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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Robert wollte gehen, aber Mar hielt ihn noch zurück. "Hört,
Vater", flüsterte er ihm zu, "sollte es sich zufällig treffen, daß Ihr heute
Abend eher als ich nach Hause kämt, dann umarmt mein Weib, küßt
sie recht innig, und sagt: das käme von um!"

Robert drückte ihm gerührt die Hand, aber bemerkte dabei nicht,
wie eine große Thräne in Marcus gesenkter Wimper hing, einige Mi¬
nuten später und der Eine ging rechts, der Andere links nach seinem
Posten. Das Treiben begann jetzt, allein mit schlechtem Erfolge, denn
das gejagte Thier entzog sich seinen Verfolgern, indem es wider Be¬
rechnung die steilen Thalwände hinankletterte und sich hier im Geklüfte
verbarg. Aber höher hinauf konnte es nicht, denn der Boden wurde
felsig und erhob sich fast überall senkrecht in die Lüfte. Immer von
Neuem verscheuchte man es wieder von dort aus, aber dennoch kam
es nie zum Schuß; ein einziges Mal versuchte der Herzog eine Ku¬
gel, aber sie hatte entweder gar nicht getroffen, oder nur leicht verletzt.
Endlich um Mittag stürzte sich das edle Thier in das Thal hinab,
aber trotzdem, daß die Jäger in engen Zwischenräumen standen, wußte
es zwischen ihnen durchzuschlüpfen und stürzte sich landeinwärts, die
Meute hinterher. Der Herzog war zwar voran, aber da ein brennen¬
der Durst ihn quälte, bog er seitwärts in den Wald, um einen Bach
zu suchen, denn er war sehr erhitzt und mußte fürchten, seine ehrlichen Leute
möchten ihm Vorwürfe machen und sich weigern, wenn er um einen Trunk
bäte. Aber der Bach war matt und trocken, und der Fürst mußte lange su¬
chen, ehe er ein Becken fand, worin sich einige Hände voll klares Was¬
ser gesammelt hatten. Als sein Durst gestillt war, eilte er wieder in's
Freie, aber es war still geworden auf dem Waldwege, die Jagd hatte
sich in eine Schlucht gezogen, nur aus der Ferne hörte man das Ru¬
fen und Toben, und das verrätherische Echo ließ zweifeln, woher der
Schall käme. Eine Zeitlang verfolgte der Herzog die frischen Spuren
im Sande, aber bald wurde der Boden felsig und der Fürst stand z,wei-
felnd, ob er in die Schlucht zur Rechten oder zur Linken einbiegen
sollte. Er entschloß sich rasch zu Letzterem, sprang über Gestrüpp und
Brombeerhecken hinweg, und fand sich bald allein in der größten
Einöde des Waldes; immer matter drang das Gebell an sein Ohr,
er hatte die falsche Richtung gewählt. Das Knallen einiger Flinten
ließ ihn mit Gewißheit vermuthen, die Jagd sei jenseits der Thalwand
zu seiner Rechten, und beflügelt durch die Besorgnis?, zu spät zu kom¬
men, und den bittern Gedanken, von dem spöttischen Lächeln eines schö¬
nen Mundes bei der Heimkehr begrüßt zu werden, entschloß er sich


Robert wollte gehen, aber Mar hielt ihn noch zurück. „Hört,
Vater", flüsterte er ihm zu, „sollte es sich zufällig treffen, daß Ihr heute
Abend eher als ich nach Hause kämt, dann umarmt mein Weib, küßt
sie recht innig, und sagt: das käme von um!"

Robert drückte ihm gerührt die Hand, aber bemerkte dabei nicht,
wie eine große Thräne in Marcus gesenkter Wimper hing, einige Mi¬
nuten später und der Eine ging rechts, der Andere links nach seinem
Posten. Das Treiben begann jetzt, allein mit schlechtem Erfolge, denn
das gejagte Thier entzog sich seinen Verfolgern, indem es wider Be¬
rechnung die steilen Thalwände hinankletterte und sich hier im Geklüfte
verbarg. Aber höher hinauf konnte es nicht, denn der Boden wurde
felsig und erhob sich fast überall senkrecht in die Lüfte. Immer von
Neuem verscheuchte man es wieder von dort aus, aber dennoch kam
es nie zum Schuß; ein einziges Mal versuchte der Herzog eine Ku¬
gel, aber sie hatte entweder gar nicht getroffen, oder nur leicht verletzt.
Endlich um Mittag stürzte sich das edle Thier in das Thal hinab,
aber trotzdem, daß die Jäger in engen Zwischenräumen standen, wußte
es zwischen ihnen durchzuschlüpfen und stürzte sich landeinwärts, die
Meute hinterher. Der Herzog war zwar voran, aber da ein brennen¬
der Durst ihn quälte, bog er seitwärts in den Wald, um einen Bach
zu suchen, denn er war sehr erhitzt und mußte fürchten, seine ehrlichen Leute
möchten ihm Vorwürfe machen und sich weigern, wenn er um einen Trunk
bäte. Aber der Bach war matt und trocken, und der Fürst mußte lange su¬
chen, ehe er ein Becken fand, worin sich einige Hände voll klares Was¬
ser gesammelt hatten. Als sein Durst gestillt war, eilte er wieder in's
Freie, aber es war still geworden auf dem Waldwege, die Jagd hatte
sich in eine Schlucht gezogen, nur aus der Ferne hörte man das Ru¬
fen und Toben, und das verrätherische Echo ließ zweifeln, woher der
Schall käme. Eine Zeitlang verfolgte der Herzog die frischen Spuren
im Sande, aber bald wurde der Boden felsig und der Fürst stand z,wei-
felnd, ob er in die Schlucht zur Rechten oder zur Linken einbiegen
sollte. Er entschloß sich rasch zu Letzterem, sprang über Gestrüpp und
Brombeerhecken hinweg, und fand sich bald allein in der größten
Einöde des Waldes; immer matter drang das Gebell an sein Ohr,
er hatte die falsche Richtung gewählt. Das Knallen einiger Flinten
ließ ihn mit Gewißheit vermuthen, die Jagd sei jenseits der Thalwand
zu seiner Rechten, und beflügelt durch die Besorgnis?, zu spät zu kom¬
men, und den bittern Gedanken, von dem spöttischen Lächeln eines schö¬
nen Mundes bei der Heimkehr begrüßt zu werden, entschloß er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/169>, abgerufen am 26.08.2024.