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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Volk beschwichtigt entgegen, überliefert seinem Richterspruch oder seiner
Gnade die Stifter des Aufruhrs, seine eignen Brüder und Verwandte,
zum Lohne dafür nichts begehrend, als fürder einsam seinem Schmerz
leben zu dürfen, durch das Bewußtsein getragen, "der treue Diener
seines Herrn" gewesen zu sein. Die Idee dieses Trauerspiels findet
mehr in einer unwillkürlichen Hinneigung des Gemüthes, als in
einer geistigen Ueberzeugung ihre Begründung, und ist eben des¬
halb nicht groß genug, daß der tragische Fall des Helden, der
an ihr untergeht, von der tragischen Erhebung des Zuschauers
begleitet sein könnte. Allein die Charakteristik ist von psycholo¬
gischen Lichtblitzen umgeben, wie sie früher nur Shakspeare noch
Heller stammen, und später nur Grabbe gleich herrlich leuchten ließ,
und die Tendenz erscheint mit einer Glaubensinnigkeit entfaltet, die
hinwieder mehr an Calderon, als an Shakspeare mahnt. Die Cha¬
raktere, namentlich die des Herzogs Otto und der Errp, hätten zu
selbständigen Tragödien entwickelt werden können, aus dem ganzen
Drama jedoch scheint uns Grillparzer's Schicksal selbst, wie aus einem
halbklaren, arabeökenvcrziertcn Spiegel entgegenzuschimmern. Der treue
Diener seiner Heimathsliebe, ließ er den besten Theil seiner ihm
angetrauten Muse hinmorden, erlaubte sich keinen Widerstand, beschwich¬
tigte vielmehr den Aufruhr, der sich dagegen in seinem Innern erho¬
ben haben mochte und überlieferte, was er noch unter solchen Umstän¬
den als ihm verwandt darbieten konnte, dem Richterspruch oder der
Gnade der österreichischen Censur.

Mit dem dramatisch unbedeutenden Trauerspiel "des Meeres
und der Liebe Wellen" scheint er von der Tragödie Abschied genom¬
men zu haben, denn hierauf erschienen nur noch im Jahre I8Z4 ein
"dramatisches Mährchen" ohne tragische Elemente: "der Traum
ein Leben" und später ein "Lustspiel!" Das Erste mahnt nur durch
den Gegensatz im Titel, nicht aber durch gleich tiefsinnige Gestaltung des In¬
halts an das berühmte Drama de la Barna's. Dem Vernehmen nach
ist es eine Jugendarbeit des Verfassers und soll nicht für die Hvfbühne,
sondern für eine untergeordnete, die Massen durch äußeres Schauge¬
pränge lockende Bühne bestimmt gewesen sein. Auch hat es außer in
Wien, wo man viele Sorge auf eine schöne und wirksame Ausstat¬
tung verwandte, nirgends sonderlichen Erfolg gehabt, vielleicht weil
nur das Wiener Publicum noch so kindlichen Sinnes ist, sich einem
Mährchen auch von der Bühne herab unbefangen hingeben zu können.
Viel Anziehendes liegt in dem Stücke, dessen Stoff schon Voltaire zu


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Volk beschwichtigt entgegen, überliefert seinem Richterspruch oder seiner
Gnade die Stifter des Aufruhrs, seine eignen Brüder und Verwandte,
zum Lohne dafür nichts begehrend, als fürder einsam seinem Schmerz
leben zu dürfen, durch das Bewußtsein getragen, „der treue Diener
seines Herrn" gewesen zu sein. Die Idee dieses Trauerspiels findet
mehr in einer unwillkürlichen Hinneigung des Gemüthes, als in
einer geistigen Ueberzeugung ihre Begründung, und ist eben des¬
halb nicht groß genug, daß der tragische Fall des Helden, der
an ihr untergeht, von der tragischen Erhebung des Zuschauers
begleitet sein könnte. Allein die Charakteristik ist von psycholo¬
gischen Lichtblitzen umgeben, wie sie früher nur Shakspeare noch
Heller stammen, und später nur Grabbe gleich herrlich leuchten ließ,
und die Tendenz erscheint mit einer Glaubensinnigkeit entfaltet, die
hinwieder mehr an Calderon, als an Shakspeare mahnt. Die Cha¬
raktere, namentlich die des Herzogs Otto und der Errp, hätten zu
selbständigen Tragödien entwickelt werden können, aus dem ganzen
Drama jedoch scheint uns Grillparzer's Schicksal selbst, wie aus einem
halbklaren, arabeökenvcrziertcn Spiegel entgegenzuschimmern. Der treue
Diener seiner Heimathsliebe, ließ er den besten Theil seiner ihm
angetrauten Muse hinmorden, erlaubte sich keinen Widerstand, beschwich¬
tigte vielmehr den Aufruhr, der sich dagegen in seinem Innern erho¬
ben haben mochte und überlieferte, was er noch unter solchen Umstän¬
den als ihm verwandt darbieten konnte, dem Richterspruch oder der
Gnade der österreichischen Censur.

Mit dem dramatisch unbedeutenden Trauerspiel „des Meeres
und der Liebe Wellen" scheint er von der Tragödie Abschied genom¬
men zu haben, denn hierauf erschienen nur noch im Jahre I8Z4 ein
„dramatisches Mährchen" ohne tragische Elemente: „der Traum
ein Leben" und später ein „Lustspiel!" Das Erste mahnt nur durch
den Gegensatz im Titel, nicht aber durch gleich tiefsinnige Gestaltung des In¬
halts an das berühmte Drama de la Barna's. Dem Vernehmen nach
ist es eine Jugendarbeit des Verfassers und soll nicht für die Hvfbühne,
sondern für eine untergeordnete, die Massen durch äußeres Schauge¬
pränge lockende Bühne bestimmt gewesen sein. Auch hat es außer in
Wien, wo man viele Sorge auf eine schöne und wirksame Ausstat¬
tung verwandte, nirgends sonderlichen Erfolg gehabt, vielleicht weil
nur das Wiener Publicum noch so kindlichen Sinnes ist, sich einem
Mährchen auch von der Bühne herab unbefangen hingeben zu können.
Viel Anziehendes liegt in dem Stücke, dessen Stoff schon Voltaire zu


Goar,b>!den. IV. 1Li<5. 25
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[0189] Volk beschwichtigt entgegen, überliefert seinem Richterspruch oder seiner Gnade die Stifter des Aufruhrs, seine eignen Brüder und Verwandte, zum Lohne dafür nichts begehrend, als fürder einsam seinem Schmerz leben zu dürfen, durch das Bewußtsein getragen, „der treue Diener seines Herrn" gewesen zu sein. Die Idee dieses Trauerspiels findet mehr in einer unwillkürlichen Hinneigung des Gemüthes, als in einer geistigen Ueberzeugung ihre Begründung, und ist eben des¬ halb nicht groß genug, daß der tragische Fall des Helden, der an ihr untergeht, von der tragischen Erhebung des Zuschauers begleitet sein könnte. Allein die Charakteristik ist von psycholo¬ gischen Lichtblitzen umgeben, wie sie früher nur Shakspeare noch Heller stammen, und später nur Grabbe gleich herrlich leuchten ließ, und die Tendenz erscheint mit einer Glaubensinnigkeit entfaltet, die hinwieder mehr an Calderon, als an Shakspeare mahnt. Die Cha¬ raktere, namentlich die des Herzogs Otto und der Errp, hätten zu selbständigen Tragödien entwickelt werden können, aus dem ganzen Drama jedoch scheint uns Grillparzer's Schicksal selbst, wie aus einem halbklaren, arabeökenvcrziertcn Spiegel entgegenzuschimmern. Der treue Diener seiner Heimathsliebe, ließ er den besten Theil seiner ihm angetrauten Muse hinmorden, erlaubte sich keinen Widerstand, beschwich¬ tigte vielmehr den Aufruhr, der sich dagegen in seinem Innern erho¬ ben haben mochte und überlieferte, was er noch unter solchen Umstän¬ den als ihm verwandt darbieten konnte, dem Richterspruch oder der Gnade der österreichischen Censur. Mit dem dramatisch unbedeutenden Trauerspiel „des Meeres und der Liebe Wellen" scheint er von der Tragödie Abschied genom¬ men zu haben, denn hierauf erschienen nur noch im Jahre I8Z4 ein „dramatisches Mährchen" ohne tragische Elemente: „der Traum ein Leben" und später ein „Lustspiel!" Das Erste mahnt nur durch den Gegensatz im Titel, nicht aber durch gleich tiefsinnige Gestaltung des In¬ halts an das berühmte Drama de la Barna's. Dem Vernehmen nach ist es eine Jugendarbeit des Verfassers und soll nicht für die Hvfbühne, sondern für eine untergeordnete, die Massen durch äußeres Schauge¬ pränge lockende Bühne bestimmt gewesen sein. Auch hat es außer in Wien, wo man viele Sorge auf eine schöne und wirksame Ausstat¬ tung verwandte, nirgends sonderlichen Erfolg gehabt, vielleicht weil nur das Wiener Publicum noch so kindlichen Sinnes ist, sich einem Mährchen auch von der Bühne herab unbefangen hingeben zu können. Viel Anziehendes liegt in dem Stücke, dessen Stoff schon Voltaire zu Goar,b>!den. IV. 1Li<5. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/189>, abgerufen am 26.08.2024.