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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Mundes als Wahrheit verkündet, mit heiterer epikuräischer Skepsis an¬
zudeuten und zur Wahrheit des Genusses einzuladen, statt andererseits
mit frohlockenden Jubel den Lügenschleier zu reißen von allen ge¬
schminkten Sünden und prunkenden Krankheiten unserer Zeit, verkrüppelt
die Idee kümmerlich unter der Wucht einer fast ganz interesselosen
Handlung. Wohl hört man zuweilen ein fernes Rollen, das wie
Humor lautet und nimmt ein schwaches Wetterleuchten des Witzes
wahr, doch kommt weder die ernste Pilatusfrage: "was ist Wahrheit?"
noch die für ein Lustspiel geeignete feine Weltironie zum Vorschein,
die allen menschlichen Bestrebungen, Träumen und Systemen ein lä¬
chelnd warnendes: "weh dem, der lügt!" zurufen würde. Handlung
und Staffage, dem französischen Geschichtsbuch von Thierry: "liscits
6v leurs in^roving'liens" entnommen, wären in den Händen eines Tieck
oder sogar Fouauv zu einem anziehenden, ächt romantischen Gebilde
geworden, auf der Bühne aber wurden sie unerquicklich und die Auf¬
nahme war, wie bemerkt, eine höchst mißfällige. Vielleicht hat die
Aristokratie dazu beigetragen, die, sonst karg mit Zeichen deS Beifalls
oder Tadels, es nicht verschmähte, sich bei folgender Stelle zischend aus
den Logen zu beugen:


"Gib nicht für einen Ahn, so alt er ist,
Den ersten ans, den äU'sten aller Ahnen,
Ihn, der da war, eh' noch die Sonne war,
Der niedern Staub geformt nach seinem Bild.
Des Menschen Antlitz ist sein Wappenschild."

Seitdem wurden von Grillparzer nur noch zwei dramatische Frag¬
mente "Scipio"und "Libussa" im Druck bekannt. In österreichischen
Blättern lassen sich viele poetische und prosaische Klagen über sein
Verstummen hören; wir können es jedoch nur billigen, wenn er, viel^
leicht zur Erkenntniß gekommen, mindestens durch vielsagendes Schweigen
ausdrückt, was ihm seine amtliche Stellung mit Worten zu sagen ver¬
wehrt, daß Oesterreich seiner großen Dichter nicht würdig, daß es für
dieselben keine Pflege, keine Anerkennung, keine Werthschätzung hat;
am wenigsten für den Dramatiker, der zum versammelten Volke spricht,
mit von den Händen der Censur zusammengepreßter Kehle jedoch keine
dichterwürdigen Laute hervorbringen kann.

Außer seinen Dramen schrieb Grillparzer viele kleine lyrische
Dichtungen, in Almanachen und Journalen zerstreut, wem aber etwas
davon zu Gesichte gekommen, der vergißt es nicht so leicht, wie man
sonstige Journal- lind Almanacherzeugnisse vergißt. Die Lieder aus


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Mundes als Wahrheit verkündet, mit heiterer epikuräischer Skepsis an¬
zudeuten und zur Wahrheit des Genusses einzuladen, statt andererseits
mit frohlockenden Jubel den Lügenschleier zu reißen von allen ge¬
schminkten Sünden und prunkenden Krankheiten unserer Zeit, verkrüppelt
die Idee kümmerlich unter der Wucht einer fast ganz interesselosen
Handlung. Wohl hört man zuweilen ein fernes Rollen, das wie
Humor lautet und nimmt ein schwaches Wetterleuchten des Witzes
wahr, doch kommt weder die ernste Pilatusfrage: „was ist Wahrheit?"
noch die für ein Lustspiel geeignete feine Weltironie zum Vorschein,
die allen menschlichen Bestrebungen, Träumen und Systemen ein lä¬
chelnd warnendes: „weh dem, der lügt!" zurufen würde. Handlung
und Staffage, dem französischen Geschichtsbuch von Thierry: „liscits
6v leurs in^roving'liens" entnommen, wären in den Händen eines Tieck
oder sogar Fouauv zu einem anziehenden, ächt romantischen Gebilde
geworden, auf der Bühne aber wurden sie unerquicklich und die Auf¬
nahme war, wie bemerkt, eine höchst mißfällige. Vielleicht hat die
Aristokratie dazu beigetragen, die, sonst karg mit Zeichen deS Beifalls
oder Tadels, es nicht verschmähte, sich bei folgender Stelle zischend aus
den Logen zu beugen:


„Gib nicht für einen Ahn, so alt er ist,
Den ersten ans, den äU'sten aller Ahnen,
Ihn, der da war, eh' noch die Sonne war,
Der niedern Staub geformt nach seinem Bild.
Des Menschen Antlitz ist sein Wappenschild."

Seitdem wurden von Grillparzer nur noch zwei dramatische Frag¬
mente „Scipio"und „Libussa" im Druck bekannt. In österreichischen
Blättern lassen sich viele poetische und prosaische Klagen über sein
Verstummen hören; wir können es jedoch nur billigen, wenn er, viel^
leicht zur Erkenntniß gekommen, mindestens durch vielsagendes Schweigen
ausdrückt, was ihm seine amtliche Stellung mit Worten zu sagen ver¬
wehrt, daß Oesterreich seiner großen Dichter nicht würdig, daß es für
dieselben keine Pflege, keine Anerkennung, keine Werthschätzung hat;
am wenigsten für den Dramatiker, der zum versammelten Volke spricht,
mit von den Händen der Censur zusammengepreßter Kehle jedoch keine
dichterwürdigen Laute hervorbringen kann.

Außer seinen Dramen schrieb Grillparzer viele kleine lyrische
Dichtungen, in Almanachen und Journalen zerstreut, wem aber etwas
davon zu Gesichte gekommen, der vergißt es nicht so leicht, wie man
sonstige Journal- lind Almanacherzeugnisse vergißt. Die Lieder aus


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[0191] Mundes als Wahrheit verkündet, mit heiterer epikuräischer Skepsis an¬ zudeuten und zur Wahrheit des Genusses einzuladen, statt andererseits mit frohlockenden Jubel den Lügenschleier zu reißen von allen ge¬ schminkten Sünden und prunkenden Krankheiten unserer Zeit, verkrüppelt die Idee kümmerlich unter der Wucht einer fast ganz interesselosen Handlung. Wohl hört man zuweilen ein fernes Rollen, das wie Humor lautet und nimmt ein schwaches Wetterleuchten des Witzes wahr, doch kommt weder die ernste Pilatusfrage: „was ist Wahrheit?" noch die für ein Lustspiel geeignete feine Weltironie zum Vorschein, die allen menschlichen Bestrebungen, Träumen und Systemen ein lä¬ chelnd warnendes: „weh dem, der lügt!" zurufen würde. Handlung und Staffage, dem französischen Geschichtsbuch von Thierry: „liscits 6v leurs in^roving'liens" entnommen, wären in den Händen eines Tieck oder sogar Fouauv zu einem anziehenden, ächt romantischen Gebilde geworden, auf der Bühne aber wurden sie unerquicklich und die Auf¬ nahme war, wie bemerkt, eine höchst mißfällige. Vielleicht hat die Aristokratie dazu beigetragen, die, sonst karg mit Zeichen deS Beifalls oder Tadels, es nicht verschmähte, sich bei folgender Stelle zischend aus den Logen zu beugen: „Gib nicht für einen Ahn, so alt er ist, Den ersten ans, den äU'sten aller Ahnen, Ihn, der da war, eh' noch die Sonne war, Der niedern Staub geformt nach seinem Bild. Des Menschen Antlitz ist sein Wappenschild." Seitdem wurden von Grillparzer nur noch zwei dramatische Frag¬ mente „Scipio"und „Libussa" im Druck bekannt. In österreichischen Blättern lassen sich viele poetische und prosaische Klagen über sein Verstummen hören; wir können es jedoch nur billigen, wenn er, viel^ leicht zur Erkenntniß gekommen, mindestens durch vielsagendes Schweigen ausdrückt, was ihm seine amtliche Stellung mit Worten zu sagen ver¬ wehrt, daß Oesterreich seiner großen Dichter nicht würdig, daß es für dieselben keine Pflege, keine Anerkennung, keine Werthschätzung hat; am wenigsten für den Dramatiker, der zum versammelten Volke spricht, mit von den Händen der Censur zusammengepreßter Kehle jedoch keine dichterwürdigen Laute hervorbringen kann. Außer seinen Dramen schrieb Grillparzer viele kleine lyrische Dichtungen, in Almanachen und Journalen zerstreut, wem aber etwas davon zu Gesichte gekommen, der vergißt es nicht so leicht, wie man sonstige Journal- lind Almanacherzeugnisse vergißt. Die Lieder aus 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/191>, abgerufen am 26.08.2024.