wird die fortwährend bedrohte Ruhe in jener unglücklichen Halb¬
insel dauernd hergestellt, nur durch Reformen hier die öffentliche Meinung
mit Oesterreich versöhnt, nur durch Reformen kann der Revolution vor¬
gebeugt werden. Ich dächte, das hätte man erst jüngst in Galizien so
eindringlich erfahren, daß man das in Wien doch endlich begreif." sollte.
Ich komme jetzt auf die Gründe, die auch dem übrigen Deutschsand,
Preußen und den Zollvereinöfiaaten, eine Allianz mit Frankreich ge¬
bieten.

Daß Preußen wie Deutschland im Allgemeinen keinen grimmigem,
keinen furchtbarem Feind besitzt, als den russischen Autokraten, ist zwar
zur Genüge bekannt, eS dürfte jedoch nicht überflüssig sein, die Motive
dieser Feindschaft etwas näher zu betrachten. Der Czar fürchtet näm¬
lich den trotz aller hermetischen Absperrung, zwar mühselig und lang¬
sam, aber sicher sich Bahn brechenden Einfluß des germanischen Geistes
auf die inneren Verhältnisse seines Stacues, des Geistes, dessen nicht
so augenfällige, stille und tiefgreifende, der des rastlos fallenden Wasser¬
tropfens, der auch den Stein aushöhlt, vergleichbare Einwirkung allein


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schönen Häfen, der tüchtige Stamm von Seeleuten, welchen es in seinen
Küstenländern besitzt. Dazu kommt noch ein zweites, weit wichtigeres,
schon angedeutetes Motiv einer Allianz zwischen Frankreich und Oester¬
reich. Kein anderer Staat ist so sehr im Stande, besitzt so dringende
Aufforderung wie dieses, wenn die Katastrophe des Osmanenreichs
eintritt, für das junge Königreich Griechenland gegen den russischen
Autokraten zu streiten, und wenn ich nicht sehr irre, heischt das Oeste»
reichs wahres Interesse noch weit gebieterischer als Frankreichs Staats¬
vortheil. Aber noch aus einem andern Grunde ist die Allianz des
Letztern für Oesterreich von unendlichem Werthe. Dieses vermag seine
ganze ungetheilte Kraft gegen Rußland nur dann zu wenden, wenn
sein Rücken gedeckt, wenn es Italiens sicher ist, wenn es seine Groß«
Polizeimeister-Stelle dort zeitweilig mit voller Beruhigung niederlegen
darf. Und nur Frankreich kann ihm diese Sicherheit gewähren und
muß sie alsdann in seinem eignen Interesse ihm gewähren, und das
bietet immer die verlässtgste Bürgschaft, damit Oesterreich Griechenlands
mit vollem Nachdrucke sich annehmen, dem Küstenstaate tüchtige Wichse
versetzen könne. Wenn das Wiener Cabinet seinen wahren Vortheil
versteht, wird eS darum auch, beiläufig bemerkt, die reformatorischen
Bemühungen des jetzigen Papstes nicht durchkreuzen und erschweren,
sondern im Einverständnisse mit Frankreich unterstützen lind fördern.
Nur durch Reform, durch Umbildung unerträglicher, unhaltbarer Zu¬
stände wird die fortwährend bedrohte Ruhe in jener unglücklichen Halb¬
insel dauernd hergestellt, nur durch Reformen hier die öffentliche Meinung
mit Oesterreich versöhnt, nur durch Reformen kann der Revolution vor¬
gebeugt werden. Ich dächte, das hätte man erst jüngst in Galizien so
eindringlich erfahren, daß man das in Wien doch endlich begreif.» sollte.
Ich komme jetzt auf die Gründe, die auch dem übrigen Deutschsand,
Preußen und den Zollvereinöfiaaten, eine Allianz mit Frankreich ge¬
bieten.

Daß Preußen wie Deutschland im Allgemeinen keinen grimmigem,
keinen furchtbarem Feind besitzt, als den russischen Autokraten, ist zwar
zur Genüge bekannt, eS dürfte jedoch nicht überflüssig sein, die Motive
dieser Feindschaft etwas näher zu betrachten. Der Czar fürchtet näm¬
lich den trotz aller hermetischen Absperrung, zwar mühselig und lang¬
sam, aber sicher sich Bahn brechenden Einfluß des germanischen Geistes
auf die inneren Verhältnisse seines Stacues, des Geistes, dessen nicht
so augenfällige, stille und tiefgreifende, der des rastlos fallenden Wasser¬
tropfens, der auch den Stein aushöhlt, vergleichbare Einwirkung allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/255>, abgerufen am 23.07.2024.