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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Die erste Frucht dieser Reise war eine begeistert zürnende Elegie,
ein prachtvolles Gedicht an Italien, das in dem Wiener Taschenbuch
"Aglaja" mitgetheilt werden sollte. Es War bereits ungefährdet durch
die Censur gegangen, es lag bereits auf dem Verkaufstisch gedruckt
vor, als man plötzlich antikirchliche Sympathien darin wittern mochte
und aus allen Eremplaren des Taschenbuchs dos Gedicht von Cen¬
surwegen herausgeschnitten wurde.

Grillparzer aber blieb in Oesterreich!

Im Jahre 182! brachte das Hofburgtheater seine Trilogie "das
goldne Vließ," wovon sich besonders der dritte Theil "M ete a" durch
das Spiel der Schröder auf einige Zeit auf der Bühne erhielt. Auch
hier muß man an den Geist des Alterthums und die Gesetze seiner
Kunst vergessen und sich mit der unbefangenen Neugierde eines em¬
pfänglichen Kindes vor die Courtine begeben, dann wird man sich der
Scenenreihe dieser Tragödie nicht ohne tiefes Entzücken überlassen kön¬
nen. Gleichen die griechischen Mythen zum Theil gestaltlosen Fels-
ungethümen, welche die Phantasie des fernen Beschauers zu menschli¬
chen Physiognomien, zu bestimmten Formen zusammenfügen und den
verschiedensten Deutungen unterwerfen kann, und haben sie wirklich in
späterer Zeit bald den Geographen dazu gedient, den Umfang der
Erkenntniß bei den Alten zu ermessen, bald dem Historiographen darin
nach den Sitten und Gebräuchen heidnischer Völker zu forschen; haben
sie der Koömogente und der Philosophie Materialien zur Beurtheilung
der Wissenschaft und des NeligionSgcistes geliefert und sind sie endlich
von klassischen Dichtern selbst durch tragische Hebel aus ihrem Raume
gerückt worden, um in ganzer Entsetzlichkeit vor den Augen späterer
Generationen zu erscheinen; warum sollten sie sich nicht auch dazu
hergeben dürfen, einmal vom mildernden, versöhnenden Mondlicht der
Romantik beschienen zu werden? Dieses Mondlicht breitet sich über
Grillparzer's "Medea"; die Felsungethüme, die im Sonnenlicht der
Antike mit so starrer, unversöhnlicher Furchtbarkeit emporragen, ver¬
schwimmen im romantischen Zweifellicht zu sanfteren Formen, und las¬
sen sogar zu ihren altersgrauen Füßen ganz junge Nachtviolen des
Gefühls aufschießen, deren heißen leidenschaftlichen Düften sie sich ge¬
währender zuneigen, als ihre antike Würde erlauben sollte. Den be¬
sten Beleg dafür gibt uns die ergreifend schöne Scene, in der Medea,
von Eifersucht gestachelt und krampfhaft nach Allem fassend, was ihr
das Herz des Gatten wieder zuführen könnte, sich Jason'S Lieblings-


Die erste Frucht dieser Reise war eine begeistert zürnende Elegie,
ein prachtvolles Gedicht an Italien, das in dem Wiener Taschenbuch
„Aglaja" mitgetheilt werden sollte. Es War bereits ungefährdet durch
die Censur gegangen, es lag bereits auf dem Verkaufstisch gedruckt
vor, als man plötzlich antikirchliche Sympathien darin wittern mochte
und aus allen Eremplaren des Taschenbuchs dos Gedicht von Cen¬
surwegen herausgeschnitten wurde.

Grillparzer aber blieb in Oesterreich!

Im Jahre 182! brachte das Hofburgtheater seine Trilogie „das
goldne Vließ," wovon sich besonders der dritte Theil „M ete a" durch
das Spiel der Schröder auf einige Zeit auf der Bühne erhielt. Auch
hier muß man an den Geist des Alterthums und die Gesetze seiner
Kunst vergessen und sich mit der unbefangenen Neugierde eines em¬
pfänglichen Kindes vor die Courtine begeben, dann wird man sich der
Scenenreihe dieser Tragödie nicht ohne tiefes Entzücken überlassen kön¬
nen. Gleichen die griechischen Mythen zum Theil gestaltlosen Fels-
ungethümen, welche die Phantasie des fernen Beschauers zu menschli¬
chen Physiognomien, zu bestimmten Formen zusammenfügen und den
verschiedensten Deutungen unterwerfen kann, und haben sie wirklich in
späterer Zeit bald den Geographen dazu gedient, den Umfang der
Erkenntniß bei den Alten zu ermessen, bald dem Historiographen darin
nach den Sitten und Gebräuchen heidnischer Völker zu forschen; haben
sie der Koömogente und der Philosophie Materialien zur Beurtheilung
der Wissenschaft und des NeligionSgcistes geliefert und sind sie endlich
von klassischen Dichtern selbst durch tragische Hebel aus ihrem Raume
gerückt worden, um in ganzer Entsetzlichkeit vor den Augen späterer
Generationen zu erscheinen; warum sollten sie sich nicht auch dazu
hergeben dürfen, einmal vom mildernden, versöhnenden Mondlicht der
Romantik beschienen zu werden? Dieses Mondlicht breitet sich über
Grillparzer's „Medea"; die Felsungethüme, die im Sonnenlicht der
Antike mit so starrer, unversöhnlicher Furchtbarkeit emporragen, ver¬
schwimmen im romantischen Zweifellicht zu sanfteren Formen, und las¬
sen sogar zu ihren altersgrauen Füßen ganz junge Nachtviolen des
Gefühls aufschießen, deren heißen leidenschaftlichen Düften sie sich ge¬
währender zuneigen, als ihre antike Würde erlauben sollte. Den be¬
sten Beleg dafür gibt uns die ergreifend schöne Scene, in der Medea,
von Eifersucht gestachelt und krampfhaft nach Allem fassend, was ihr
das Herz des Gatten wieder zuführen könnte, sich Jason'S Lieblings-


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[0186] Die erste Frucht dieser Reise war eine begeistert zürnende Elegie, ein prachtvolles Gedicht an Italien, das in dem Wiener Taschenbuch „Aglaja" mitgetheilt werden sollte. Es War bereits ungefährdet durch die Censur gegangen, es lag bereits auf dem Verkaufstisch gedruckt vor, als man plötzlich antikirchliche Sympathien darin wittern mochte und aus allen Eremplaren des Taschenbuchs dos Gedicht von Cen¬ surwegen herausgeschnitten wurde. Grillparzer aber blieb in Oesterreich! Im Jahre 182! brachte das Hofburgtheater seine Trilogie „das goldne Vließ," wovon sich besonders der dritte Theil „M ete a" durch das Spiel der Schröder auf einige Zeit auf der Bühne erhielt. Auch hier muß man an den Geist des Alterthums und die Gesetze seiner Kunst vergessen und sich mit der unbefangenen Neugierde eines em¬ pfänglichen Kindes vor die Courtine begeben, dann wird man sich der Scenenreihe dieser Tragödie nicht ohne tiefes Entzücken überlassen kön¬ nen. Gleichen die griechischen Mythen zum Theil gestaltlosen Fels- ungethümen, welche die Phantasie des fernen Beschauers zu menschli¬ chen Physiognomien, zu bestimmten Formen zusammenfügen und den verschiedensten Deutungen unterwerfen kann, und haben sie wirklich in späterer Zeit bald den Geographen dazu gedient, den Umfang der Erkenntniß bei den Alten zu ermessen, bald dem Historiographen darin nach den Sitten und Gebräuchen heidnischer Völker zu forschen; haben sie der Koömogente und der Philosophie Materialien zur Beurtheilung der Wissenschaft und des NeligionSgcistes geliefert und sind sie endlich von klassischen Dichtern selbst durch tragische Hebel aus ihrem Raume gerückt worden, um in ganzer Entsetzlichkeit vor den Augen späterer Generationen zu erscheinen; warum sollten sie sich nicht auch dazu hergeben dürfen, einmal vom mildernden, versöhnenden Mondlicht der Romantik beschienen zu werden? Dieses Mondlicht breitet sich über Grillparzer's „Medea"; die Felsungethüme, die im Sonnenlicht der Antike mit so starrer, unversöhnlicher Furchtbarkeit emporragen, ver¬ schwimmen im romantischen Zweifellicht zu sanfteren Formen, und las¬ sen sogar zu ihren altersgrauen Füßen ganz junge Nachtviolen des Gefühls aufschießen, deren heißen leidenschaftlichen Düften sie sich ge¬ währender zuneigen, als ihre antike Würde erlauben sollte. Den be¬ sten Beleg dafür gibt uns die ergreifend schöne Scene, in der Medea, von Eifersucht gestachelt und krampfhaft nach Allem fassend, was ihr das Herz des Gatten wieder zuführen könnte, sich Jason'S Lieblings-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/186>, abgerufen am 26.08.2024.