Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.schon Viel gewonnen, für die schwierigeren Fälle könnte man jedesmal Auch Worte, wie Indifferentismus, sind unerträglich mit dem deut¬ Ueberhaupt können und müssen wir gegen Wörter, welche aus dem A. Boden. *) Ueberhaupt sah Goethe ungern unnöthige fremde Wörter in seinen
Schriften. Den 30. Juni ISI3 schreibt er aus Töplitz an Riemer- "Bei meiner letzten Sendung habe ich Ihnen abermals völlige Macht und Gewalt gegeben, die fremden Worte aus der Handschrist zu tilgen, insofern es möglich und räthlich ?se; wie wir auch schon früher gethan haben." schon Viel gewonnen, für die schwierigeren Fälle könnte man jedesmal Auch Worte, wie Indifferentismus, sind unerträglich mit dem deut¬ Ueberhaupt können und müssen wir gegen Wörter, welche aus dem A. Boden. *) Ueberhaupt sah Goethe ungern unnöthige fremde Wörter in seinen
Schriften. Den 30. Juni ISI3 schreibt er aus Töplitz an Riemer- „Bei meiner letzten Sendung habe ich Ihnen abermals völlige Macht und Gewalt gegeben, die fremden Worte aus der Handschrist zu tilgen, insofern es möglich und räthlich ?se; wie wir auch schon früher gethan haben." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183798"/> <p xml:id="ID_600" prev="#ID_599"> schon Viel gewonnen, für die schwierigeren Fälle könnte man jedesmal<lb/> Demjenigen folgen, der für ein schon herkömmlich gewordenes fremdes<lb/> Wort einen glücklichen deutschen Ausdruck fände. Niemand sollte, obwohl<lb/> es täglich geschieht, sagen dürfen: der specielle Fall se. der besondere, Nie¬<lb/> mand : Detail, detailliren, die sich ohne Mühe deutsch geben oder um¬<lb/> schreiben lassen, Niemand: amalgamiren, obgleich es selbst jene unver¬<lb/> gleichliche Goethe'sche Epistel entstellt; für Lectüre kann „das Lesen"<lb/> oder „die Lesung" nie eine Schwierigkeit machen; objectiv darf aufge¬<lb/> geben werden, da selbst Hr. Zschiesche gegenständlich sagt. Statt „ein<lb/> cousequenter Mann" wird sich nicht wohl sagen lassen: ein folgerichtiger<lb/> Mann, aber Goethe sagt: ein Mann von Folge*); Konsequenz dagegen<lb/> kann stets durch Folgerichtigkeit gegeben werden. Ein origineller Mann wird<lb/> wenigstens zuweilen durch ein eigenthümlicher Mann ersetzt werden können,<lb/> Originalität heron öfter durch Ursprünglichkeit; für Mystifikation, mystisi-<lb/> ciren, welche sich durchaus nicht zum Deutschen schicken, haben wir die<lb/> alten „Uz, uzen", welche hier in der Gegend noch im täglichen Gebrauch<lb/> sind und um so eher in die Schriftsprache zurückkehren können.</p><lb/> <p xml:id="ID_601"> Auch Worte, wie Indifferentismus, sind unerträglich mit dem deut¬<lb/> schen Ausdruck. Bediente man sich statt dessen nur hartnäckig des fast<lb/> nicht gebrauchten Kallsinns, so würde man damit auch bald den jetzt mit<lb/> dem Worte Jndifferentismus verwachsenen Begriff verbinden. Warum<lb/> soll man nicht sagen: Kaltsinn in religiösen Dingen oder religiöser Kalt"<lb/> Sinn se. Jndifferentismus in religiösen Dingen oder religiöser Jndifferen¬<lb/> tismus? Oft läßt es sich auch durch Gleichgültigkeit geben; und sind<lb/> zwei Ausdrücke für einen nicht ein Vorzug? Das lateinische „Interesse"<lb/> wird sich, wie in der Allgemeinen Zeitung richtig bemerkt wurde, nicht<lb/> immer entbehren lassen, sehr oft (und in Privatinteresse allezeit) kann<lb/> Vortheil an seine Stelle treten^ „Privat" ist nicht mehr zu vertreiben,<lb/> und i^ondermann, welches E. M. Arndt noch immer schreibt, mag auch<lb/> darum kein Glück gemacht haben, weil es an Sonderling erinnert.</p><lb/> <p xml:id="ID_602"> Ueberhaupt können und müssen wir gegen Wörter, welche aus dem<lb/> Lateinischen gekommen sind, duldsamer sein, als gegen die aus den leben¬<lb/> den Sprachen, mir welchen wir, wie mit der französischen, in tägliche<lb/> Berührung kommen. In Bezug auf sie heißt es (auch dies jedoch cum<lb/> Al-i>iio Lillis): I^rinciniis okst-r! Aus dem Lateinischen besitzen wir<lb/> Wörter, bei welchen, wie bei Wein, welches Deutsche wie Gallier zugleich<lb/> mit der Sache von den Römern empfingen, Niemand mehr an den frem¬<lb/> den Ursprung denkt.</p><lb/> <note type="byline"> A. Boden.</note><lb/> <note xml:id="FID_19" place="foot"> *) Ueberhaupt sah Goethe ungern unnöthige fremde Wörter in seinen<lb/> Schriften. Den 30. Juni ISI3 schreibt er aus Töplitz an Riemer- „Bei meiner<lb/> letzten Sendung habe ich Ihnen abermals völlige Macht und Gewalt gegeben,<lb/> die fremden Worte aus der Handschrist zu tilgen, insofern es möglich und räthlich<lb/> ?se; wie wir auch schon früher gethan haben."</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
schon Viel gewonnen, für die schwierigeren Fälle könnte man jedesmal
Demjenigen folgen, der für ein schon herkömmlich gewordenes fremdes
Wort einen glücklichen deutschen Ausdruck fände. Niemand sollte, obwohl
es täglich geschieht, sagen dürfen: der specielle Fall se. der besondere, Nie¬
mand : Detail, detailliren, die sich ohne Mühe deutsch geben oder um¬
schreiben lassen, Niemand: amalgamiren, obgleich es selbst jene unver¬
gleichliche Goethe'sche Epistel entstellt; für Lectüre kann „das Lesen"
oder „die Lesung" nie eine Schwierigkeit machen; objectiv darf aufge¬
geben werden, da selbst Hr. Zschiesche gegenständlich sagt. Statt „ein
cousequenter Mann" wird sich nicht wohl sagen lassen: ein folgerichtiger
Mann, aber Goethe sagt: ein Mann von Folge*); Konsequenz dagegen
kann stets durch Folgerichtigkeit gegeben werden. Ein origineller Mann wird
wenigstens zuweilen durch ein eigenthümlicher Mann ersetzt werden können,
Originalität heron öfter durch Ursprünglichkeit; für Mystifikation, mystisi-
ciren, welche sich durchaus nicht zum Deutschen schicken, haben wir die
alten „Uz, uzen", welche hier in der Gegend noch im täglichen Gebrauch
sind und um so eher in die Schriftsprache zurückkehren können.
Auch Worte, wie Indifferentismus, sind unerträglich mit dem deut¬
schen Ausdruck. Bediente man sich statt dessen nur hartnäckig des fast
nicht gebrauchten Kallsinns, so würde man damit auch bald den jetzt mit
dem Worte Jndifferentismus verwachsenen Begriff verbinden. Warum
soll man nicht sagen: Kaltsinn in religiösen Dingen oder religiöser Kalt"
Sinn se. Jndifferentismus in religiösen Dingen oder religiöser Jndifferen¬
tismus? Oft läßt es sich auch durch Gleichgültigkeit geben; und sind
zwei Ausdrücke für einen nicht ein Vorzug? Das lateinische „Interesse"
wird sich, wie in der Allgemeinen Zeitung richtig bemerkt wurde, nicht
immer entbehren lassen, sehr oft (und in Privatinteresse allezeit) kann
Vortheil an seine Stelle treten^ „Privat" ist nicht mehr zu vertreiben,
und i^ondermann, welches E. M. Arndt noch immer schreibt, mag auch
darum kein Glück gemacht haben, weil es an Sonderling erinnert.
Ueberhaupt können und müssen wir gegen Wörter, welche aus dem
Lateinischen gekommen sind, duldsamer sein, als gegen die aus den leben¬
den Sprachen, mir welchen wir, wie mit der französischen, in tägliche
Berührung kommen. In Bezug auf sie heißt es (auch dies jedoch cum
Al-i>iio Lillis): I^rinciniis okst-r! Aus dem Lateinischen besitzen wir
Wörter, bei welchen, wie bei Wein, welches Deutsche wie Gallier zugleich
mit der Sache von den Römern empfingen, Niemand mehr an den frem¬
den Ursprung denkt.
A. Boden.
*) Ueberhaupt sah Goethe ungern unnöthige fremde Wörter in seinen
Schriften. Den 30. Juni ISI3 schreibt er aus Töplitz an Riemer- „Bei meiner
letzten Sendung habe ich Ihnen abermals völlige Macht und Gewalt gegeben,
die fremden Worte aus der Handschrist zu tilgen, insofern es möglich und räthlich
?se; wie wir auch schon früher gethan haben."
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