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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Dies ist Sibylle, deren Inhalt einen interessanten, ja tragisch-ein¬
dringlichen Roman gegeben hätte, wenn er in einem Bande und mit
den Hülfsmitteln der Erzählungskunst geschrieben worden wäre. Ich
bin weit davon entfernt, in die Vorwürfe einzustimmen, daß dies mo¬
derne Frauenthema von Frauen dargestellt, eine verderbliche Einseitig¬
keit in unserer Literatur errichte. Ich halte es im Gegentheil für ei¬
nen Gewinn, daß dies Thema erörtert und daß es von Frauen erör¬
tert werde, welche ersichtlich neue, uns Männern nicht erreichbare Ge¬
sichtspunkte und Empfindungen einführen. Aber ich leugne nicht, daß
wir hiermit bereits auf dem Punkte angelangt sind, welcher eine Ver¬
armung und Vcrwässerung in spitzfindigen Ausführlichkeiten mit sich
bringt, und daß einem Talente, wie dem der Gräfin Hahn, eine en¬
gere und strengere Fassung nöthig wird, wenn diesem ganzen Frauen¬
wesen ein dauerndes Plätzchen in der Literatur gesichert werden soll.
Mit Ausnahme der Gesellschastöworte, welche im literarischen Style
durchaus als Ungeschmack erscheinen, möchte ich auch den einzelnen
Wortneuerungen deutschen Ausdrucks nicht so entgegentreten, wie dies
vorherrschend geschieht. Dergleichen Neuerungen müssen der Eigen¬
thümlichkeit gestattet werden, und wenn auch vielleicht "allendlich" und
"bewildert" nicht aufgenommen werden, so soll man doch solch eine
.Quelle der möglichen Bereicherung nicht verstopfen. Die Mittelmäßig¬
keit braucht freilich keine neuen Ausdrücke, weil sie nicht eigen denkt
und nichts Neues zu sagen hat. Wer aber dazu getrieben ist, dem
soll das Herkommen nicht spöttisch entgegen gehalten werden. DaS
Unpassende findet von selbst keinen Zugang, also auch keine Dauer.


H. L.


Dies ist Sibylle, deren Inhalt einen interessanten, ja tragisch-ein¬
dringlichen Roman gegeben hätte, wenn er in einem Bande und mit
den Hülfsmitteln der Erzählungskunst geschrieben worden wäre. Ich
bin weit davon entfernt, in die Vorwürfe einzustimmen, daß dies mo¬
derne Frauenthema von Frauen dargestellt, eine verderbliche Einseitig¬
keit in unserer Literatur errichte. Ich halte es im Gegentheil für ei¬
nen Gewinn, daß dies Thema erörtert und daß es von Frauen erör¬
tert werde, welche ersichtlich neue, uns Männern nicht erreichbare Ge¬
sichtspunkte und Empfindungen einführen. Aber ich leugne nicht, daß
wir hiermit bereits auf dem Punkte angelangt sind, welcher eine Ver¬
armung und Vcrwässerung in spitzfindigen Ausführlichkeiten mit sich
bringt, und daß einem Talente, wie dem der Gräfin Hahn, eine en¬
gere und strengere Fassung nöthig wird, wenn diesem ganzen Frauen¬
wesen ein dauerndes Plätzchen in der Literatur gesichert werden soll.
Mit Ausnahme der Gesellschastöworte, welche im literarischen Style
durchaus als Ungeschmack erscheinen, möchte ich auch den einzelnen
Wortneuerungen deutschen Ausdrucks nicht so entgegentreten, wie dies
vorherrschend geschieht. Dergleichen Neuerungen müssen der Eigen¬
thümlichkeit gestattet werden, und wenn auch vielleicht „allendlich" und
„bewildert" nicht aufgenommen werden, so soll man doch solch eine
.Quelle der möglichen Bereicherung nicht verstopfen. Die Mittelmäßig¬
keit braucht freilich keine neuen Ausdrücke, weil sie nicht eigen denkt
und nichts Neues zu sagen hat. Wer aber dazu getrieben ist, dem
soll das Herkommen nicht spöttisch entgegen gehalten werden. DaS
Unpassende findet von selbst keinen Zugang, also auch keine Dauer.


H. L.


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[0158] Dies ist Sibylle, deren Inhalt einen interessanten, ja tragisch-ein¬ dringlichen Roman gegeben hätte, wenn er in einem Bande und mit den Hülfsmitteln der Erzählungskunst geschrieben worden wäre. Ich bin weit davon entfernt, in die Vorwürfe einzustimmen, daß dies mo¬ derne Frauenthema von Frauen dargestellt, eine verderbliche Einseitig¬ keit in unserer Literatur errichte. Ich halte es im Gegentheil für ei¬ nen Gewinn, daß dies Thema erörtert und daß es von Frauen erör¬ tert werde, welche ersichtlich neue, uns Männern nicht erreichbare Ge¬ sichtspunkte und Empfindungen einführen. Aber ich leugne nicht, daß wir hiermit bereits auf dem Punkte angelangt sind, welcher eine Ver¬ armung und Vcrwässerung in spitzfindigen Ausführlichkeiten mit sich bringt, und daß einem Talente, wie dem der Gräfin Hahn, eine en¬ gere und strengere Fassung nöthig wird, wenn diesem ganzen Frauen¬ wesen ein dauerndes Plätzchen in der Literatur gesichert werden soll. Mit Ausnahme der Gesellschastöworte, welche im literarischen Style durchaus als Ungeschmack erscheinen, möchte ich auch den einzelnen Wortneuerungen deutschen Ausdrucks nicht so entgegentreten, wie dies vorherrschend geschieht. Dergleichen Neuerungen müssen der Eigen¬ thümlichkeit gestattet werden, und wenn auch vielleicht „allendlich" und „bewildert" nicht aufgenommen werden, so soll man doch solch eine .Quelle der möglichen Bereicherung nicht verstopfen. Die Mittelmäßig¬ keit braucht freilich keine neuen Ausdrücke, weil sie nicht eigen denkt und nichts Neues zu sagen hat. Wer aber dazu getrieben ist, dem soll das Herkommen nicht spöttisch entgegen gehalten werden. DaS Unpassende findet von selbst keinen Zugang, also auch keine Dauer. H. L.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/158>, abgerufen am 26.08.2024.