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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ist, die uns allerdings mit Augen ansehen, bei denen Einem nicht be¬
haglich werden kann. Wir Deutschen hier in Galizien dürfen uns
rühmen, großmüthiger als die Poleii zu sein, denn während diese uns
zwar mit Stumpf und Stil ausrotten mochten, ist in unserer Mitte
die aufrichtigste Theilnahme für das Schicksal dieser unglücklichen Na¬
tion rege, und wäre nur irgend eine Aussicht da, daß ihr geholfen
werden könnte, unjere besten Wünsche sollten sie begleiten. Aber diese
Aussicht war eine Utopie gleich von Anfang dieser unglückseligen Ver¬
schwörung und ist in gegenwärtigem Augenblicke ein Wahnsinn. Stunde
Galizien jetzt unter eigner vollständig unabhängiger Nationalregierung,
es hätte kaum ein anderes Mittel zur Herstellung der Ordnung in sei¬
nem zerfleischten Innern als die Intervention einer nachbarlichen Macht
anzusuchen, oder Städte und Güter unter der Brandfackel und unter
dem Mordbeil fallen und vernichtet zu sehen. Um wie vielmehr ist es
Pflicht der bestehenden Regierung, dem Gesetze Achtung, dem Leben
und Eigenthum Schutz zu sichern. Das Standrecht wird hoffentlich
wenig Opfer finden, da die Proklamation desselben einen großen Ein¬
druck hervorgebracht hat und viele Conspiranten von ihren Phantas-
magorien und noch mehr Bauern von ihren Naubplänen abschrecken
wird; aber selbst wenn ein Paar hundert Köpfe von Neuem fallen
mußten unter der Wucht des Ausnahmsgcsetzes in der verzweifelten
Lage, in der das Land sich befindet, ist Sicherheit und Ordnung da¬
durch nicht allzutheuer erlauft.

Eine andere Frage aber ist: Wozu wird die Negierung die Zeit
benutzen, in welcher das Land unter solchem Ausnahmsgesetze steht?
Welche Saal wird sie ausstreuen in dieser großen Pause? Wozu hat
sie sich nach Monaten endlich entschlossen, um die Rückkehr der frü¬
hern Zustände und ein abermaliges Durchbrechen des Dammes zu
verhüten? Denn jetzt oder nie! Dies sagt sich hier Jedermann, Freund
wie Feind der Regierung. Was in Wien bei dem letzten Aufenthalte
des Grasen Stadion daselbst in der Staats-Conferenz beschlossen wurde,
oder ob überhaupt ein entscheidender Beschluß bereits gefaßt wurde,
darüber herrscht allenthalben das tiefste Geheimniß. Wohl aber bin
ich im Stande, Ihnen die Beschlüsse mitzutheilen, welche eine eigens
dazu ernannte Hofcommission zur Reorganisation sämmtlicher galizi-
scher Zustände bereits im Juli der höchsten Entscheidung vorgelegt hat
und die Grundsätze, von denen man dabei ausgegangen ist. Sie dür¬
fen diese Mittheilung als authentisch betrachten, und es steht zu hoffen,
daß ein guter Theil jener Commissionsbeschlüsse binnen Kurzem die


ist, die uns allerdings mit Augen ansehen, bei denen Einem nicht be¬
haglich werden kann. Wir Deutschen hier in Galizien dürfen uns
rühmen, großmüthiger als die Poleii zu sein, denn während diese uns
zwar mit Stumpf und Stil ausrotten mochten, ist in unserer Mitte
die aufrichtigste Theilnahme für das Schicksal dieser unglücklichen Na¬
tion rege, und wäre nur irgend eine Aussicht da, daß ihr geholfen
werden könnte, unjere besten Wünsche sollten sie begleiten. Aber diese
Aussicht war eine Utopie gleich von Anfang dieser unglückseligen Ver¬
schwörung und ist in gegenwärtigem Augenblicke ein Wahnsinn. Stunde
Galizien jetzt unter eigner vollständig unabhängiger Nationalregierung,
es hätte kaum ein anderes Mittel zur Herstellung der Ordnung in sei¬
nem zerfleischten Innern als die Intervention einer nachbarlichen Macht
anzusuchen, oder Städte und Güter unter der Brandfackel und unter
dem Mordbeil fallen und vernichtet zu sehen. Um wie vielmehr ist es
Pflicht der bestehenden Regierung, dem Gesetze Achtung, dem Leben
und Eigenthum Schutz zu sichern. Das Standrecht wird hoffentlich
wenig Opfer finden, da die Proklamation desselben einen großen Ein¬
druck hervorgebracht hat und viele Conspiranten von ihren Phantas-
magorien und noch mehr Bauern von ihren Naubplänen abschrecken
wird; aber selbst wenn ein Paar hundert Köpfe von Neuem fallen
mußten unter der Wucht des Ausnahmsgcsetzes in der verzweifelten
Lage, in der das Land sich befindet, ist Sicherheit und Ordnung da¬
durch nicht allzutheuer erlauft.

Eine andere Frage aber ist: Wozu wird die Negierung die Zeit
benutzen, in welcher das Land unter solchem Ausnahmsgesetze steht?
Welche Saal wird sie ausstreuen in dieser großen Pause? Wozu hat
sie sich nach Monaten endlich entschlossen, um die Rückkehr der frü¬
hern Zustände und ein abermaliges Durchbrechen des Dammes zu
verhüten? Denn jetzt oder nie! Dies sagt sich hier Jedermann, Freund
wie Feind der Regierung. Was in Wien bei dem letzten Aufenthalte
des Grasen Stadion daselbst in der Staats-Conferenz beschlossen wurde,
oder ob überhaupt ein entscheidender Beschluß bereits gefaßt wurde,
darüber herrscht allenthalben das tiefste Geheimniß. Wohl aber bin
ich im Stande, Ihnen die Beschlüsse mitzutheilen, welche eine eigens
dazu ernannte Hofcommission zur Reorganisation sämmtlicher galizi-
scher Zustände bereits im Juli der höchsten Entscheidung vorgelegt hat
und die Grundsätze, von denen man dabei ausgegangen ist. Sie dür¬
fen diese Mittheilung als authentisch betrachten, und es steht zu hoffen,
daß ein guter Theil jener Commissionsbeschlüsse binnen Kurzem die


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[0241] ist, die uns allerdings mit Augen ansehen, bei denen Einem nicht be¬ haglich werden kann. Wir Deutschen hier in Galizien dürfen uns rühmen, großmüthiger als die Poleii zu sein, denn während diese uns zwar mit Stumpf und Stil ausrotten mochten, ist in unserer Mitte die aufrichtigste Theilnahme für das Schicksal dieser unglücklichen Na¬ tion rege, und wäre nur irgend eine Aussicht da, daß ihr geholfen werden könnte, unjere besten Wünsche sollten sie begleiten. Aber diese Aussicht war eine Utopie gleich von Anfang dieser unglückseligen Ver¬ schwörung und ist in gegenwärtigem Augenblicke ein Wahnsinn. Stunde Galizien jetzt unter eigner vollständig unabhängiger Nationalregierung, es hätte kaum ein anderes Mittel zur Herstellung der Ordnung in sei¬ nem zerfleischten Innern als die Intervention einer nachbarlichen Macht anzusuchen, oder Städte und Güter unter der Brandfackel und unter dem Mordbeil fallen und vernichtet zu sehen. Um wie vielmehr ist es Pflicht der bestehenden Regierung, dem Gesetze Achtung, dem Leben und Eigenthum Schutz zu sichern. Das Standrecht wird hoffentlich wenig Opfer finden, da die Proklamation desselben einen großen Ein¬ druck hervorgebracht hat und viele Conspiranten von ihren Phantas- magorien und noch mehr Bauern von ihren Naubplänen abschrecken wird; aber selbst wenn ein Paar hundert Köpfe von Neuem fallen mußten unter der Wucht des Ausnahmsgcsetzes in der verzweifelten Lage, in der das Land sich befindet, ist Sicherheit und Ordnung da¬ durch nicht allzutheuer erlauft. Eine andere Frage aber ist: Wozu wird die Negierung die Zeit benutzen, in welcher das Land unter solchem Ausnahmsgesetze steht? Welche Saal wird sie ausstreuen in dieser großen Pause? Wozu hat sie sich nach Monaten endlich entschlossen, um die Rückkehr der frü¬ hern Zustände und ein abermaliges Durchbrechen des Dammes zu verhüten? Denn jetzt oder nie! Dies sagt sich hier Jedermann, Freund wie Feind der Regierung. Was in Wien bei dem letzten Aufenthalte des Grasen Stadion daselbst in der Staats-Conferenz beschlossen wurde, oder ob überhaupt ein entscheidender Beschluß bereits gefaßt wurde, darüber herrscht allenthalben das tiefste Geheimniß. Wohl aber bin ich im Stande, Ihnen die Beschlüsse mitzutheilen, welche eine eigens dazu ernannte Hofcommission zur Reorganisation sämmtlicher galizi- scher Zustände bereits im Juli der höchsten Entscheidung vorgelegt hat und die Grundsätze, von denen man dabei ausgegangen ist. Sie dür¬ fen diese Mittheilung als authentisch betrachten, und es steht zu hoffen, daß ein guter Theil jener Commissionsbeschlüsse binnen Kurzem die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/241>, abgerufen am 26.08.2024.