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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Staatsraison das möglichst baldige Zustand ebur gen einer ""toute vor-
"Ziulv zwischen diesen beiden Ländern fordern.

Es ist die orientalische, diese am Znkunftshimmel Europens
gleich einer schwarzen Wetterwolke hängende Frage, die Deutschlands
und Frankreichs innige Vereinigung um so gebieterischer heischt, da ihre
Lösung vielleicht näher sein dürfte, als Viele glauben. Sie ist unstrei¬
tig die wichtigste, deren Erledigung der Weisheit der Cabinette noch
vorbehalten ist.

Im Südosten Europas wankt das alterschwache Reich der Os-
manli unaufhaltsam dem Grabe entgegen, und mit welcher Anstren¬
gung die Mehrzahl der Großmächte sein klägliches Scheinleben auch
zu fristen sich bemüht, es wird ihr nimmer gelingen, die Fermente der
Auflösung auch nnr zu schwächen, die in dem entnervten Körper wüh¬
len und durch Rußlands Tücke fortwährend neue Nahrung erhalte",.
Es ist hier keine andere Lösung möglich, es muß getheilt werden, und
diese Theilung wäre schon längst erfolgt, wenn sie nicht so unerme߬
liche Schwierigkeiten böte. Vergegenwärtigen wir uns zuvorderst, worin
diese Schwierigkeiten bestehen.

Ohne Zweifel darin, daß von den bislang alliirten beiden der
vier hier zunächst betheiligten Großmächte die eine genau dieselben
Beutestücke will, wollen muß, welche die andere begehrt und dieser nicht
lassen darf, ohne ihren theuersten Interessen tödtliche Wunden zu schla¬
gen. Zuvörderst: was will England? Aegypten, Syrien und ein Paar
Jnselchen im Mittelmeere; das ist so augenfällig, daß es gar keiner
weitern Ausführung bedarf. Von der bekannten Genügsamkeit des
meerbeherrschenden Albions steht zu erwarten, daß es sich einige Stücke
von Kleinasien und Arabien auch noch gefallen läßt. Ist aber das
mit ihm seither verbündete Frankreich nicht durch die Staatsraison ge¬
zwungen, dasselbe Aegypten und Syrien ebenfalls zu begehren; kann
es diese Länder der Meereökönigin überlassen? Gewiß nicht! Wenn
das schwächliche Geschöpf, die vnd"ut" nur<lialt>, auch einer ungleich
kräftigern Constitution genossen und nicht schon jetzt an der spanischen
Heirathöfrage den Hals gebrochen hätte, diese totale Unvereinbarkeit
der Interessen Englands und Frankreichs in dieser Frage müßte ihm
über kurz oder lang ganz unfehlbar das Lebenslicht ausgeblasen haben.

Ganz dasselbe ist mit den beiden andern, seither alliirten Gro߬
mächten, mit Rußland und Oesterreich, der Fall. Was will Rußland?
Constantinopel, den Bosporus, die europäischen Provinzen der Türkei.
Ja, die will Oesterreich, wenigstens großentheils, aber auch und wenn


Staatsraison das möglichst baldige Zustand ebur gen einer «»toute vor-
«Ziulv zwischen diesen beiden Ländern fordern.

Es ist die orientalische, diese am Znkunftshimmel Europens
gleich einer schwarzen Wetterwolke hängende Frage, die Deutschlands
und Frankreichs innige Vereinigung um so gebieterischer heischt, da ihre
Lösung vielleicht näher sein dürfte, als Viele glauben. Sie ist unstrei¬
tig die wichtigste, deren Erledigung der Weisheit der Cabinette noch
vorbehalten ist.

Im Südosten Europas wankt das alterschwache Reich der Os-
manli unaufhaltsam dem Grabe entgegen, und mit welcher Anstren¬
gung die Mehrzahl der Großmächte sein klägliches Scheinleben auch
zu fristen sich bemüht, es wird ihr nimmer gelingen, die Fermente der
Auflösung auch nnr zu schwächen, die in dem entnervten Körper wüh¬
len und durch Rußlands Tücke fortwährend neue Nahrung erhalte»,.
Es ist hier keine andere Lösung möglich, es muß getheilt werden, und
diese Theilung wäre schon längst erfolgt, wenn sie nicht so unerme߬
liche Schwierigkeiten böte. Vergegenwärtigen wir uns zuvorderst, worin
diese Schwierigkeiten bestehen.

Ohne Zweifel darin, daß von den bislang alliirten beiden der
vier hier zunächst betheiligten Großmächte die eine genau dieselben
Beutestücke will, wollen muß, welche die andere begehrt und dieser nicht
lassen darf, ohne ihren theuersten Interessen tödtliche Wunden zu schla¬
gen. Zuvörderst: was will England? Aegypten, Syrien und ein Paar
Jnselchen im Mittelmeere; das ist so augenfällig, daß es gar keiner
weitern Ausführung bedarf. Von der bekannten Genügsamkeit des
meerbeherrschenden Albions steht zu erwarten, daß es sich einige Stücke
von Kleinasien und Arabien auch noch gefallen läßt. Ist aber das
mit ihm seither verbündete Frankreich nicht durch die Staatsraison ge¬
zwungen, dasselbe Aegypten und Syrien ebenfalls zu begehren; kann
es diese Länder der Meereökönigin überlassen? Gewiß nicht! Wenn
das schwächliche Geschöpf, die vnd«ut« nur<lialt>, auch einer ungleich
kräftigern Constitution genossen und nicht schon jetzt an der spanischen
Heirathöfrage den Hals gebrochen hätte, diese totale Unvereinbarkeit
der Interessen Englands und Frankreichs in dieser Frage müßte ihm
über kurz oder lang ganz unfehlbar das Lebenslicht ausgeblasen haben.

Ganz dasselbe ist mit den beiden andern, seither alliirten Gro߬
mächten, mit Rußland und Oesterreich, der Fall. Was will Rußland?
Constantinopel, den Bosporus, die europäischen Provinzen der Türkei.
Ja, die will Oesterreich, wenigstens großentheils, aber auch und wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/250>, abgerufen am 26.08.2024.