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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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zugeben, dürfte es Gnade finden vor den Augen des Czaren. Aber welches
französische Ministerium möchte wohl so verblendet sein, Griechenland
mit seiner vortheilhaften Lage, mit seinen schönen Seehäfen im Mittel¬
meere, mit seinen tüchttgen Seeleuten der russischen Clemenz zu über¬
lassen? Wenn man erwägt, daß aus den hier angedeuteten Gründen
Master John Bull von der Anwesenheit Griechenlands in der europäi¬
schen Staatenfamilie, von dem ihm unentbehrlichen Protektorate Frank¬
reichs über dasselbe sich gar wenig erbaut fühlen kann; wenn man
sich erinnert, daß besagter Master eben darum die wohlwollenden Be¬
mühungen Rußlands, Griechenland zu verwirren und zu zerrütten,
unter der Hand nach Kräften unterstützt hat und zweifelsohne fort¬
während unterstützt, so wird man unschwer erkennen, daß hier noch ein
bei der dereinstigen Lösung der orientalischen Frage sehr wesentlicher
Punkt vorhanden ist, in welchem die Interessen Rußlands und Gro߬
britanniens ebenso sehr Hand in Hand, als die Rußlands und Frank¬
reichs auseinander gehen.

Aber auch für dieses Letztere hat eine Allianz mit Rußland, will
mich bedünken, jetzt lange nicht mehr den Werth, den sie früher gehabt
haben mochte. Jene, die gegenwärtig an eine solche wieder glauben,
berufen sich auf das, was kurz vor der Julirevolution zwischen Ru߬
land und Frankreich abgekartet worden. Aber dabei wird, scheint mir,
nur eine Kleinigkeit übersehen. Damals besaß Frankreich noch nicht
Algier, welche Erwerbung seiner auswärtigen Politik eine durchaus
veränderte Richtung gegeben hat und geben mußte. Nach dem Mittel-
meere sind jetzt vorzüglich seine Blicke gerichtet, und von welch großem
Nutzen könnte ihm hier die Freundschaft Rußlands sein? Das Einzige,
was ihm diese zu bieten vermöchte, müßte vor Allem, wie eben gezeigt
worden, mit einem so großen Opfer grade im Mittelmeere erkauft wer¬
den, daß auch, ganz abgesehen von den unermeßlichen Anstrengungen,
die Vonnöthen wären, jenes Einzige zu erringen und, was noch un¬
gleich schwieriger, zu behaupten, mit Recht gefragt werden dürfen: ob
bei dem Handel der Verlust nicht großer als der Gewinn wäre. Und
wozu ihn eingehen, da es für Frankreich eine andere, ihm weit vor¬
theilhaftere, mit keinem Opfer verknüpfte Allianz gibt? Es ist die mit
Oesterreich. Was die innige Verbindung mit Spanien dem französischen
Staate -- wahrlich nicht allein der Dynastie Orleans! -- so werth¬
voll macht, läßt ihn auch die mit Oesterreich wünschen, die jetzt schon
nicht unbedeutende und mit der steigenden Entwicklung seiner Seemacht
noch weit bedeutender werdende Stellung desselben im Mittelmeere, seine


zugeben, dürfte es Gnade finden vor den Augen des Czaren. Aber welches
französische Ministerium möchte wohl so verblendet sein, Griechenland
mit seiner vortheilhaften Lage, mit seinen schönen Seehäfen im Mittel¬
meere, mit seinen tüchttgen Seeleuten der russischen Clemenz zu über¬
lassen? Wenn man erwägt, daß aus den hier angedeuteten Gründen
Master John Bull von der Anwesenheit Griechenlands in der europäi¬
schen Staatenfamilie, von dem ihm unentbehrlichen Protektorate Frank¬
reichs über dasselbe sich gar wenig erbaut fühlen kann; wenn man
sich erinnert, daß besagter Master eben darum die wohlwollenden Be¬
mühungen Rußlands, Griechenland zu verwirren und zu zerrütten,
unter der Hand nach Kräften unterstützt hat und zweifelsohne fort¬
während unterstützt, so wird man unschwer erkennen, daß hier noch ein
bei der dereinstigen Lösung der orientalischen Frage sehr wesentlicher
Punkt vorhanden ist, in welchem die Interessen Rußlands und Gro߬
britanniens ebenso sehr Hand in Hand, als die Rußlands und Frank¬
reichs auseinander gehen.

Aber auch für dieses Letztere hat eine Allianz mit Rußland, will
mich bedünken, jetzt lange nicht mehr den Werth, den sie früher gehabt
haben mochte. Jene, die gegenwärtig an eine solche wieder glauben,
berufen sich auf das, was kurz vor der Julirevolution zwischen Ru߬
land und Frankreich abgekartet worden. Aber dabei wird, scheint mir,
nur eine Kleinigkeit übersehen. Damals besaß Frankreich noch nicht
Algier, welche Erwerbung seiner auswärtigen Politik eine durchaus
veränderte Richtung gegeben hat und geben mußte. Nach dem Mittel-
meere sind jetzt vorzüglich seine Blicke gerichtet, und von welch großem
Nutzen könnte ihm hier die Freundschaft Rußlands sein? Das Einzige,
was ihm diese zu bieten vermöchte, müßte vor Allem, wie eben gezeigt
worden, mit einem so großen Opfer grade im Mittelmeere erkauft wer¬
den, daß auch, ganz abgesehen von den unermeßlichen Anstrengungen,
die Vonnöthen wären, jenes Einzige zu erringen und, was noch un¬
gleich schwieriger, zu behaupten, mit Recht gefragt werden dürfen: ob
bei dem Handel der Verlust nicht großer als der Gewinn wäre. Und
wozu ihn eingehen, da es für Frankreich eine andere, ihm weit vor¬
theilhaftere, mit keinem Opfer verknüpfte Allianz gibt? Es ist die mit
Oesterreich. Was die innige Verbindung mit Spanien dem französischen
Staate — wahrlich nicht allein der Dynastie Orleans! — so werth¬
voll macht, läßt ihn auch die mit Oesterreich wünschen, die jetzt schon
nicht unbedeutende und mit der steigenden Entwicklung seiner Seemacht
noch weit bedeutender werdende Stellung desselben im Mittelmeere, seine


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[0254] zugeben, dürfte es Gnade finden vor den Augen des Czaren. Aber welches französische Ministerium möchte wohl so verblendet sein, Griechenland mit seiner vortheilhaften Lage, mit seinen schönen Seehäfen im Mittel¬ meere, mit seinen tüchttgen Seeleuten der russischen Clemenz zu über¬ lassen? Wenn man erwägt, daß aus den hier angedeuteten Gründen Master John Bull von der Anwesenheit Griechenlands in der europäi¬ schen Staatenfamilie, von dem ihm unentbehrlichen Protektorate Frank¬ reichs über dasselbe sich gar wenig erbaut fühlen kann; wenn man sich erinnert, daß besagter Master eben darum die wohlwollenden Be¬ mühungen Rußlands, Griechenland zu verwirren und zu zerrütten, unter der Hand nach Kräften unterstützt hat und zweifelsohne fort¬ während unterstützt, so wird man unschwer erkennen, daß hier noch ein bei der dereinstigen Lösung der orientalischen Frage sehr wesentlicher Punkt vorhanden ist, in welchem die Interessen Rußlands und Gro߬ britanniens ebenso sehr Hand in Hand, als die Rußlands und Frank¬ reichs auseinander gehen. Aber auch für dieses Letztere hat eine Allianz mit Rußland, will mich bedünken, jetzt lange nicht mehr den Werth, den sie früher gehabt haben mochte. Jene, die gegenwärtig an eine solche wieder glauben, berufen sich auf das, was kurz vor der Julirevolution zwischen Ru߬ land und Frankreich abgekartet worden. Aber dabei wird, scheint mir, nur eine Kleinigkeit übersehen. Damals besaß Frankreich noch nicht Algier, welche Erwerbung seiner auswärtigen Politik eine durchaus veränderte Richtung gegeben hat und geben mußte. Nach dem Mittel- meere sind jetzt vorzüglich seine Blicke gerichtet, und von welch großem Nutzen könnte ihm hier die Freundschaft Rußlands sein? Das Einzige, was ihm diese zu bieten vermöchte, müßte vor Allem, wie eben gezeigt worden, mit einem so großen Opfer grade im Mittelmeere erkauft wer¬ den, daß auch, ganz abgesehen von den unermeßlichen Anstrengungen, die Vonnöthen wären, jenes Einzige zu erringen und, was noch un¬ gleich schwieriger, zu behaupten, mit Recht gefragt werden dürfen: ob bei dem Handel der Verlust nicht großer als der Gewinn wäre. Und wozu ihn eingehen, da es für Frankreich eine andere, ihm weit vor¬ theilhaftere, mit keinem Opfer verknüpfte Allianz gibt? Es ist die mit Oesterreich. Was die innige Verbindung mit Spanien dem französischen Staate — wahrlich nicht allein der Dynastie Orleans! — so werth¬ voll macht, läßt ihn auch die mit Oesterreich wünschen, die jetzt schon nicht unbedeutende und mit der steigenden Entwicklung seiner Seemacht noch weit bedeutender werdende Stellung desselben im Mittelmeere, seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/254>, abgerufen am 23.07.2024.