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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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thätig ist. Die Regierung hat nun freilich bereits seit einiger Zeit, eben
weil sie die Unzweckmäßigkeit der großen öffentlichen Anstalt einsah, die
Bewilligung zu mehreren Privat-Verpflegungsanstalten für Irrsinnige
gegeben und es befindet sich auch eine solche recht gut eingerichtete
in der Nahe der Stadt, aber leider ist damit noch nicht die Nothwendig¬
keit eines Anbaues und einer Vergrößerung der Staatsanstalt weggefallen.
Es ist eine Appellation der Humanität an die Regierung, wenn man sie
zum kräftigen, raschen Einschreiten auffordert.

Vor einigen Tagen ist der 71 Jahre alte Peter von Boor, der
wegen Banknotenverfalschung verurtheilt war, im Zuchthause gestorben.
Er soll daselbst mit Härte behandelt worden sein und es circuliren
in dieser Hinsicht Gerüchte, wobei ein ziemlich hochgestellter Mann sehr
compromittirt erscheint, und welche einen Beitrag zu den Al^stvrvs et"
Vienne geben könnten. Ein hoher Beamter der Nationalbank, erzählt
man -- habe seinen Verwandten bei der Bank zu placiren gesucht,
und es fand sich um so leichter eine Gelegenheit, als dieser sich mit
der Anfertigung einer neuen Art von Banknotenpapier beschäftigte,
welche man dann dem Staate vorlegen wollte. Schon die wahrend der
Untersuchung von Boor hin und wieder gemachten Aeußerungen wur¬
den bestens benutzt, aber als eine Papierprobe fertig war, begab sich je¬
ner hohe Beamte zu Boor in's Gefängniß, legte ihm die Proben vor
und fragte ihn um seine Meinung. Boor sah das Formular an und
erklärte, binnen zwei Tagen es nachmachen zu wollen. Nun versprach
jener Beamte dem Boor nicht allein mehr Freiheit, sondern sogar einen
Strafnachlaß zu erwirken, wenn er ihn in seine Geheimnisse einweihen
wolle. Boor, im Vertrauen auf das Wort dieses Mannes, that es und
kaum war dieser im Besitze der Geheimnisse, welche er nun dazu benutzte,
um sie als von seinem Verwandten erfunden auszugeben und diesem die
Stelle zu sichern, als Boor strenger und schärfer als bisher gehalten
wurde und auch in der That nicht lange im Gefängnisse lebte. Man
erzählt sich nun die vorliegende Geschichte mit verschiedenen Varianten
und Ansätzen und wie bei allen Gerüchten solcher Art, wo die Phantasie
freien Spielraum hat, ist wohl kaum der zehnte Theil, ja vielleicht das
Ganze unwahr. Nichts desto weniger kann es nicht schaden, wenn man
höhern Orts die Volksgerüchte erfährt. Vielleicht dürften Nachforschun¬
gen nicht überflüssig sein. Die Demoralisation ist hier wie überall im
Steigen. Nahrungslosigkeit und Theurung häufen sich auf eine fürch¬
terliche Weise, man merkt es nicht, daß in demselben Maße Ver¬
gnügungssucht und Verschwendung abnehmen; aber bezeichnend ist es,
daß vor wenigen Tagen an einem Nachmittage 14 Kaufleute sich insol¬
vent erklärten, eS ist bezeichnend, daß dem Criminalgerichte über hundert
Wechselverfälschungen jetzt vorliegen, bezeichnend aber auch, daß so eine Menge
Quartiere hier frei stehen. Es ist dieses ein Beweis, daß der Zudrang nach
Wien abgenommen, weil die Ernährungsschwierigkeit hier viel größer geworden.
Hat man doch vor Kurzem eine förmlich organisirte Diebesbande entdeckt,
meist aus Burschen von 8 -- 12 Jahren bestehend. Das sind traurige
Aspecten für den Winter und für die Zukunft unserer Bevölkerung.,


thätig ist. Die Regierung hat nun freilich bereits seit einiger Zeit, eben
weil sie die Unzweckmäßigkeit der großen öffentlichen Anstalt einsah, die
Bewilligung zu mehreren Privat-Verpflegungsanstalten für Irrsinnige
gegeben und es befindet sich auch eine solche recht gut eingerichtete
in der Nahe der Stadt, aber leider ist damit noch nicht die Nothwendig¬
keit eines Anbaues und einer Vergrößerung der Staatsanstalt weggefallen.
Es ist eine Appellation der Humanität an die Regierung, wenn man sie
zum kräftigen, raschen Einschreiten auffordert.

Vor einigen Tagen ist der 71 Jahre alte Peter von Boor, der
wegen Banknotenverfalschung verurtheilt war, im Zuchthause gestorben.
Er soll daselbst mit Härte behandelt worden sein und es circuliren
in dieser Hinsicht Gerüchte, wobei ein ziemlich hochgestellter Mann sehr
compromittirt erscheint, und welche einen Beitrag zu den Al^stvrvs et»
Vienne geben könnten. Ein hoher Beamter der Nationalbank, erzählt
man — habe seinen Verwandten bei der Bank zu placiren gesucht,
und es fand sich um so leichter eine Gelegenheit, als dieser sich mit
der Anfertigung einer neuen Art von Banknotenpapier beschäftigte,
welche man dann dem Staate vorlegen wollte. Schon die wahrend der
Untersuchung von Boor hin und wieder gemachten Aeußerungen wur¬
den bestens benutzt, aber als eine Papierprobe fertig war, begab sich je¬
ner hohe Beamte zu Boor in's Gefängniß, legte ihm die Proben vor
und fragte ihn um seine Meinung. Boor sah das Formular an und
erklärte, binnen zwei Tagen es nachmachen zu wollen. Nun versprach
jener Beamte dem Boor nicht allein mehr Freiheit, sondern sogar einen
Strafnachlaß zu erwirken, wenn er ihn in seine Geheimnisse einweihen
wolle. Boor, im Vertrauen auf das Wort dieses Mannes, that es und
kaum war dieser im Besitze der Geheimnisse, welche er nun dazu benutzte,
um sie als von seinem Verwandten erfunden auszugeben und diesem die
Stelle zu sichern, als Boor strenger und schärfer als bisher gehalten
wurde und auch in der That nicht lange im Gefängnisse lebte. Man
erzählt sich nun die vorliegende Geschichte mit verschiedenen Varianten
und Ansätzen und wie bei allen Gerüchten solcher Art, wo die Phantasie
freien Spielraum hat, ist wohl kaum der zehnte Theil, ja vielleicht das
Ganze unwahr. Nichts desto weniger kann es nicht schaden, wenn man
höhern Orts die Volksgerüchte erfährt. Vielleicht dürften Nachforschun¬
gen nicht überflüssig sein. Die Demoralisation ist hier wie überall im
Steigen. Nahrungslosigkeit und Theurung häufen sich auf eine fürch¬
terliche Weise, man merkt es nicht, daß in demselben Maße Ver¬
gnügungssucht und Verschwendung abnehmen; aber bezeichnend ist es,
daß vor wenigen Tagen an einem Nachmittage 14 Kaufleute sich insol¬
vent erklärten, eS ist bezeichnend, daß dem Criminalgerichte über hundert
Wechselverfälschungen jetzt vorliegen, bezeichnend aber auch, daß so eine Menge
Quartiere hier frei stehen. Es ist dieses ein Beweis, daß der Zudrang nach
Wien abgenommen, weil die Ernährungsschwierigkeit hier viel größer geworden.
Hat man doch vor Kurzem eine förmlich organisirte Diebesbande entdeckt,
meist aus Burschen von 8 — 12 Jahren bestehend. Das sind traurige
Aspecten für den Winter und für die Zukunft unserer Bevölkerung.,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/220>, abgerufen am 26.08.2024.