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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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einer anmuthigen Erzählung benutzte, mit Phantasie ist es geschrieben
uno mit manchen wirkungsreichen psychologischen Coups ausgestattet,
der theatralische Fehler liegt nur darin, daß in der materiellen Sicht¬
barkeit, in den zu den Ohren dröhnenden Manövres der Breterwelt die
zauberhafte, in Duft und Nebel schwimmende Mührchenwelt zu Grunde
geht; abgesehen von dem ästhetischen Fehler, daß das Grillparzer'sche
Mährchen nicht die Symbolik einer tief in's Menschenleben eingreifen¬
den Lehre gibt, was bei einem dramatischen Mährchen um so uner¬
läßlicher wäre, sondern höchstens die triviale Klugheitsregel entfaltet:
Bleibe im Lande und nähre dich redlich! Versenkt man sich jedoch
recht tief in den syrenenhaften Zauber der Grillparzerschen Dramen¬
poesie, die auch gewaltig aus diesem Werke "der Traum ein Leben"
tönt, so möchte man fast glauben, daß, weil die ächte dramatische
Poesie in Oesterreich lange Zeit nur ein Traum war, der Himmel ihn
in's Leben rief, damit -- der Traum ein Leben werde.

Nicht wenig gespannt war das Wiener Publicum, als das Hof¬
burgtheater im Jahre 1838 ein Lustspiel von Grillparzer ankündigte.
"Weh dem, der lügt!" wurde aufgeführt, allein nur dreimal, was in
Wien gleichbedeutend ist mit "durchfallen." Mögen die Gerüchte von
Cabalen, die ihm bei dieser Gelegenheit gespielt wurden, auch nicht
ungegründet sein und mögen die Schauspieler auch nicht Alle den Geist
ihrer Rollen mit gehörigem Verständniß gewürdigt haben, die größte
Schuld an der Theilnahmslosigkeit des Publicums trägt doch das
Stück selbst und nicht jenes ist dafür anzuklagen, wenn sein Geläch¬
ter in Scenen rege wurde, wo der Dichter eine ganz andere Auffassung
beabsichtigt hatte. Ein Lustspiel im erhabensten ästhetischen Sinne hätte
die Idee, die dem Werke zu Grunde liegt, abgeben können, wenn nur
die Ausführung mit der Intention gleichen Schritt gehalten hätte.
Gern steht man von der Forderung ab, daß das Lustspiel immer daS
Kleid der Zeit trage, in der es entstanden und direct stets Charaktere
und Zustände der Gegenwart reflectire, wenn es nur für allgemeine
menschliche Thorheiten und Schwächen ein drollig verzerrender Spiegel
wird, in dessen Hintergrund der versöhnende Ernst lauert; gern überläßt
man dem Lustspiel historische Formen und Gewänder verschollener Vergan¬
genheit, wenn nur der Geist die darin herrschende Idee mit unerbittlicher Fa¬
ckel in die Verirrungen des eben gegenwärtigen Jahrhunderts dringt und
die Schatten, die sie dann werfen, zu heitern Gestalten und Spielen zusammen¬
fügt. Eine solche Idee glänzt in "Weh dem, der lügt"; allein statt einer¬
seits das Täuschende und Lügenhafte in dem, was der Mensch stolzen


einer anmuthigen Erzählung benutzte, mit Phantasie ist es geschrieben
uno mit manchen wirkungsreichen psychologischen Coups ausgestattet,
der theatralische Fehler liegt nur darin, daß in der materiellen Sicht¬
barkeit, in den zu den Ohren dröhnenden Manövres der Breterwelt die
zauberhafte, in Duft und Nebel schwimmende Mührchenwelt zu Grunde
geht; abgesehen von dem ästhetischen Fehler, daß das Grillparzer'sche
Mährchen nicht die Symbolik einer tief in's Menschenleben eingreifen¬
den Lehre gibt, was bei einem dramatischen Mährchen um so uner¬
läßlicher wäre, sondern höchstens die triviale Klugheitsregel entfaltet:
Bleibe im Lande und nähre dich redlich! Versenkt man sich jedoch
recht tief in den syrenenhaften Zauber der Grillparzerschen Dramen¬
poesie, die auch gewaltig aus diesem Werke „der Traum ein Leben"
tönt, so möchte man fast glauben, daß, weil die ächte dramatische
Poesie in Oesterreich lange Zeit nur ein Traum war, der Himmel ihn
in's Leben rief, damit — der Traum ein Leben werde.

Nicht wenig gespannt war das Wiener Publicum, als das Hof¬
burgtheater im Jahre 1838 ein Lustspiel von Grillparzer ankündigte.
„Weh dem, der lügt!" wurde aufgeführt, allein nur dreimal, was in
Wien gleichbedeutend ist mit „durchfallen." Mögen die Gerüchte von
Cabalen, die ihm bei dieser Gelegenheit gespielt wurden, auch nicht
ungegründet sein und mögen die Schauspieler auch nicht Alle den Geist
ihrer Rollen mit gehörigem Verständniß gewürdigt haben, die größte
Schuld an der Theilnahmslosigkeit des Publicums trägt doch das
Stück selbst und nicht jenes ist dafür anzuklagen, wenn sein Geläch¬
ter in Scenen rege wurde, wo der Dichter eine ganz andere Auffassung
beabsichtigt hatte. Ein Lustspiel im erhabensten ästhetischen Sinne hätte
die Idee, die dem Werke zu Grunde liegt, abgeben können, wenn nur
die Ausführung mit der Intention gleichen Schritt gehalten hätte.
Gern steht man von der Forderung ab, daß das Lustspiel immer daS
Kleid der Zeit trage, in der es entstanden und direct stets Charaktere
und Zustände der Gegenwart reflectire, wenn es nur für allgemeine
menschliche Thorheiten und Schwächen ein drollig verzerrender Spiegel
wird, in dessen Hintergrund der versöhnende Ernst lauert; gern überläßt
man dem Lustspiel historische Formen und Gewänder verschollener Vergan¬
genheit, wenn nur der Geist die darin herrschende Idee mit unerbittlicher Fa¬
ckel in die Verirrungen des eben gegenwärtigen Jahrhunderts dringt und
die Schatten, die sie dann werfen, zu heitern Gestalten und Spielen zusammen¬
fügt. Eine solche Idee glänzt in „Weh dem, der lügt"; allein statt einer¬
seits das Täuschende und Lügenhafte in dem, was der Mensch stolzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/190>, abgerufen am 26.08.2024.