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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ordnung schrumpft er in Grillparzer'S Drama mit Absicht des Dich¬
ters zusammen I Mag ihm der Schauspieler auch durch Costumbehelfe
zur antiken Außenschönheit verhelfen, vor dem Geist des Zuschauers
wird er immer in ganz ungriechischer Gestalt, gebeugten Hauptes und
gebrochenen Kniees erscheinen. Diese Verkemmng der Antike zieht sich
durch das ganze Werk, br.icht selbst aus tief psychologischen Enthüllun¬
gen des weiblichen Herzens, die mehr auf den in alle Zeiten überge¬
gangenen Amor, dem ein geraubter Kuß noch Wonne und Verbrechen
zugleich ist, als auf den griechischen Eros zielen, und dehnt sich bis
auf die lächerliche Kleinigkeit aus, daß Melitta, im Wunsch zu ster¬
ben, ausruft:


"Nehmt mich hinaus zu Euch, ihr Götter!"

Dieses voll der Romantik duftende, katholisch verhimmelnde "hinaus"
ist schon nach dem Sinne, den es hier ausdrücken soll, nicht helleni¬
sche" Charakters, abgesehen davon, daß es, nach griechischer Vorstel¬
lung vom Tode, eigentlich heißen müßte: laßt mich hinunter, denn
Elysium und Tartarus, die Statten abgeschiedener Seelen, liegen in
der Unterwelt.

Will man aber bei Grillparzer'S Sappho von der Forderung nach
einem ächten dramatischen Gebilde abstehen, das aus der Zeit, der eS
entnommen, mit feiner, Tinten und Farben nicht verwischender Hand
herausgeschält wäre, will man sich auch um die mit überaus geschick¬
ter Oekonomie in fünf Acte gegliederte Handlung nicht allzusehr küm¬
mern, sondern sich geschlossenen Auges vor die Bühne lauschend hin¬
setzen, so wird man sich von diamantensprühendcn Strömen einer hei¬
ßen, tiefen Lyrik überfluthet und das Herz davon zum reinsten poetischen
Genuß fortgerissen fühlen. Dieser lyrischen, nicht dramatischen Wir¬
kung sind sowohl die vielen Auflagen, die Sappho im Druck erlebte, als
die wenigen Vorstellungen, die ihm auf der Bühne wurden, zuzuschreiben.

Jung, ruhmbekränzt, die Brust noch voll schöpferischen Dranges,
reiste null Grillparzer 1819 nach Italien, eine Reise, nach der jeder
Dichter als nach einer Selbstbelohnung trachtet, wenn er sich derselben
bereits würdig bewiesen. Wie reich an großen Schöpfungen er da¬
mals noch seine Zukunft glaubte, davon zeugen die Worte, mit denen
er von Rom schied:


"Nun lehr' ich heim mit stolzem Sinn
Und Schafs' in gesättigter Ruh,
Was jung soll sein, wie ich es bin,
Und alt soll werden wie du."

ordnung schrumpft er in Grillparzer'S Drama mit Absicht des Dich¬
ters zusammen I Mag ihm der Schauspieler auch durch Costumbehelfe
zur antiken Außenschönheit verhelfen, vor dem Geist des Zuschauers
wird er immer in ganz ungriechischer Gestalt, gebeugten Hauptes und
gebrochenen Kniees erscheinen. Diese Verkemmng der Antike zieht sich
durch das ganze Werk, br.icht selbst aus tief psychologischen Enthüllun¬
gen des weiblichen Herzens, die mehr auf den in alle Zeiten überge¬
gangenen Amor, dem ein geraubter Kuß noch Wonne und Verbrechen
zugleich ist, als auf den griechischen Eros zielen, und dehnt sich bis
auf die lächerliche Kleinigkeit aus, daß Melitta, im Wunsch zu ster¬
ben, ausruft:


„Nehmt mich hinaus zu Euch, ihr Götter!"

Dieses voll der Romantik duftende, katholisch verhimmelnde „hinaus"
ist schon nach dem Sinne, den es hier ausdrücken soll, nicht helleni¬
sche» Charakters, abgesehen davon, daß es, nach griechischer Vorstel¬
lung vom Tode, eigentlich heißen müßte: laßt mich hinunter, denn
Elysium und Tartarus, die Statten abgeschiedener Seelen, liegen in
der Unterwelt.

Will man aber bei Grillparzer'S Sappho von der Forderung nach
einem ächten dramatischen Gebilde abstehen, das aus der Zeit, der eS
entnommen, mit feiner, Tinten und Farben nicht verwischender Hand
herausgeschält wäre, will man sich auch um die mit überaus geschick¬
ter Oekonomie in fünf Acte gegliederte Handlung nicht allzusehr küm¬
mern, sondern sich geschlossenen Auges vor die Bühne lauschend hin¬
setzen, so wird man sich von diamantensprühendcn Strömen einer hei¬
ßen, tiefen Lyrik überfluthet und das Herz davon zum reinsten poetischen
Genuß fortgerissen fühlen. Dieser lyrischen, nicht dramatischen Wir¬
kung sind sowohl die vielen Auflagen, die Sappho im Druck erlebte, als
die wenigen Vorstellungen, die ihm auf der Bühne wurden, zuzuschreiben.

Jung, ruhmbekränzt, die Brust noch voll schöpferischen Dranges,
reiste null Grillparzer 1819 nach Italien, eine Reise, nach der jeder
Dichter als nach einer Selbstbelohnung trachtet, wenn er sich derselben
bereits würdig bewiesen. Wie reich an großen Schöpfungen er da¬
mals noch seine Zukunft glaubte, davon zeugen die Worte, mit denen
er von Rom schied:


„Nun lehr' ich heim mit stolzem Sinn
Und Schafs' in gesättigter Ruh,
Was jung soll sein, wie ich es bin,
Und alt soll werden wie du."

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[0185] ordnung schrumpft er in Grillparzer'S Drama mit Absicht des Dich¬ ters zusammen I Mag ihm der Schauspieler auch durch Costumbehelfe zur antiken Außenschönheit verhelfen, vor dem Geist des Zuschauers wird er immer in ganz ungriechischer Gestalt, gebeugten Hauptes und gebrochenen Kniees erscheinen. Diese Verkemmng der Antike zieht sich durch das ganze Werk, br.icht selbst aus tief psychologischen Enthüllun¬ gen des weiblichen Herzens, die mehr auf den in alle Zeiten überge¬ gangenen Amor, dem ein geraubter Kuß noch Wonne und Verbrechen zugleich ist, als auf den griechischen Eros zielen, und dehnt sich bis auf die lächerliche Kleinigkeit aus, daß Melitta, im Wunsch zu ster¬ ben, ausruft: „Nehmt mich hinaus zu Euch, ihr Götter!" Dieses voll der Romantik duftende, katholisch verhimmelnde „hinaus" ist schon nach dem Sinne, den es hier ausdrücken soll, nicht helleni¬ sche» Charakters, abgesehen davon, daß es, nach griechischer Vorstel¬ lung vom Tode, eigentlich heißen müßte: laßt mich hinunter, denn Elysium und Tartarus, die Statten abgeschiedener Seelen, liegen in der Unterwelt. Will man aber bei Grillparzer'S Sappho von der Forderung nach einem ächten dramatischen Gebilde abstehen, das aus der Zeit, der eS entnommen, mit feiner, Tinten und Farben nicht verwischender Hand herausgeschält wäre, will man sich auch um die mit überaus geschick¬ ter Oekonomie in fünf Acte gegliederte Handlung nicht allzusehr küm¬ mern, sondern sich geschlossenen Auges vor die Bühne lauschend hin¬ setzen, so wird man sich von diamantensprühendcn Strömen einer hei¬ ßen, tiefen Lyrik überfluthet und das Herz davon zum reinsten poetischen Genuß fortgerissen fühlen. Dieser lyrischen, nicht dramatischen Wir¬ kung sind sowohl die vielen Auflagen, die Sappho im Druck erlebte, als die wenigen Vorstellungen, die ihm auf der Bühne wurden, zuzuschreiben. Jung, ruhmbekränzt, die Brust noch voll schöpferischen Dranges, reiste null Grillparzer 1819 nach Italien, eine Reise, nach der jeder Dichter als nach einer Selbstbelohnung trachtet, wenn er sich derselben bereits würdig bewiesen. Wie reich an großen Schöpfungen er da¬ mals noch seine Zukunft glaubte, davon zeugen die Worte, mit denen er von Rom schied: „Nun lehr' ich heim mit stolzem Sinn Und Schafs' in gesättigter Ruh, Was jung soll sein, wie ich es bin, Und alt soll werden wie du."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/185>, abgerufen am 26.08.2024.